Ein Leben ohne Smartphone – für die meisten Menschen heute unvorstellbar. Und auch für mich war es das vor sechs Monaten noch.

Doch dann ist mir meines vor einem halben Jahr in die volle Badewanne gefallen. Zuerst kam Panik auf: Schnell Reis holen, um mein geliebtes Handy trocknen zu lassen. Zwei Tage ungeduldiges Warten, nach denen sich nur herausstellen sollte, dass der Akku kaputt ist und aufgrund des Designs auch nicht ausgetauscht werden kann. In diesem Moment stieg die Angst in mir auf: Wie soll ich jetzt kommunizieren? Was ist mit all meinen Daten? Habe ich sie auch wirklich alle auf meiner SD-Karte gesichert? Ich beschloss, dass ich mir so schnell wie möglich ein neues Handy besorgen musste. Wie sollte ich sonst mein Leben geregelt kriegen?

Aber dann habe ich mich an etwas erinnert: Dass ich mir irgendwann mal vorgenommen habe, dass ich gerne ausprobieren möchte, wie es ist, nur ein Tastenhandy zu haben. Zum einen aus Nachhaltigkeitsgründen, weil Tastenhandys viel länger halten und weil die Produktion von Smartphones sowohl sozial als auch ökologisch eine Katastrophe ist. Durch die Herstellung von Smartphones werden Unmengen an Ressourcen und seltenen Rohstoffen – wie Gold, Silber und Kobalt – verbraucht, die irgendwann zur Neige gehen werden und aufgrund des Designs oft nur schwer zu recyceln sind. Dabei setzen Bergarbeiter ihr Leben aufs Spiel und bewaffnete Konflikte, wie in der demokratischen Republik Kongo, werden immer weiter verschärft. In anderen Ländern werden bei der Herstellung Menschen giftigen Chemikalien ausgesetzt. Ebenso bei der Entsorgung und beim Recycling von alten Smartphones. Die Herstellung von Smartphones verbraucht außerdem große Mengen an Energie und hat deswegen einen hohen CO2-Ausstoß. Und die Liste der Probleme ließe sich noch weiter führen. Natürlich gibt es Alternativen, zum Beispiel das Kaufen von gebrauchten Handys oder Fairphones. Ich habe für meinen Teil entschieden, dass ich all das nicht mehr unterstützen will. Außerdem habe ich schon lange gemerkt habe, wie süchtig und abhängig ich von meinem Handy bin. Und wie sehr mich das ständige Erreichbarsein und immer-alles-nachgucken eigentlich auch stresst. Wie viel Zeit ich mit Herumdaddeln verbringe. Zeit, die ich eigentlich viel lieber für andere, erfüllendere Dinge nutzen möchte.

Sicherlich gibt es ein paar kleine und größere Herausforderungen, wenn man sich für ein Leben ohne Smartphone entscheidet. Die erste kam bei mir dann auch direkt zwei Tage, nachdem ich auf ein Tastenhandy umgestiegen bin. Mein erster Urlaub ohne Smartphone und dann direkt eine größere Fahrt. Eine Radtour in einem Land, in dem ich die Sprache nicht kann, zusammen mit Freund*innen, An- und Abreise alleine. Schon vor der Reise musste ich an mehr denken als sonst mit Smartphone. Das hat sich aber auch ganz wunderbar abenteuerlich angefühlt: Die Zugtickets mussten ausgedruckt und der Reisefahrplan aufgeschrieben, das ausgedruckte Impfzertifikat mit eingepackt werden, sowie natürlich mein alter MP3-Player, den ich aus einer Schublade wieder hervorgekramt habe. Unterwegs war es dann sehr gut, dass ich Freund*innen dabei hatte, die Unterkünfte und Wege nachgucken konnten. Auch um mich selbst sicherer zu fühlen. Mittlerweile würde ich mir aber auch zutrauen, alleine ohne Smartphone zu reisen, zumindest innerhalb von Europa. Denn die größte Herausforderung bestand die ganze Zeit nur in meinem Kopf. Das Gefühl, ohne Smartphone völlig aufgeschmissen und hilflos zu sein, weil man nicht mehr alles sofort nachgucken kann. Durch die Reise habe ich gemerkt, dass das gar kein Problem ist. Dass man ohne Smartphone nicht völlig hilflos in der Welt umherirrt. Dass es kein Problem ist, wenn man die Wege nicht am Handy nachschauen kann und dass man sich mit anderen Menschen auch ohne Google Übersetzer verständigen kann. Auch wenn man nicht die gleiche Sprache spricht. Das zu merken, ist ein wirklich gutes Gefühl. Vor allem im Vergleich zu vorher, als es mich immer schon mit leichter Panik erfüllt hat, wenn ich mein Handy nur mal versehentlich zu Hause liegen gelassen habe, während ich eine Stunde lang in der Stadt unterwegs war.

Es ist aber tatsächlich manchmal etwas schwierig, kein Google Maps mehr unterwegs nutzen zu können. Das ist, glaube ich, auch die Sache, die mir am meisten fehlt. Ich schreibe mir jetzt jedes Mal die Wege vorher auf, wenn ich an einem neuen Ort alleine unterwegs bin. Meistens funktioniert das sehr gut. Manchmal habe ich mich auch trotzdem verlaufen. Ich habe dadurch aber einen viel besseren Orientierungssinn bekommen, weil ich mir besser merke, wo ich bin. Und ich habe gemerkt, dass das gar nichts Schlimmes ist, sich zu verlaufen. Man entdeckt neue Orte, an die man sonst nicht gekommen wäre. Ich hatte auch immer sehr schöne Erlebnisse und komme viel häufiger mit Menschen ins Gespräch, weil ich sie nach dem Weg frage. Alle sind bis jetzt immer super lieb und hilfsbereit gewesen und ich wurde sogar schon ein paar Mal bis zu dem Ort begleitet, an den ich musste. Und die meisten Menschen freuen sich ebenfalls, wenn sie einem helfen können und ein kurzes, nettes Gespräch haben.

Ein paar andere, manchmal etwas nervige Punkte ohne Smartphone sind: Man kann keine Fotos unterwegs machen. Tippen am Tastenhandy dauert viel länger als am Smartphone. Und es macht die ganze Corona- und Testsituation noch ein bisschen aufwendiger. Aber es ist auch heutzutage nicht unmöglich, ohne Smartphone zu leben, auch wenn sich das häufig so anfühlt, so lange man eines besitzt. Und vor allem gibt es für alles eine Lösung, wenn man ein bisschen kreativ ist: Fotos von Freund*innen machen lassen oder mit einer Kamera. Telefonieren statt tippen. Ausdrucken statt digitale Dokumente. Und bis auf die paar genannten Dinge fehlt mir auch nichts in meinem Leben. Die allermeisten Sachen kann ich noch genauso wie vorher zu Hause über meinen Laptop machen und Musik höre ich unterwegs wieder über meinen MP3-Player. Der einzige Unterschied ist, dass ich vieles nicht mehr ständig und von unterwegs aus machen kann. Das ist bestimmt nicht für jede*n etwas und sicherlich ist einiges wirklich ein bisschen komplizierter.

Aber für mich überwiegen die unglaublich vielen positiven Aspekte gegenüber den genannten Kleinigkeiten. Zusätzlich zu den oben genannten Nachhaltigkeitsaspekten fühle mich viel entspannter dadurch, dass ich nicht ständig über so viele Wege erreichbar bin. Über Anruf und SMS erreichen mich nur die für den Moment wirklich notwendigen Nachrichten. Außerdem habe ich wirklich viel mehr Zeit dadurch, dass ich nicht mehr ständig am Handy hänge. Diese fülle ich mit neuen Hobbys. Manchmal nutze ich sie auch einfach nur, um entspannt mit einem Tee dazusitzen und aus dem Fenster zu schauen. Und ich bin produktiver geworden innerhalb der letzten sechs Monate. Zum einen ebenfalls auch die frei gewordene Zeit. Und zum anderen, weil ich meine Arbeit nicht mehr ständig durchs Handy unterbreche. Ich mag es auch wirklich gerne, coole Begegnungen mit Menschen zu haben, nur weil ich sie nach dem Weg oder nach der Uhrzeit frage. Ich nutze auch mein eigenes Gedächtnis wieder viel mehr, weil ich nicht mehr alles jederzeit nachschauen kann. Deswegen speichere ich Öffnungszeiten, Wege und anderes wieder viel mehr in meinem Kopf ab. Und ich bin generell viel unabhängiger. Ich bin nicht mehr aufgeschmissen, wenn mein Akku leer ist und ich mein Ladekabel nicht dabei habe. Und ich habe nicht mehr ständig den Moment, dass ich mehrmals täglich mein Handy suche, weil ich es mal wieder an einem abwegigen Ort abgelegt habe. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich wieder viel bewusster im Moment lebe. Wenn ich mich mit Freund*innen treffe, dann beschäftige ich mich wirklich den ganzen Abend mit ihnen. Ich lasse mich nicht von Nachrichten von anderen Menschen ablenken, die ich zu einem späteren Zeitpunkt genauso gut lesen und beantworten kann. Wenn ich einen Spaziergang im Wald mache, dann bin ich wirklich zu hundert Prozent da und genieße die Natur um mich herum. Ich kann dann nicht noch schnell nachschauen, ob ich eine neue Mail von der Uni habe. Morgens nach dem Aufwachen stehe ich entweder direkt auf oder träume noch kurz in den Tag und hänge nicht zuerst an meinem Handy. Und abends lese ich lieber noch kurz in einem Buch und schlafe dann entspannt ein.

Ich habe nach diesen sechs Monaten absolut kein Bedürfnis mehr, zum Smartphone zurückzukehren, auch wenn so alles manchmal ein bisschen komplizierter und aufwendiger ist. Aber ich bin auch viel zufriedener, entspannter und ausgeglichener und habe ein gutes Gewissen.

Hier noch ein paar spannende Beiträge zum Thema Smartphones:

Artikel von Kirstin Seitz: umgekrempelt: Eine Zeit ohne Handy

Beitrag vom Bayerischen Rundfunk: Smartphone-Sucht: Wenn das Handy das Leben übernimmt

Eine Dokumentation über den Abbau von Mineralien im Kongo, die für die Herstellung von Smartphones benötigt werden: Blood In The Mobile (ganzer Film auf Englisch)

Artikel vom ZDF: „Fast Phone“ das dreckige Geschäft mit unseren Smartphones

Greenpeace Report: 10 Jahre Smartphone

Artikel vom Umweltbundesamt: Tipps für den richtigen Umgang mit Smartphones und Tablets

Beitragsbild: Leonie Vogelsang