Das Pilotprojekt „studentisches Prorektorat“ ist bereits vor seinem Start schon wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet. In diesem Kommentar setzt sich unser Redakteur mit möglichen Gründen auseinander und hinterfragt die Rolle der Kommunikation in der Hochschulpolitik der letzten Monate aus studentischer Perspektive.
Stille ist ein (un-)ausgesprochen spannendes Phänomen. Im leisesten Raum der Erde hat es noch kein Mensch länger als 45 Minuten ausgehalten, denn die Abwesenheit von Schall erzeugt ein extrem bedrückendes Gefühl. Ein Gefühl, wie eine unbeantwortete Frage im scheinbar leeren BBB der vergangenen digitalen Senatssitzungen – Stille.
Stille, neun Monate, nachdem Frau Prof. Riedel im August letzten Jahres erstmals im Studierendenparlament ihre Kandidatur als Rektorin mit dem Posten eines studentischen Prorektorats verknüpft hatte und im Oktober schließlich auch mit knapper Mehrheit gewählt worden war (ihrem Wahlerfolg bei den studentischen Senator*innen dürfte das Projekt “studentisches Prorektorat” nicht geschadet haben). Nachdem im Dezember in einem eilig zusammengeschusterten Bestimmungsprozedere Felix W. im zweiten Wahlgang mit deutlicher Mehrheit zum Kandidaten der Studierendenschaft ernannt und im Dezember die Grundordnung der Universität geändert worden war, um einen vierten Posten im Prorektorat zu etablieren. Und schließlich, nachdem Felix W. in einem sich über Wochen ziehenden Briefwahlverfahren im dritten Wahlgang nicht zum studentischen Prorektor gewählt wurde. Es ist viel passiert in den letzten Monaten.
Kein Kommentar
Wahlen werden durchgeführt, um Entscheidungen zu treffen. Nicht erfolgreiche Wahlgänge gehören also zum politischen Tagesgeschäft und das ist gut und richtig so, denn nicht alle kandidierenden Personen sind für alle Ämter auch tatsächlich geeignet. Darüber kann und muss geredet werden – eine gesunde Demokratie beruht auf gesunder Kommunikation. Nur so ist eine Hochschulpolitik möglich, die allen nützt. Und nur so lassen sich unglückliche Szenarien wie das jetzige vermeiden: Inmitten einer Pandemie steht die Studierendenschaft ohne Vertretung in ihrem höchsten, frisch geschaffenen, hochschulpolitischen Amt da. Vorsichtig formuliert, diese Situation ist suboptimal.
Suboptimal, denn es sind gerade auch Studierende, die zu den großen Verlierer*innen der aktuellen Krise gehören. Wie alle anderen Bevölkerungsgruppen sind auch sie von wirtschaftlicher Unsicherheit und sozialer Isolation betroffen. Und das in einem Lebensabschnitt, der wesentlich dafür ist, Grundsteine für den weiteren Werdegang zu legen, privat wie insbesondere auch akademisch. Dem gegenüber stehen von Seiten der Universität vielfach Lehrkonzepte, die auch im Jahr 2021 und im dritten Online-Semester oft noch sinnbildlich für den digitalen Analphabetismus des deutschen Bildungssystems sind. Hinzu kommen offene Fragen wie etwa zu pandemiebedingten Verlängerungen der Regelstudienzeit, zusätzlichen Prüfungsversuchen, der Anerkennung, bzw. Erbringungsmöglichkeit praktischer Leistungen und vielem mehr. Fragen, für deren Beantwortung es eine starke Stimme der Studierendenschaft bräuchte. Gerade jetzt wäre es unbedingt notwendig, die Studierenden in wesentliche Entscheidungen einzubeziehen. Diese unbekannte, dynamische Situation benötigt frische Impulse, zu denen das neue Amt eines studentischen Prorektorats maßgeblich beitragen könnte. Stattdessen geht es nicht so recht voran. “Typisch”, würde die sowieso schon viel zu große Gruppe der Hochschulpolitik-Verdrossenen den Fortschritt wohl kommentieren.
Und wie kommentiert der Senat diese Situation, an der er nicht ganz unbeteiligt ist? Gegenüber der Öffentlichkeit quasi gar nicht. Bestenfalls ist von einigen Senator*innen zu hören, dass sie dazu nichts Konkretes sagen können. Das ist nicht nur irritierend für Mitglieder eines gewählten Gremiums, sondern auch ein echter Schlag ins Gesicht aller hochschulpolitisch engagierten Studierenden, die auf eine offene Kommunikation angewiesen sind. Und zudem ist es gefährlich, denn Stille ist ein Katalysator für Spekulation und Chaos. Nach drei gescheiterten Wahlgängen über zwei Monate hinweg stellt sich natürlich die Frage nach dem „warum“. Und außerdem die Frage, warum nicht darüber gesprochen wird, denn so überschlagen sich die Gerüchte.
Die Gerüchteküche brodelt
Womöglich war es das Ziel einiger Senator*innen, die Position der, gerade erst in Amt und Würden eingeführten, Rektorin zu schwächen. Die Etablierung des studentischen Prorektorats war im Wahlkampf schließlich eines der zentralen Versprechen von Frau Prof. Riedel an die Studierendenschaft gewesen. Dementsprechend ist das Stolpern dieses Projekts im ersten Anlauf für sie auch eine persönliche Niederlage. Vielleicht ist es sogar eine direkte Retourkutsche für die nicht erfolgte Bestätigung des Kanzlers der Universität, die im Hintergrund ebenfalls für Unmut gesorgt hatte. Werden hier also interne Machtkämpfe auf dem Rücken der Studierendenschaft ausgetragen?
Fest steht, dass unter einigen Senator*innen immer noch grundsätzliche Zweifel am studentischen Prorektorat bestehen. Als die Stille in der Senatssitzung am 21.04. ein nicht mehr erträgliches Ausmaß erreicht hatte, wurde sogar kurz darüber gesprochen. Leider äußerten sich jedoch nicht die kritischen Senator*innen selbst. Als Mediator führte ein anderes Mitglied Argumente an, die ihm gegenüber in Gesprächen außerhalb der Sitzungen geäußert worden seien. Demnach seien sich einige Senator*innen des Nutzens nicht bewusst, den dieser Posten bieten solle. Studierende seien bereits in diversen Gremien vertreten und würden von der Hochschulleitung angehört. Zudem bestünden in Teilen des Senats grundsätzliche Zweifel daran, ob Studierende in ihrem Ausbildungsstand überhaupt für so ein hohes Amt geeignet seien. Angesichts des eigenen Verhaltens der kritischen Senator*innen in diesem Moment wirkte diese Aussage geradezu zynisch – möchte man der Studierendenschaft die Eignung für höhere Posten kollektiv aberkennen, nur weil altgediente Senatsmitglieder der Ansicht sind, würdevoller schweigen zu können (offensichtlich eine Grundvoraussetzung in der Hochschulpolitik)? Wenn es eine klassische studentische Eigenschaft gibt, dann doch wohl die des In-(Online-)Sitzungen-die-Klappe-Haltens.
Zyniker*innen würden nach dieser Logik wohl zudem hinterfragen, wozu Dozierende im Prorektorat nötig sind. Gleich zwei an der Zahl, obwohl Professor*innen doch bereits in diversen Gremien vertreten sind und in Ausnahmefällen durch die Studierendenschaft sogar in Vorlesungen angehört werden. Und außerdem sollte die Frage erlaubt sein, welchen Nutzen ein Senat bietet, in dem nicht diskutiert, sondern Probleme bestenfalls hinter verschlossenen Türen angegangen oder schlimmstenfalls einfach totgeschwiegen werden. In den Sitzungen war weder bei der Vorstellung der Kandidierenden, noch zwischen den Wahlgängen oder nach dem Scheitern im dritten Anlauf über Gründe gesprochen worden, warum ein großer Teil der Senatsmitglieder Felix W. offensichtlich nicht in das Amt des studentischen Prorektors wählen konnte oder wollte. Sicherlich kann das Problem auch in der kandidierenden Person selbst liegen, aber auch darüber könnte man sprechen. Wieso also wird ein Kandidat nicht gewählt, über den in den Sitzungen zuvor nicht diskutiert worden war?
Einen Teil der Antwort könnte tatsächlich ein Blick in die Grundordnungsänderung vom Dezember geben. Ein “studentisches Prorektorat” wird hier nicht explizit benannt. Stattdessen ist die Rede von zwei Prorektoratsposten, von denen mindestens einer nicht durch eine Person aus der Statusgruppe der Professor*innen besetzt werden soll. Ein juristisches Schlupfloch für die grundsätzlichen Kritiker*innen, das auch trotz aller Lippenbekenntnisse eben schriftlich verankert als Damoklesschwert des Misstrauens über dieser und zukünftigen Wahlen schwebt und schweben wird: Das studentische Prorektorat ist ein Amt von Gnaden des Senates, der daher wenig Druck hat, diesen Posten zu besetzen.
Flucht nach vorne
Umso interessanter wirkt insofern die Forderung einiger Senator*innen, die Studierendenschaft solle für die kommende Wahl eine Person nominieren, die den vollen Rückhalt aller Studierenden genieße. Der Senat sei optimistisch, dass die Wahl dann erfolgreich verlaufen werde. Sicherlich ist es sehr verwunderlich, dass aller Wahrscheinlichkeit nach auch einige studentische Senatsmitglieder nicht für ihren eigenen Kandidaten gestimmt haben. Das Hauptproblem ist jedoch ein anderes: Der Senat wälzt die Aufarbeitung seiner internen Kommunikationsprobleme auf studentische Gremien ab, die aber gleichzeitig, auch auf explizite Nachfrage hin, nicht über die Hintergründe der gescheiterten Wahl informiert wurden. Wenig überraschend, mit eher durchwachsenem Erfolg: Während die Fachschaftskonferenz nun nämlich beschlossen hat, das Nominierungsverfahren neu aufzurollen, war im Studierendenparlament noch vor einigen Wochen mit knapper Mehrheit entschieden worden, Felix W. erneut als Kandidaten für das Amt nominieren zu lassen. Das Chaos ist perfekt!
Optimale Voraussetzungen also, um eine Person zu finden, die den vollen Rückhalt der Studierendenschaft hat. Der Senat hat den studentischen Gremien die praktisch unlösbare Aufgabe übertragen, unter höchstem Zeitdruck ein Nominierungsverfahren zu entwerfen, das am Ende eine Person benennt, die mehr als eine deutliche Mehrheit der Stimmen – denn die hatte bereits Felix W. besessen – eines noch zu konstituierenden Bewerbungsausschusses auf sich vereint und die noch dazu bereit ist, sich womöglich in einem hochschulpolitischen Rosenkrieg instrumentalisieren zu lassen, ohne genau zu wissen von wem und zu welchem Zweck überhaupt. Wenn den studentischen Gremien dieses Meisterstück gelingen sollte, werden sie wohl drei Kreuze machen, aber hoffentlich ohne ihre Stimmzettel dadurch ungültig werden zu lassen.
Titelbild: Philipp Schweikhard