Weshalb die Bestätigung der Strafbarkeit des “Containerns” durch das Bundesverfassungsgericht zu einem Schlüsselmoment für eine nachhaltigere Lebensmittelpolitik werden könnte.

Wir, die Redakteur*innen der moritz.medien, machen uns natürlich auch weiterhin Gedanken über unsere Umwelt und berichten daher in einem zweiten Teil unserer Nachhaltigkeitskolumne über weitere Themen, Tipps und Gedanken, damit ihr euer Leben (noch) nachhaltiger gestalten könnt.

Containern ist strafbar. So lautet die Quintessenz der Ablehnung der Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgerichts vom 18.08.2020. Die 3. Kammer des zweiten Senats hat die Verfassungsbeschwerden zweier Studentinnen zur Strafbarkeit des Containerns nicht zur Entscheidung angenommen. Doch ein genauerer Blick auf diese Entscheidung lohnt sich!

Eine kurze Zusammenfassung des Falles: Die Studentinnen hatten in Olching (Bayern) auf dem Gelände eines Supermarktes Lebensmittel aus einer zur Abholung durch die Entsorgungsgesellschaft bereitstehenden, verschlossenen Mülltonne entnommen. Daraufhin waren sie zu jeweils 8 Sozialstunden und einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen auf Bewährung verurteilt worden. Das Gericht entschied jetzt in höchster deutscher Instanz, dass der Gesetzgeber “das zivilrechtliche Eigentum grundsätzlich auch an wirtschaftlich wertlosen Sachen strafrechtlich schützen” dürfe. In der Urteilsbegründung des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom Januar 2019 heißt es, dass der Supermarkt durch die Beauftragung der Abfallentsorgungsgesellschaft und das Verschließen der Mülltonne seinen Eigentumsanspruch an den Lebensmitteln nach § 969 BGB nicht aufgegeben habe. Dieser Einschätzung gab das Bundesverfassungsgericht statt. Zudem bestätigte es die Einschätzung, dass eine Strafbarkeit des Containerns als Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB rechtmäßig sei.

Auch wenn die Begründung in sich schlüssig ist und die Richter*innen in Karlsruhe inhaltlich kaum eine andere Entscheidungsmöglichkeit hatten, liest sich die Erklärung auf den ersten Blick wie ein herber Rückschlag für alle Menschen, die sich dafür einsetzen, die Lebensmittelverschwendung im Einzelhandel zu reduzieren. Wer versucht, durch Containern Lebensmittel vor der Vernichtung zu retten, muss sich spätestens jetzt darüber im Klaren sein, dass im schlimmsten Fall eine Verurteilung wegen Diebstahls droht. Gerade für Studierende mit einem Berufswunsch, für den ein polizeiliches Führungszeugnis oder eine Erklärung über die Straffreiheit nötig ist, kann das ein Problem werden. Der Versuch, Gutes zu tun, kann im ungünstigsten und gerade im wiederholten Fall weitreichende Konsequenzen haben (auch wenn in der Erklärung ausdrücklich die straf- und prozessrechtlichen “Möglichkeiten, im Einzelfall der geringen Schuld des Täters Rechnung zu tragen” angeführt werden).

Noch schwerer dürfte an diesem Urteil jedoch wiegen, dass es kein gutes Signal an die Supermärkte sendet. Diese können sich nun auch in letzter Instanz in ihrer Vorgehensweise bestätigt sehen, Lebensmittel zu vernichten und müssen dafür in Zukunft nicht einmal mehr auf fadenscheinige Argumente wie die Haftungsfrage bei der Entstehung von Gesundheitsschäden durch Lebensmittel aus Müllcontainern zurückgreifen.

Trotz dieses vermeintlichen Rückschlags im Kampf um einen freiwilligen nachhaltigeren Umgang mit Lebensmitteln steckt in der Beurteilung des Sachverhaltes durch das Bundesverfassungsgericht aber auch großes Potential für eine positive Entwicklung. Das Urteil kann und sollte bei genauerem Hinsehen nämlich durchaus ganz anders verstanden werden, denn:

Containern gehört tatsächlich verboten.

Der ganze Vorgang ist vollkommen absurd: Niemand sollte nachts auf fremde Grundstücke eindringen, Schlösser an Mülltonnen überwinden und sich durch Berge von Abfall wühlen müssen, um zu verhindern, dass genießbare Lebensmittel vernichtet werden. Diese Lebensmittel sind kein Abfall und dürften entsprechend auch gar nicht so behandelt werden.

Laut der WWF-Studie “Das große Wegschmeißen” aus dem Jahr 2015 werden in Deutschland jährlich ca. 2,58 Millionen Tonnen an Lebensmitteln durch den Groß- und Einzelhandel vernichtet. Das sind im Jahr gut 30 kg pro in Deutschland lebender Person, etwa 80 g pro Tag. Auch wenn es offensichtlich nicht möglich ist, eine Lebensmittelverwertung von 100% zu erreichen, verdeutlichen diese Zahlen, dass wir alle, jede einzelne Person, jährlich mehrere Kilogramm Lebensmittel containern müssten, um die Lebensmittelvernichtung im Groß- und Einzelhandel auf ein akzeptables Maß zu reduzieren.

Es ist also eindeutig, dass das Containern nicht die Lösung für dieses weitreichende Problem sein kann. Supermärkte müssen, schon im eigenen wirtschaftlichen Interesse, ihre Mengenplanung und Lieferketten optimieren. Zusätzlich ist es jedoch absolut notwendig, den Umgang mit abgelaufenen, aber noch genießbaren Lebensmitteln auch gesetzlich besser zu regulieren. Die Ansätze sind vielfältig und reichen von privaten Anbietern wie der App “too good to go” (inzwischen auch in Greifswald nutzbar!) oder der “Foodsharing”-Initiative bis hin zu staatlichen Reformen wie dem französischen Modell. Dort wurde vor etwa vier Jahren statt der Rettung die Vernichtung von Lebensmitteln unter Strafe gestellt – mit der positiven Folge, dass Einrichtungen wie die Tafel nun deutlich größere Mengen an Lebensmittelspenden erhalten.

Die strukturellen Probleme sind auch den Richter*innen in Karlsruhe nicht entgangen, weshalb sie gerade zum Ende der Erklärung im Rahmen ihrer amtlichen Möglichkeiten auch sehr deutliche Kritik üben: Sie erwähnen explizit, dass der Gesetzgeber “bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen hat.” Der letzte Absatz der Erklärung muss insbesondere aufgrund seiner Stellung im Text als direkte Handlungsaufforderung an die Politik verstanden werden: “Ob der Gesetzgeber im Hinblick auf andere Grundrechte oder Staatszielbestimmungen wie beispielsweise den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nach Art. 20a GG und im Rahmen einer Fortentwicklung von Inhalt und Schranken des Eigentums auch eine alternative Regelung hinsichtlich des Umgangs mit entsorgten Lebensmitteln treffen könnte, ist vorliegend ohne Bedeutung.”

Nach diesem Steilpass des Bundesverfassungsgerichts liegt der Ball jetzt also bei den Abgeordneten des Bundestages, die nun dafür verantwortlich sind, dass das, was richtig ist, auch endlich zu Recht wird.

Art. 20a GG: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Weiterführende Links
Übers Containern innerhalb und außerhalb Greifswalds: https://webmoritz.de/2020/01/06/late-night-shopping/
Die ganze Geschichte der beiden Studentinnen: http://olchiscontainern1.blogsport.de/

Titelbild: Free-Photos auf Pixabay
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Beitragsbilder: Philipp Schweikhard