In tropisch temperierten Gewächshäusern und umgeben vom Konzert der Pfeiffrösche kultivieren Wissenschaftler*innen der Universität Greifswald Kannenpflanzen. Diesen besonderen Gewächsen möchte Julien León Bota ein paar ihrer Geheimnisse entlocken. Einige davon sind sogar tödlich.
„Eine Kanne ist wie ein kleines Ökosystem“, beschreibt Julien León Bota, wissenschaftlicher Mitarbeiter des zoologischen Instituts, das zarte Pflanzenteil in seiner Hand. Es handelt sich um die Kanne der Kannenpflanze Nepenthes rafflesiana. Mit dieser geht die Tropenpflanzen auf Insektenjagd. Ihr süßlicher Duft und ein kontrastreiches UV-Muster macht sie für ihre Beute besonders attraktiv. Wenn sich die Insekten dann auf den glatten Rand der Kanne setzen, rutschen sie direkt hinein. „Wenn sie es doch noch schaffen, sich an der Innnenwand festzuhalten, ist es als würde man an einer bröckligen Sandsteinwand klettern. Die Innenseite ist mit Wachskristallen ausgekleidet“, erklärt Julien. Wenn die Insekten schließlich in die Kanne stürzen, wartet auf sie eine tödliche Verdauungsflüssigkeit. Darin leben unteranderem Mikroorganismen, die der Nepenthes rafflesiana beim Zersetzen der Insekten helfen.
Welche Funktionen diese Mikroben genau übernehmen und ob die Pflanze überhaupt noch ohne sie leben kann, erforscht Julien in seinem Projekt „Konvergente mikrobielle Interaktionen bei Kannenpflanzen“. Dabei untersucht er nicht nur die Nepenthes rafflesiana sondern insgesamt vier Kannenpflanzenarten. Eine weitere, die man auch in Greifswald im Gewächshaus findet, ist die Nepenthes hemsleyana. Sie beherbergt Fledermäuse in ihren Kannen. „In den Kannen ist es kühler und es gibt weniger Parasiten. Im Prinzip ist es ein wohl temperiertes Hotelzimmer“, beschreibt es Julien. Aber keine Sorge – die Fledermäuse verlassen die Kanne letztlich unbeschadet. Sie bedanken sich sogar für Unterkunft, in dem sie während ihres Aufenthalts in der Kanne ihr Geschäft verrichten. Ihr Kot und ihr Urin dient der Nepenthes hemsleyana als wichtige Nährstoffquelle.
Für Julien ist diese Interaktion zwischen Tier und Pflanze faszinierend. Er sagt: „Es ist toll zu sehen, welche Möglichkeiten die Pflanzen gefunden haben, um in lebensfeindlichen Habitaten zu überleben.“ Dieses lebensfeindliche Habitat, in dem ein harter Kampf um Nährstoffe herrscht, konnte Julien hautnah erleben. Im Rahmen des Projektes forschte er drei Monate im Regenwald von Borneo. Dort wurden die Experimente, die jetzt unter kontrollierten Bedingungen im Greifswalder Gewächshaus wiederholt werden, in der freien Natur durchgeführt.
„Als wir mit einer kleinen Propellermaschine in den Nationalpark flogen, sich die Wolken gelichtet hatten und den Blick auf die Weiten des Regenwaldes freigaben, habe ich mich wie in einem Indiana Jones Film gefühlt.“
Julien León Bota
Abenteuerlich ging es auch vor Ort weiter. Um Proben auf dem Mount Mulu zu nehmen, mussten er und seine Kolleg*innen zwei Tage lang auf rutschigen Dschungelpfaden zum Gipfel wandern. Trotz der dreißig Kilo Gepäck auf dem Rücken war ans Rasten kaum zu denken, denn an den Wegrändern warteten schon die Blutegel. Doch der Ausblick auf dem Gipfel und die Erlebnisse in diesem einzigartigen Ökosystem entschädigten ihn für die Mühen. Julien erinnert sich: „Die Arbeit war extrem hart. Tagsüber haben wir geschwitzt und nachts bitterlich gefroren. Teilweise sind wir vier Uhr morgens aufgestanden, um den Gewittern zu entkommen. Doch es war die Erfüllung eines Kindheitstraums und diese Zeit prägt mich bis heute.“
Diese prägende Zeit war es auch, die ihn nach der Rückkehr nach Deutschland in einer wichtigen Entscheidung gestützt hat. Noch während seines Masterstudiums bot sich ihm die Möglichkeit, das Kannenpflanzenprojekt zu übernehmen. Die damalige Projektleiterin wollte die Wissenschaft verlassen. Ohne Nachfolger*in wäre das Projekt beendet gewesen. Julien wagte den Sprung ins kalte Wasser und hat es inzwischen geschafft. Im Sommer 2021 beendete er sein Masterstudium und nächsten Monat findet das Kannenpflanzenprojekt seinen Abschluss.
Und wie geht es für ihn jetzt weiter? Julien will auf jeden Fall promovieren und in der Wissenschaft bleiben. Doch wenn alle Daten publiziert sind, möchte er erst einmal ausführlich wandern gehen: „Ich werde mir dabei in Ruhe Gedanken machen, wie es weitergeht.“
Beitragsbild: Lilly Biedermann