Fans der kurzweiligen Unterhaltung aufgepasst! In den letzten Monaten sind einige Plattformen auf den kunterbunten Hypetrain der Prokrastination und der Kurzvideos aufgesprungen. Google etwa orientiert sich mit dem neuen App-integrierten Format „YouTube Shorts“ eindeutig am seit 2018 rasant gewachsenen Branchenprimus TikTok. Aber auch Instagram startete 2020 mit dem Ableger „Reels“ den nächsten Schritt hin zur größtmöglichen Freizeitvernichtungsmaschine. Wie sehr ähneln oder unterscheiden sich die Anbieter heute noch und ergibt es überhaupt Sinn, die Konkurrenz so detailgetreu zu kopieren?

Kurzer Exkurs in die chinesische Social Media Landschaft und den Algorithmus des Scrollens


Vorweg: Warum sind die Kurzvideos, besonders bei TikTok, überhaupt so beliebt? Der Ursprung der Plattform liegt in China. Douyin ist der Mutterkonzern von TikTok und besitzt dort, aus westlicher Sicht durchaus überraschend, keineswegs eine Monopolstellung. Denn Kurzvideos gibt es auf verschiedensten Social Media Plattformen in China. Red, Bilibili und viele weitere können ebenfalls Millionen von aktiven Nutzer*innen vorweisen. Dass die Landschaft der sozialen Netzwerke in China so anders aussieht als beispielsweise in Mitteleuropa, liegt besonders daran, dass aus den USA stammende Apps wie Instagram dort gesperrt sind. Kurzvideos sind wiederum dort sehr beliebt, da sie die Doppelfunktion als schnelle Ablenkung für zwischendurch, wie auch als vielfältige Unterhaltung für einen längeren Zeitraum bieten.

Warum aber weist TikTok, beziehungsweise Douyin, nun eine mit durchschnittlich etwa 60 Minuten pro Tag und Person so lange Bildschirmzeit auf? Die große Nutzungsdauer geht aus dem hervor, was TikTok gegenüber den anderen Plattformen der westlichen Welt einzigartig gemacht hat: Das Erste, was wir zu sehen bekommen, ist nämlich kein Feed, der aus aktiven „Follows“ bestimmter Kanäle hervorgeht, wie bei klassischen Social-Media-Plattformen. Stattdessen erhalten alle Nutzer*innen auf der sogenannten „For you“-Seite eine durch künstliche Intelligenz berechnete persönliche Auswahl an Videos, die für die Konsument*innen interessant sein könnten. Diese lernt aus allem, was sich jede einzelne Person ansieht und berechnet daraus, was sie in Zukunft vermutlich gerne sehen möchte. Das funktioniert oft so gut, dass User*innen größtenteils tatsächlich nur Videos angezeigt bekommen, die sie gerne ansehen. Daher bleiben die TikTok-Nutzer*innen länger am Bildschirm, als würden weniger individualisierte Inhalte gezeigt werden. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass TikTok über den Tag hinweg oft mehrfach von seinen Nutzer*innen geöffnet wird und sich die einzelnen kurzen Besuche so zu einer beachtlichen Bildschirmzeit summieren könne.

Aufmerksame Social Media Nutzende werden nun sicherlich sagen: „I could’ve dropped my croissant“ oder auch: „Momentchen einmal, wenn es um Kurzvideos geht, was ist dann mit Vine?“ Vine war eine Plattform, die den Kurzvideomarkt von 2013 bis 2017 geprägt hat. So konnten viele Nutzer*innen dort humoristische Kurzsketche oder anderen Spaß veröffentlichen. Zum Bedauern wurde die Seite dann geschlossen, da der Mutterkonzern Twitter seine Ausgaben kürzen wollte. Warum Vine zwar erfolgreich war, aber anscheinend nie so rentabel wie TikTok sein konnte, liegt vermutlich daran, dass die Plattform nur in geringem Umfang von künstlicher Intelligenz gesteuert war. Die Nutzer*innen waren darauf angewiesen, aktiv Videoersteller*innen zu folgen, und darauf zu hoffen, dass diese neue gute Inhalte produzieren. War das nicht der Fall, mussten eigenhändig andere Benutzer*innen gefunden werden. Daher war die App deutlich weniger attraktiv und arbeitsintensiver als beispielsweise TikTok.

Hat Youtube das kurze Höschen an?

Im März nun wollte Google ebenfalls endlich ein Stück von der Torte abhaben und hat auf YouTube den eigenen Kurzvideoanbieter „Shorts“ gestartet. Zuvor war es zwar bereits möglich mit #Shorts speziell kurze Videos zu markieren. Diese waren bislang aber nicht auf der Startseite zu sehen, wie es nun der Fall ist. Außerdem konnten die neuen Werkzeuge zur Erstellung der Kurzvideos noch nicht verwendet werden. In der aktualisierten Form fällt sofort auf, dass das Design sehr an den Konkurrenten TikTok erinnert. Horizontal kann ein Video von 15 bis 60 Sekunden nach dem anderen angeschaut werden, ohne dass der Fluss je zum Erliegen kommt. Beim Erstellen von Videos sind alle grundlegenden Funktionen wie Aufnahme, Vertonung, Filter oder Schnittfunktionen verfügbar.

Jedoch ergeben sich auch bereits die ersten Unterschiede. Es fehlen bislang Möglichkeiten, auf Beiträge von anderen „Creators“ in Kollaborationen oder Reaktionen Bezug zunehmen. Damit ist eine für TikTok sehr wichtige Funktion noch nicht verfügbar. Dort ist es möglich TikToks von anderen Nutzer*innen auszuwählen und dann darauf zu reagieren, was zur Folge hat, dass beide Videos dann parallel anschaubar sind. Das hatte der chinesischen Plattform besonders in der Anfangsphase viel Aufmerksamkeit verschafft, da die Videos eine interaktive Dynamik erreichen konnten. Songs mit einem großen Wiedererkennungswert, wie aktuell das See Shanty Lied „Wellerman“ bieten sich dazu besonders an. YouTube stellt daher selbst fest, dass sich „Shorts“ noch in den Kinderschuhen befinde. So soll aktiv daran gearbeitet werden, dass die Nutzer*innen sich in ihren Videos direkt auf andere YouTube-Videos beziehen können. Einen großen Erfolg kann „Shorts“ jedoch bereits im Bereich von Musik und Audio verzeichnen. Die Plattform hält Lizenzen von hunderten Musiklabels, darunter auch Warner Music, Sony Music und Universal Music.

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Bei der YouTube „Shorts“-Funktion, die für alle in der App verfügbar ist, kann außerdem leicht festgestellt werden, dass die Videos ebenfalls personalisiert und automatisiert ausgewählt sind. Das ist sehr ähnlich zu der klassischen Startseite, bei der man eine Mischung präsentiert bekommt, die sich aus Abonnements, häufig geschauten und allgemein beliebten Videos zusammenstellt. YouTube hat hierbei gegenüber neuen Plattformen den Vorteil, dass es die bereits über einen längeren Zeitraum gesammelten individuellen Nutzungsdaten auch in „Shorts“ verwenden kann. Nach ein paar Tests ist jedoch zu merken, dass sich der Algorithmus der Startseite von dem der „Shorts“ Funktion unterscheidet. Denn nachdem ich für eine Weile nur „Shorts“ mit dem Themenbereich Schach angeschaut habe, ergab sich, dass in dem „Feed“ zum größten Teil Schachvideos vorgeschlagen wurden. Die Vorschläge der Startseite änderten sich jedoch nicht. Außerdem ist festzustellen, dass die Kurzvideos in keinem Fall eine so prominente Rolle einnehmen, wie es bei TikTok und der „For you“ Funktion der Fall ist. Das Gleiche wird auch bei Instagram und den „Reels“ deutlich, da es nur eine Funktion von vielen ist neben den regulären Beiträgen, „IGTV“ oder den „Storys“.

Schnell!! Rauf da auf den Markt!!

Warum kopieren Instagram oder YouTube dann überhaupt TikTok, wenn die App durch Algorithmen so optimiert ist? YouTube stellt als Grund den leichteren Einstieg für neue Benutzer*innen in den Vordergrund. Das hat den Grund, dass neue Videos einfach in der App aufgenommen, geschnitten und mit Effekten versehen werden können. Ein wohl noch ausschlaggebenderer Faktor kann aber am Beta-Testing der neuen Funktion erkannt werden. YouTube „Shorts“ wurde bereits im letzten Jahr mehrere Monate in Indien getestet. Dass diese Tests speziell in Indien gemacht wurden, hatte wohl einen ganz konkreten Grund: TikTok wurde im Sommer 2020 in Indien, wie auch andere chinesische Apps, aufgrund politischer Uneinigkeiten gesperrt. Dadurch war auf dem indischen Markt für „Shorts“ plötzlich ein großes Vakuum entstanden. Das wiederum machte Indien nun sehr attraktiv für andere Plattformen. Ein ähnliches Szenario könnte sich auch in den USA ergeben: Über die Sperrung von TikTok wird dort aktuell noch verhandelt. Es deutet sich aber an, dass die chinesische Firma einen gleichnamigen amerikanischen Ableger gründen wird, der dann auch in Zukunft in den USA bereitstehen soll. 
Doch auch die Sperrung einzelner Anbieter macht die Konkurrenz nicht unbedingt einzigartiger. Durch das Kopieren des Prinzips von TikTok ergab sich für Instagram „Reels“ ein Problem, welches vermutlich auch bei „Shorts“ auftreten wird: Die Benutzer*innen kopieren ihre Inhalte und verwerten sie so auf allen Plattformen gleichzeitig. Das führt dazu, dass sich die Seiten noch mehr ähneln. YouTube hat bereits angekündigt, durch die Unterstützung von „Creators“, die Kurzvideos exklusiv und speziell für ihre Plattform produzieren, dagegen steuern zu wollen.

Schlussendlich ist zu bemerken, dass es doch Gründe gibt, warum der Markt der Kurzvideos trotz der Vormachtstellung von TikTok immer noch umkämpft ist. Besonders politische Unstimmigkeiten und die daraus resultierenden Sperrungen von Apps wirbeln ihn immer wieder auf. Trotzdem sollten konkurrierende Plattformen versuchen, sich Alleinstellungsmerkmale zu suchen, wie es YouTube „Shorts“ mit verschiedenen, noch im Aufbau steckenden, Funktionen, wie der Reaktionsmöglichkeit auf YouTube Videos probiert. Am Ende bleibt nur die Devise, die auch Limp Bizkit schon (fast) besungen haben: Keep Scrollin‘, Scrollin‘, Scrollin‘, Scrollin‘ (yeah).

Beitragsbild: Hello I’m Nik auf unsplash.com