Stellt Euch vor, es gäbe so etwas wie ein hochschulpolitisches Reservat, in dem große, lebendige AGs wieder die Vorstellungskraft der Studierendenschaft auffangen, neue Studierende begeistern und eindrucksvoll die hochschulpolitische Landschaft prägen. Wenn im StuPa oder im AStA die Energie aussetzt, könnten sie einspringen und mit Biss beweisen, dass Kontrolle bloße Illusion ist! Heute veraltete Science-Fiction … oder? Mithilfe von vier funktionierenden AGs wird ein Blick auf Funktionen, Probleme und Möglichkeiten der studentischen AG-Arbeit geworfen.

Manchmal entscheidet unser Studierendenparlament (das StuPa), dass neue, ständige AGs ins Leben gerufen werden sollen – zuletzt geschah das nach einem Vollversammlungsbeschluss (VV) mit der AG E-Sports. Neben den ständigen StuPa-Ausschüssen (Haushalt, Medien, Gamification), die gezielt bestimmte Probleme diskutieren und Expertenvorschläge an das StuPa weitergeben, sollen AGs zusätzlich eine Plattform sein, auf der man sich unverbindlich mit anderen Studierenden über ganze Themenbereiche austauschen und regelmäßig Projekte planen kann. Sowohl Ausschüsse als auch AGs sind über einen vom StuPa gewählten Vorsitz dem Studierendenparlament rechenschaftspflichtig, der*die Vorsitzende soll laut Satzung außerdem StuPa-Mitglied sein. Durch diese recht enge Bindung an die Hochschulpolitik (HoPo) teilen sich viele der AGs ihr Themenfeld mit Referaten des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA); sie sollen ihnen bei der Ideenfindung und der Umsetzung von Veranstaltungen zur Seite zu stehen. Gibt es für einen wichtigen Bereich kein passendes Referat, kann das StuPa eine AG in bestimmten Fragen zur Außenvertretung der Studierendenschaft machen. Direkt mit dem AStA verbundene AGs sind z. B. die AG Ökologie, die AG Soziales und die AG Studentische Kultur – alle mittlerweile ausgesetzt. Entweder ist das zugehörige Referat auch nicht besetzt, der*die Referent*in hat noch nie von der AG gehört oder es scheint kein Interesse aus der Studierendenschaft (im SoSe 18 immerhin ≈ 9500 Studierende) zu geben. Hier, wo Hoffnung auf Öffnung, begeisterte Mitstreiter*innen und neue Ideen war, bleibt in der HoPo eine traurige Lücke. Zwischen den staubigen Fossilien gibt es aber Leben. Eine Handvoll AGs hat sich erfolgreich über Jahre erhalten, manch eine versucht sich zaghaft wieder aufzurappeln – oder sich erstmal zu bewähren. Kann man bei ihnen etwas DNA klauen, den Staub wegpinseln und es nochmal mit dem Beleben probieren?

GRIFFIN GAMING

Die AG E-Sports ist jetzt schon ein Jahr alt. Die Sitzungen finden mit ca. zehn Teilnehmer*innen einmal im Monat live und ein weiteres Mal über Discord statt. Unter dem Vorsitz von Verena Eltmann planen sie Veranstaltungen für alle aktiven Spieler*innen, für die 24h-Vorlesung und die Ersti-Woche. Der größte Teil der Mitglieder (bis zu 140) nimmt nicht an den Sitzungen teil, sondern lässt sich über den Griffin Gaming-Discord-Server für kompetitives Spielen organisieren oder hilft online mit. Die AG braucht etwa dringend noch freiwillige Coaches – besonders für League of Legends. Ansonsten gibt es Spieler*innen für Super Smash Bros, Rocket League, Heartstone und CS Go, wenn auch deutlich weniger. Die Diskussionen, ob E-Sports wirklich ein Sport ist, kennt die AG nur zu gut. Sie hat Probleme, das Rektorat zu bewegen, Räumlichkeiten für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen; ein Sponsor wird immer noch gesucht. Sie kann Turniere deshalb erstmal nur über das Internet abhalten. Mindestens im kleinen Kreis gibt es dafür viel Motivation und Engagement. Für alle, die Interesse haben, lohnt sich der Discord-Server und gelegentlich ein Blick auf die Facebook-Seite, die AG bietet ab und zu kommentierte Streams für Turniere und eventuell auch mal das Training an.

STRUKTUR

Für alle, die sich für HoPo begeistern, eignet sich die AG-Struktur. Sie findet in der Regel aber nur einmal im Jahr statt. Die Vorsitzende Soraia Querido, in diesem Fall sogar StuPa-Mitglied und ehemalige AStA-Vorsitzende, möchte die AG dieses Jahr gleich dreimal einberufen. Zum Anfang der StuPa-Legislatur, zur Halbzeit und zum Ende soll überlegt werden, wie das StuPa, der AStA und die Medien besser strukturiert werden können. Wie bei allen AGs kann jede*r teilnehmen, viel Einarbeitung brauch es nicht. Am 28.08. diskutierten drei weitere StuPistinnen und zwei AStA-Referenten mit: Sollte man die AStA-Co-Referate Ökologie und Veranstaltungen mit kurzfristigen Beauftragungen ersetzen, weil sich dann vielleicht endlich jemand dafür interessiert? Wie kann man sonst damit umgehen, dass der AStA dauerhaft unterbesetzt ist? Wie bringt man das StuPa dazu, Probleme bis ganz zum Ende zu verfolgen? Wie hoch sind angemessene Aufwandsentschädigungen? Ein Grund, warum der Raum bei so gewichtigen Themen nicht überfüllt ist, ist wahrscheinlich, dass am Ende sowieso die StuPa-Entscheidung zählt – und die darf nun mal auch spontan nach Bauchgefühl sein. Trotzdem; guten Ideen und offener Diskussion wird hier der Raum geschaffen.

SATZUNG

Bei der AG Satzung geht es ähnlich wie bei der AG Struktur um die Verbesserung der HoPo-Arbeit. Dabei wird sich aber auf Grauzonen, Formulierungsfehler und Schlupflöcher in den Satzungen der Studierendenschaft konzentriert. Der Vorsitzende ist Marcel Gaudig, AStA-Referent für Finanzen. So wie Soraia versucht auch er aus eigenem Antrieb die Sitzungen deutlich öfter einzuberufen. Nicht wie bisher dreimal im Semester, sondern bis zu zweimal im Monat. Leider muss man sowohl für die Einladungen zur AG Struktur, wie auch zur AG Satzung zumindest im StuPa-Verteiler sein. Ein sehr häufiges Problem in der HoPo (die neue Leute eigentlich gut gebrauchen kann). In der Regel hat die AG Sitzung zwischen vier und sechs Teilnehmer*innen, größtenteils aus dem AStA. Am 17.07. geht es um den Abschnitt der Satzung der Studierendenschaft zu den moritz.medien: Ist es sinnvoll, dass das StuPa die Vertreter*innen der Medien für den Medienausschuss per Wahl erst bestätigen muss? Wer haftet eigentlich im Falle einer Klage gegen die Medien? Warum sollten die AG-Vorsitzenden laut Satzung aus dem StuPa kommen müssen (was sie ja de facto oft gar nicht tun)? Auch diese potentiell kontroversen Themen werden in einer lockeren, respektvollen Diskussion behandelt, um gute Ergebnisse dann an das StuPa weitergeben zu können.

GENDER TROUBLE

Die Gender Trouble AG steht nach dem Vorbild des Buches „Gender Trouble“ von Judith Butler für die Differenzierung zwischen Geschlecht und Gender, und darauf aufbauend für die Gleichberechtigung aller Sexualitäten und Identitäten. Sie bietet wöchentlich bei Sitzungen und einmal im Monat bei einem Stammtisch Raum für Austausch, Gemeinschaft und für Hilfestellungen. Der Vorsitzende Felix Naundorf erzählt, dass die AG außerdem versucht, unsinnige Tabus und Vorurteile zu bekämpfen, Veranstaltungen (z. B. einen Vortrag über Intersexualität) zu planen und die eigene Sichtbarkeit für ein bunteres Greifswald zu verbessern. Die AStA-Referentin für Soziales, Sophie Nuglisch, nimmt an den Sitzungen teil und arbeitet mit der AG zusammen. Es gibt ein breites Spektrum an Teilnehmer*innen und das einzige, was man mitbringen muss, ist Toleranz. Die Gender Trouble AG ist mit 19 Jahren die älteste aller ständigen AGs.

Diese präzise wissenschaftliche Untersuchung ergibt: Intrinsisch motivierte Individuen, die mit Optimismus und Mut die Leitung bzw. die Organisation in die Hand nehmen, haben den größten Einfluss auf das AG-Überleben. Regelungen, die versuchen AGs zu kontrollieren, indem StuPist*innen in den Vorsitz gewählt werden, oder AStA-Referaten die Einberufung zugeschoben wird, nützen der hochschulpolitischen Fitness schon deshalb wahrscheinlich nicht. Zweitens ziehen gerade die vom StuPa und AStA unabhängigeren AGs mehr HoPo-fremde Studierende an und sind am Ende deshalb vielleicht sogar stabiler. Sie sind weniger von einzelnen, zeitweise nicht existierenden Referent*innen und Postenwechseln abhängig. Und sie stehen weniger unter unserer HoPo, die wie eine Scheinriesin ungewollt den Schatten eines oder gleich zwei geheimer Clans wirft. Gerade Stupist*innen sind zudem nicht für ihre Technik der AG-Arbeit berüchtigt – obwohl eine regelmäßige AG Gremien und Kommunikation vor dem Hintergrund vieler hartnäckiger HoPo-Probleme eine gute Idee wäre, ist sie z. B. bis jetzt vom StuPa-Präsidium nur ein einziges Mal einberufen worden.

Damit zur dritten Beobachtung: fehlende Werbung. Wer versuchen will herauszufinden, welche AGs überhaupt für die Legislatur einberufen wurden, muss die StuPa-Beschlüsse im Studierendenportal finden und einzeln durchgehen, denn die Studierendenportal-Übersicht zu den AGs ist höchstens irreführend. Wenn man das hinter sich hat, weiß man noch nicht, ob die einberufene AG tatsächlich aktiv ist (die AG Bildungsstreik hat z. B. einen seit anderthalb Jahren veralteten Facebook-Auftritt, die AG Internationales reagiert nicht auf den angegebenen E-Mail-Kontakt). Sitzungseinladungen gibt es bei vielen AGs nur intern. Das letzte Problem durchzieht fast die ganze HoPo: Wer angesprochen werden will, muss schon dabei sein oder die richtigen Leute kennen.

Kam es schlicht zu einer Evolution in der Studierendenschaft, einem neuen zeitgeistgeprägten Klima, das AGs heutzutage alt aussehen lässt? Bevor man diese Frage beantworten kann, müssen vorher alle anderen wichtigen Hindernisse aus dem Weg geräumt sein. Noch können wir nicht die blasseste Vorstellung haben, von dem, was uns erwartet!