Obwohl inzwischen fast ein Dreivierteljahr vergangen ist, seitdem das Wort “Coronavirus” unsere Schlagzeilen prägt, sind die Pandemie und die damit einhergehenden Konsequenzen immer noch allgegenwärtig. Vor allem kleine Unternehmen und Betriebe bekommen die Auswirkungen zu spüren. So auch das Greifswalder Küstenkind: Das Café, das Anfang 2018 von den Studentinnen Debora und Samin eröffnet wurde, hatte sich zu einem Treffpunkt für Studierende etabliert, um gemütlich einen Kaffee zu trinken und das Treiben auf der Langen Straße zu beobachten. Und dann plötzlich: Ladenschließung, Lockdown, Lieferservice. Wir haben beim Café Küstenkind nachgehakt, wie sie auf die Pandemie reagiert haben und wie sie heute mit der Situation umgehen. Das Gespräch mit Samin lest ihr hier.

moritz.medien: Am 22. März 2020 mussten offiziell alle Gastronomiebetriebe in Deutschland schließen. Wie lief das bei euch?

Samin: Wir haben ein bisschen früher geschlossen. Wir haben zwar versucht, alle Regelungen einzuhalten, die veröffentlicht wurden, aber der Druck auf Instagram war sehr hoch. Das ist völlig okay, aber das war das erste Mal, dass wir mit äußerem Druck konfrontiert wurden. Wir haben dann beschlossen, zu schließen, auch wenn das für uns mit Verlusten einherging.

m.m: Man hat in den umliegenden Ländern ja schon die verschiedenen Reaktionen auf das Virus beobachten können. Trotzdem haben einige Gastronomiebetriebe nicht mit der Schließung gerechnet. Inwiefern wart ihr auf die Schließung vorbereitet?

Samin: Das kam schon völlig aus dem Nichts. Der Montag war schon ein bisschen leer, da haben wir uns gedacht: “Wie wird das jetzt in der nächsten Zeit? Schaffen wir das jetzt von den Umsätzen, wenn das so ruhig bleibt?” Am Dienstag (17. März, Anm. d. Red.) haben wir noch einen halben Tag gemacht und dann haben wir entschieden, dass das überhaupt keinen Sinn macht und haben zugemacht.

m.m: Wie war euer Vorgehen nach der Schließung?

Samin: Erst dachten wir, wir lassen einfach geschlossen. Wir arbeiten sowieso sehr viel, haben ein Studium nebenbei. Wir haben uns gedacht, vielleicht ist das jetzt mal die Möglichkeit, runterzufahren und auch mal was für einen selbst zu tun.

Zwei Tage später haben wir dann doch den Lieferservice aufgebaut. Irgendwas mussten wir machen, um die Mitarbeiter, die auf das Geld angewiesen sind, zu unterstützen. Wir haben auch recht viele entlassen müssen, aber mit einer Wiedereinstellungsklausel. Aber für diejenigen, die sich komplett selbst finanzieren, wollten wir etwas aufbauen, um weiter Gehälter zu zahlen – auch wenn es uns direkt nicht so viel gebracht hat.

m.m: Wie wurdet ihr noch unterstützt?

Samin: Wir haben das große Glück, dass wir ein extrem tolles Team haben, das von einem auf den anderen Tag eine Spendenaktion eingerichtet hat. Da waren wir total überwältigt, weil sie jeden Tag auf Instagram gepostet und erinnert haben. Da kam so viel Geld zusammen, knapp 2000€. Wir haben dafür gar nichts gemacht und die Küstenkinder haben sich so dahintergeklemmt und so einen Wirbel gemacht. Das war nicht nur finanziell eine Unterstützung.

Es war so bewundernswert, dass Leute, die gerade ihren Job verloren haben, so an dem Café und auch an uns hängen und ihr Geld abgeben, obwohl sie gerade gar keins verdienen. Das war phänomenal. Davon waren wir sehr gerührt und das hat uns total Mut gemacht. Wir wussten, es ist eine blöde Situation, wir müssen wie in der Gründungsphase arbeiten. Aber wenn man dann Leute hat, die einen unterstützen, fällt das wesentlich leichter.

Eine Erleichterung waren auch die Zuschüsse vom Staat. Die Summe hat unsere Ausgaben komplett gedeckt und unser Vermieter hat uns glücklicherweise einen Aufschub gegeben und alles, was man an Steuern zahlen musste, konnte man erstmal aufschieben und später abarbeiten.

m.m: Die ganze Situation hat euch bestimmt viel Kraft gekostet und ihr musstet viele Mitarbeitende entlassen. Habt ihr zwischendurch Angst gehabt, euer Café komplett schließen zu müssen?

Samin: Ja, uns hat sich die Frage gestellt: Wie viel Geld lohnt es sich, hier rein zu stecken? Wir beide studieren, ich bin dieses Semester überhaupt nicht zum Studieren gekommen. Ich möchte irgendwann mal fertig werden und dann in dem Job als Psychotherapeutin arbeiten. Wenn man irgendwann den Absprung vom Café schaffen will und nicht mehr hauptberuflich hier arbeiten möchte, muss man sich überlegen, wie viel man hier noch finanziell investieren möchte – das war die ganze Zeit im Hintergrund.

Wir hatten eigentlich ein extrem gut laufendes Unternehmen, das gut strukturiert war. Die Mitarbeiter waren so gut eingearbeitet, dass alles von alleine lief und wir müssen nicht mehr jeden Tag da sein. Durch die Umstände mussten wir plötzlich wieder 16 Stunden am Tag arbeiten und hatten gar kein Geld. Das war schon beängstigend, denn mit sowas rechnet man gar nicht. Das Verwirrende war, dass man gute Arbeit geleistet hat, gute Rückmeldung bekommen hat – das hat aber einfach keine Auswirkungen gehabt.

m.m: Wie hat sich die Pandemie sonst noch bemerkbar gemacht?

Samin: Witzigerweise war es eine Zeit lang ein großes Problem, Hefe zu bekommen. Da habe ich meine Mitarbeiter immer beauftragt, Ausschau zu halten und mir sofort Bescheid zu sagen. Das war absurd, denn das ist etwas, was man eigentlich selbstverständlich hat.

m.m: Euer Café ist inzwischen seit Anfang Mai wieder geöffnet. Habt ihr Unterschiede im Betrieb zu „vor Corona“ gemerkt?

Samin: Das war ganz lustig, weil Debora und ich da unterschiedlicher Meinung waren. Ich habe gedacht, die Leute trauen sich nicht und wir müssen nicht so viel vorbereiten und bestellen. Debora dachte, die Leute werden direkt den Laden stürmen.

Es hat zwei Tage gedauert, in denen alle ein bisschen abgewartet haben und geguckt haben, was die anderen machen. Die Leute waren dann aber wahrscheinlich auch dankbar, mal wieder rauszukommen. Nach zwei Tagen ging es los und wir kamen gar nicht hinterher. Die Hygienemaßnahmen sind natürlich ein größerer Mehraufwand und eine Aufgabe, die dazugekommen ist. Aber die Leute nehmen es dankend an.

Wir haben mehr Touristen hier, ganz Deutschland macht hier gerade Urlaub. Es war schon immer eine stark besuchte Zeit im Sommer, aber nicht in diesem Ausmaß.  Wir haben bessere Umsätze als im Jahr vorher, obwohl wir weniger Tische haben.

m.m: Welche Hygiene-Maßnahmen habt ihr im Küstenkind getroffen?

Samin: Wir dürfen nichts mehr auf den Tischen stehen haben, was von mehreren Gästen gleichzeitig benutzt werden könnte, also Salz- und Pfefferstreuer oder Besteck, weil die jedes Mal desinfiziert werden müssten.

Wir wollten eigentlich immer ganz viel auf Plastik verzichten und jetzt haben wir laminierte Karten, weil es nicht anders geht. Wir hatten zwar mal mit QR-Codes auf den Tischen angefangen, leider ist das schwieriger als gedacht. Bei einigen Handys funktioniert es gut, manche Leute sind da affin, andere dafür eher nicht so. Deswegen geben wir wieder Karten raus und die müssen immer desinfiziert werden.

Die Leute dürfen sich nicht mehr mit mehreren Parteien an einen Tisch setzen, man darf sich keine Decken nehmen, keine Polsterkissen haben. Wir müssen unsere schönen Möbel mit Plastikfolie abdecken, weil alles desinfizierbar sein muss.

Man ist viel am Erklären, was die Regeln sind und warum wir das machen müssen. Da fühlt man sich manchmal ein bisschen belehrend.

m.m: Gibt es auch manchmal Probleme mit Kund*innen, die sich nicht an die Maßnahmen halten wollen?

Samin: Es gibt die klassischen Maskengegner, die einem dann passiv-aggressiv zu verstehen geben: „Ich verstehe sie nicht unter ihrer Maske, können Sie die bitte absetzen?“.  Wir haben uns die Regel ja nicht ausgedacht, dass wir Maskenpflicht haben möchten und die ganze Zeit Desinfektionsmittel benutzen wollen – das Rumsprühen ärgert nämlich auch viele.

Da muss man dann erklären, dass das die Vorschriften sind und wir das ja für uns alle tun. Es sind Anweisungen vom Staat, und oft müssen unsere Kellner dann ertragen, dafür angegangen zu werden.

m.m: Wie würdet ihr mit einer zweiten Welle umgehen?

Samin: Ich würde sagen, wir reagieren dann entspannter. Wir wissen jetzt, was wir leisten können. Es würde wieder einen Lieferservice geben, aber in einem kleineren Rahmen. Wir haben das ganze Verpackungsmaterial, das würde jetzt schneller funktionieren. Wir haben Rezepte, das Menü steht, man kennt die Fahrtwege.

m.m: Was würdet ihr bei einem erneuten Lockdown anders machen?

Samin: Wir haben ja beim ersten Lockdown sehr breit reagiert und hatten erst jeden Tag geöffnet. Es ist wichtiger, sich nicht zu überarbeiten und nicht super gestresst zu sein. Klar, wenn sowas zu oft passiert, wird es schwierig. Auch für Mitarbeiter, die unsicher beschäftigt sind.

m.m: Was wünscht ihr euch von eurer Kundschaft, falls es erneut zur Schließung kommt?

Samin: Wir wünschen uns eigentlich gar nichts von unserer Kundschaft, wenn wir noch mal schließen würden. Wir wünschen uns jetzt, dass sich alle an die Regeln halten. Sowohl andere Gastronomen als auch unsere Kundschaft, damit das gar nicht erst nochmal passiert und soweit kommt. Es ist frustrierend, zu versuchen, alles richtig zu machen, wenn dann nicht an allen Stellen mitgearbeitet wird.

m.m: Was liegt euch sonst noch auf dem Herzen?

Samin: Wir sind super froh über die ganze Infrastruktur, die wir über die Zeit hatten. Dass uns so viel Verständnis entgegengebracht wurde, gerade von unseren Mitarbeitern, die eine Stütze waren und keine Forderungen gestellt haben. Wir sind dankbar, für jeden, der Geduld hat, dass wir gerade versuchen die Maßnahmen so gut es geht zu erfüllen.

Das Interview wurde am 13. August 2020 geführt.

Beitragsbilder: Lilli Lipka