StuThe_I-Land_AntonWalsch 1Theaterrezension

Die Winde des Meeres pfeifen um die Insel, das Rauschen geht in ein Singen über. Im Land der Träume fliegen die Erinnerungen vorbei, Grießbrei, Gedanken, Liedfetzen. Dann klingelt der Wecker, Michaela muss aufstehen. Kaffee oder Tee? „I-Land“ ist die neue Produktion des Studententheaters Greifswald, die gestern Premiere vor etwa 80 Zuschauern im ausverkauften Rubenowsaal des Theaters hatte. 

Das Ich als Insel: so stellt es das Stück und ebenso das Bühnenbild von Stefan Matschuk dar. Eine Insel umrundet mit dem Treibgut der Erinnerungen: Fahrradteile, eine Tastatur, ein Servierwagen sind darunter. Gleichzeitig erinnert es aber auch an eine Burg oder Barrikade, die das Ich vor der Außenwelt abschirmt.

Die Insel ist das Ich von Michaela, die etwas abseits daneben steht. Mit braver Frisur und Kostüm wirkt sie geradezu alltäglich. Sie erzählt, was ihr an jenem Tag widerfährt: die Fahrt in der U-Bahn, Büro, der Heiratsantrag des Freundes, den sie ablehnt, und die Party, mit der sie ihre Sorgen vergessen machen will. In einem Fester im Hintergrund erscheinen, wie bei einem Puppentheater, eben diese ,externen‘ Protagonisten: Chef, Freund, Kellner. All dies geschieht in ukrainischer Sprache. Was anfangs verwirrt, erweist sich als gelungener Kunstgriff. Schauspiel und bekannte Begriffe reichen um die Handlung nachvollziehen zu können, wenn man denn kein Ukrainisch versteht. Automatisch legt sich so der Fokus auf die Insel. Was hier passiert, macht auch den eigentlichen Kern des Stückes aus.

Michaela

Michaela

Die Stimmen in uns

Es ist, was ,in‘ Michaela vorgeht. Vernunft und Impuls streiten sich (nun auf deutsch), obwohl JA und NEIN längst eine Antwort hat. Der innere Schweinehund knurrt, der Körper meldet sich zu Wort, und der Ent-Zauberer hat ein paar trockene Fakten parat. So geht es durch den Tag. Dem Chef muss man etwas anderes erzählen, als man denkt. Wie eine Machine läuft dann die synchrone Choreografie zum Arbeitsalltag, der dem Rhythmus „Check, Kopieren, Kaffee“ folgt.  Bedenken besiegen schließlich das enthusiastische JA zum Heiratsantrag.

Was folgt ist innere Leere, die bald in Durcheinander und dem Drang nach Ablenkung übergeht. „Salsa und Wodka“ ruft Michaela. Alles tanzt gemeinsam, nimmt sich eine Auszeit des ständigen Hin- und Hers. Dann schaltet sich der Körper ein und straft mit Schwindel. Jetzt geht wieder alles durcheinander: wo muss ich lang, wer bin ich überhaupt. Erst mit dem Schlaf kommt die Erlösung. Zu sanften Gitarrenklängen und in völliger Selbstvergessenheit bauen alle gemeinsam eine Sandburg: ein Zustand der losgelösten Harmonie.

Das Ende bleibt letztlich einer der wenigen ruhigen, gefühlvollen Momente des Stücks, denn nach nicht einmal einer Stunde ist die kurzweilige Reise durch Michaelas Tag vorbei. Die Schauspieler legen sich dafür mächtig ins Zeug: Es wird gesungen, getanzt und gestritten. Körper, Vernunft, Impuls und Entscheidung haben klare Profile, die authentisch umgesetzt werden, andere Stimmen bleiben eher im Hintergrund. Fixe Gedankensprünge, innere Konflikte und Liedassoziationen sorgen für reges Treiben auf der Bühne und für Heiterkeit im Publikum.

Die Vernunft pfeift alle Stimmen zusammen.

Die Vernunft pfeift alle Stimmen zusammen.

„I-Land“ wurde von den beteiligten Studenten selbst geschrieben. „Ich weiß nicht, was soll ICH bedeuten“ lautet der zweite Titel. Diese Frage wird nicht direkt gestellt, denn die Inszenierung von Susanne Kreckel ist keineswegs belehrend. Vielmehr regt sie dazu an, einmal genauer auf die Stimmen im eigenen Kopf zu achten. Wer hat in mir das Sagen, gibt es ein Gegen- oder Miteinander? Dem StuThe sind drei weitere ausverkaufte Vorstellungen zu wünschen.

 weitere Aufführungen, jeweils 20 Uhr

12. Juni – Rubenowsaal, Theater Greifswald

20. Juni – StuThe, Franz-Mehring-Straße 48

22. Juni – StuThe, Franz-Mehring-Straße 48

 

Foto: Anton Walsch