Die Wahrheit“, strahlt das weiße Schild lakonisch mit schwarzen Lettern den Passanten entgegen.

Ein Beitrag von Daniela Obst.    

Auf dem belebten Alexanderplatz stehen tausende Menschen Schulter an Schulter, vor der Brust werden Plakate und Laptops gehalten. Von oben betrachtet formieren die Aktivisten Quadrate, den Rücken dabei ins Innere der Vierecke gedreht – den sogenannten „Cubes of Truth“. Wie uniformiert starren die durch Guy Fawkes Masken anonymisierten Gesichter nach außerhalb; die Kleidung ist einheitlich schwarz. Um den Einzelnen geht es hier nicht; sondern um die Botschaft. Und die ist ernst. Die Bildschirme der Laptops zeigen Videos mit Szenen aus der Produktion tierischer Lebensmittel. Küken werden aus Kisten heraus auf Laufbänder geschüttet und zerschreddert. Hunde, Katzen und Waschbären nagen und beißen verzweifelt an den Gitterstäben der viel zu kleinen Käfige von Pelzfarmen; gefangen im eigenen Kot. Häutungen von lebenden Tieren sind zu sehen. Schafe werden im Eildurchlauf geköpft; das einzelne Tier verkrampft panisch den Körper, während das Blut aus dem Hals fliest. Bilder, die Abwehr auslösen. Und keine Einzelfälle sind, sondern Alltag. Die Opfer sind ohne Stimme und anonym für die Täter.

Passanten laufen vorbei; einige halten an, schauen hin, schauen wieder weg. Einige beobachten aus Distanz. Immer wieder kommen Menschen ins Gespräch mit den maskierten Aktivisten. Dann ist ein wichtiges Ziel erreicht. Nach jedem solchen Gespräch bekommt der Interessent einen Flyer und eine Karte von „Anonymous of the Voiceless“, auf welcher weitere Informationen zu finden sind.

Anonymous of the Voiceless“ ist eine Tierrechtsorganisation, welche 2016 gegründet wurde und weltweit Aktionen durchführt; etwa 8500 „Cubes“ in 806 Städten haben schon stattgefunden. Vom 23. zum 24. Juni dieses Jahres fand eine 24-Stunden-Aktion auf dem Berliner Alexanderplatz statt. Mit über 1000 Aktivisten aus In – und Ausland das bisher größte Event dieser Art.

Auch in Greifswald startete der erste „Cube of Truth“ im Miniformat am 3. November 2018. Zweieinhalb Stunden demonstrierten sieben Teilnehmer Videos der Tierproduktion. Es entwickelten sich 14 positive Gespräche mit Passanten. Die Organisatoren Lucas Treise (tätig in der Filmproduktion) und Marvin Medau (Student) sind mit der ersten Aktion sehr zufrieden. Nach diesem Debüt soll es monatlich eine Aktion in Greifswald geben. Die nächste wird am Samstag, dem 8. Dezember 2018 am Mühlentor stattfinden. Die Veranstaltung wird über Facebook organisiert. Auch in Rostock hat sich eine erste „Cube“-Gruppe formiert.

Die Organisation „Anonymous for the Voiceless“ stellt dabei Videos für die Aktionen zur Verfügung. Die Masken, aktuell sind es 16, werden durch Lucas bereitgestellt. Die Teilnehmer formierten sich hauptsächlich aus der Vegan-Gruppe Greifswalds, welche via Facebook und Buschfunk organisiert ist. Parallel sind einige Greifswalder Tierrechtler Mitglieder bei „proveg“, einer internationalen, gut organisierten Gruppe, deren Events via „Stadtimpuls“ koordiniert werden. Die vegane Community veranstaltet Brunches, Spiel- und Filmabende, und pflegt den regen Austausch rund um den veganen Lebensstil und auch das ganz banale Everydaylife. Ein Haupttreffpunkt ist die „alte bäckerei“ auf der Franz-Mehring-Straße. Neue Mitglieder sind willkommen.

Laut „vebu“ leben in Deutschland 1,6% Veganer und 10% Vegetarier. Dabei ist der typische Vertreter weiblich (70%), 20-30 Jahre alt, überdurchschnittliche gebildet und lebt in einer Großstadt. Die Zahlen zeigen: Die ethische und ökologische Misere der Lebensmittelindustrie ist das Problem unserer Generation. Auf der Welt leben erstmals mehr über – als untergewichtige Menschen. Es geht nicht mehr um „viel und billig“. Wir müssen lernen, zu selektieren und elegant zu verzichten – auf das, was uns und der Natur schadet.

Wegschauen und verdrängen löst die Probleme, an denen wir selbst beteiligt sind, meist nicht. Laut den Greifswalder Aktivisten des „Cubes“ reagierten Passanten mitunter geschockt und betroffen, häufig aber auch wütend – sei es, weil sie sich persönlich in ihren Einstellungen und Traditionen angegriffen fühlen; aber auch, weil die Lebensmittelindustrie für viele Menschen Arbeit und Identität schafft. Aktivisten schulen sich gegenseitig als auch durch professionelle Coachs in Gesprächsführung, um mit den emotional beladenen Konfrontationen umgehen zu können. Fleischkonsum bleibt weiterhin ein heikles Thema. In unprofessionell geführten Diskussionen verhärten sich schnell die Fronten, es wird festgehalten wie an einer Religion. Und tatsächlich ist das Fundament meist mehr Glaube als Wissen.

Save the date: Samstag, 8. Dezember 2018, am Mühlentor; Anmeldung via Facebook

Beitragsbilder: Vegane Gruppe Greifswald+ proveg