Weihnachtszeit ist Vorfreude und Geheimnistuerei, Nächstenliebe und Besinnung. Sie duftet nach heißem Glühwein, frisch gebackenen Keksen und mühsam gepellten Mandarinen. Der Dezember lebt von kleinen Aufmerksamkeiten und Traditionen, wie den Adventssonntagen mit der Familie, dem mit Süßigkeiten gefüllten Schuh am Nikolausmorgen und dem täglichen Öffnen des Adventskalenders. Weißt du noch, wie du jeden Tag vor Weihnachten aufgeregt aufgestanden bist, um vorfreudig zu deinem Schokoadventskalender zu tappen? Die moritz.medien verstecken das Weihnachtsgefühl hinter 24 Fenstern. Im heutigen Fenster: Ochse und Esel.

Seit heute bin ich stolzer Besitzer einer Katze. Oder zumindest darf ich für eine Woche auf sie aufpassen und ganz so stolz bin ich dann tatsächlich auch nicht. Immerhin sind die Katze und ich uns noch nicht so richtig grün oder zumindest scheint sie mehr Gefallen an den Bändern meines Rucksacks zu finden als an mir. Also sitze ich erst einmal hier auf dem Boden und beobachte die Katze genauso skeptisch wie sie mich über den Rand meines Laptops hinweg.

Ich denke über das unergründliche Verhalten von Tieren nach. Wie ausdruckslos ihre Gesichter manchmal zu sein scheinen, obwohl doch so viel in ihren Köpfen vor sich geht. Katze ist da genauso. Katze hat keine Emotionen in ihrem Gesicht, keine Worte für mich, Katze hat nicht einmal einen Namen. Das Argument ihrer Besitzer: Sie ist so ein eigenständiges Wesen. Warum sollten wir ihr also einen Namen geben? Weil doch jedes Tier einen Namen hat, in Filmen, Serien, Büchern, und wenn man es nach seinem Lieblingskochrezept benennt. Tiere haben Namen zu haben. Oder?

Wie hießen eigentlich Ochs und Esel? Und wieso heißen sie Ochs und Esel und nicht Esel und Ochs? Zumindest heißen sie so auf ihrer Wikipedia-Seite, die sie sich teilen. So wie ihren Platz an der Seite vom Jesuskind. Also praktisch nur Sidekicks in der Fantasy-Rom-Com Geburtstagsfeier. Wie Rosenkranz und Güldenstern. Vielleicht sind sie also doch nicht so eigenständig wie die Katze und verdienen gar keinen Namen. Oder dann erst Recht?

Katze kommt auf mich zu und stupst mir mit der Schnauze gegen den Oberschenkel, bevor sie mich zwei Mal umkreist und dann wieder in sicherem Abstand von mir Platz nimmt. Ich scheine auf der richtigen Spur zu sein.

Zwar ergänzt mein Handy die Suchfrage „Wie heißen Ochs und“ automatisch mit „Esel“, aber wirklich fündig werde ich bei der Recherche nicht. Scheint sich noch niemand gefragt zu haben. Dafür klingt der Artikel „Woher kommen Ochs und Esel?“ ganz spannend, denn das habe ich mich vorher noch gar nicht gefragt: Sind sie schon in dem Stall geboren oder erst dort hingezogen? Kommen sie aus Bethlehem oder mussten sie auch für die Volkszählung anreisen (und haben ebenfalls kein freies Hotelzimmer mehr bekommen)? Sind Ochs und Esel eigentlich zusammen?

Der Artikel gibt mir darauf keine Antworten. Oder vielleicht doch, nur indirekt. Denn irgendwie kommen Ochs und Esel weder aus Betlehem, noch wurden sie aus den Hotels der Stadt gekickt, aber ein Paar sind sie in gewisser Weise schon. Die beiden sind nämlich gar kein Teil von Jesu’ biblischer Geburtstagsparty. Aber sie sind gemeinsam (und erst lange nach Jesu’ Geburt) ein Teil davon geworden.

Aus dem finalen Stück rausgestrichen und doch immer dabei

Ihren ersten Cameo haben Ochs und Esel bereits im Alten Testament. Hier werden sie gemeinsam in einem Vers im Buch Jesaja erwähnt: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht“ (sogar die Krippe wird hier schon mal genamedropped … sneaky). Ochs und Esel fühlen also beide die Zugehörigkeit zu ihrem Besitzer oder Herrn. Und Jesus wird als Herr der Menschen oder zumindest der christlichen Menschen angesehen, während sein Vater Gott quasi Besitzer der Menschen ist. Um zu zeigen, dass Jesus eine besondere Bedeutung für die Menschheit hat und selbst als Kind schon die Rolle ihres Herrn einnimmt, wurden später also Ochs und Esel davor gesetzt. Macht Sinn.

So einfach ist es dann aber doch nicht. Denn die beiden Tiere werden zwar in den vier Evangelien nicht erwähnt, die heute das Neue Testament der Bibel ausmachen. Das heißt aber nicht, dass es sie in biblischen Texten nicht gibt. Tatsächlich kommen sie nämlich im sogenannten Pseudo-Matthäus-Evangelium vor, einem der apokryphen Texte, also jenen, die aus inhaltlichen Gründen oder einfach aus Platzmangel nicht in die fertige Bibel mitaufgenommen wurden. Hier wird auch Jesu’ Kindheit näher betrachtet und auch Ochs und Esel werden als Deko an seiner Krippe genannt. Im Mittelalter kannte man die apokryphen Texte noch, man nutzte sie als Grundlage für lyrische Texte und führte Mysterienspiele auf, die an ihnen orientiert waren. Sie machten sich nämlich hervorragend als be­liebte Statisten – dem gemeinen Volk waren sie bekannt genug, um einen Hauch von Alltag in die Krippenszene zu bringen und Buchnerds, die das Alte Testament schätzten, freuten sich über das Comeback der alten Stars aus Jesaja.

Aber auch das scheint als Antwort auf die Frage, wer Ochs und Esel überhaupt sind, nicht zu genü­gen. Denn andere Quellen sehen neben ihrer Popularität als alttestamentarische recurring characters aus dem einfachen Volk vielmehr eine symbolische Bedeutung der beiden. Manche halten sie für eine Mahnung, da ja auch der kurze Auftritt im Alten Testament als Kritik am Volk Israel verpackt wurde, dass diese ihren Gott nicht mehr erkennen konnten oder wollten. Franz von Assisi (ein wahrer Theaterliebhaber – er war der Erste, der zu Weihnachten ein Krippenspiel veranstalten ließ) wollte damals das gemeine Volk als Darsteller für seine Aufführung haben. Um die Schlichtheit der Krippenszene noch weiter zu verdeutlichen, forderte er die Menschen auf, auch einen Ochsen und einen Esel mitzubringen. Dabei soll ein solcher Wettkampf entstanden sein, dass ein Richter ent­scheiden musste, welcher Ochse und welcher Esel denn jetzt auftreten dürfe. Zum großen finalen Song des Stückes sollen übrigens auch Ochse und Esel (also die, die am Ende die Rolle bekommen haben) in lautstarkes Geschrei eingefallen sein (es ist nicht überliefert, ob ihnen vielleicht einfach die Musik nicht gefallen hat). Wieder andere sehen, beruhend auf dem Jesaja-Text, in dem Ochsen das Volk Israel und in dem Esel die Heiden. So könnte man sogar sagen, Jesus vereinigt alle Völker, unabhängig vom Glauben, vor seiner Krippe.

Katze ist mittlerweile eingeschlafen. Sie hat sich noch von mir den Bauch kraulen lassen und dabei genüsslich geschnurrt. Ich glaube, das mit der Freundschaft wird langsam. Eine Woche und sie wird der Ochse zu meinem Esel sein. Oder anders herum. Aber spielt das überhaupt eine Rolle? Egal, welche Interpretation man sich anschaut, um eines geht es dabei in allen: Gleichheit. Eine Gleich­heit verschiedener Völker, eine Gleichheit des gemeinen und des besser betuchten Volkes, eine Gleichheit der Menschen und dem Jesuskind, Gott. Und wenn Ochse und Esel eine solch wichtige Funktion erfüllen – welche Bedeutung spielen dabei schon Namen?

Titelbild: Julia Schlichtkrull
Beitragsbild: Alexas_Fotos auf Pixabay