Es ist Sonntagmorgen und die erste Input Lecture beginnt in Kürze. Stefanie Neuhofs, eine Chirurgin aus Greifswald, berichtet von ihrem Aufenthalt im Südsudan mit den Ärzten ohne Grenzen. Ein besseres Thema zum Einstieg in die Themenwoche „Beyond Borders“ gibt es nicht, denn sie berichtet nicht nur von Ländergrenzen, sondern auch von persönlichen Grenzen, die sie überwinden musste.

 Um 9.00 Uhr füllt sich der Vorlesungssaal. Kurz darauf begrüßt Sarina von GrIStuF alle Anwesenden und freut sich, dass trotz Regen und der für einen Sonntag ja doch frühen Uhrzeit so viele zu dem Vortrag gekommen sind. Sie erklärt kurz das Prinzip der Input Lectures. Denn diese sollen eine Möglichkeit für alle Greifswalder*innen sein, das GrIStuF kennen zu lernen.

Stefanie Neuhofs stellt sich und den Verein „Ärzte ohne Grenzen“ vor.

Ein Ziel dieses Vereins ist es, Menschen in Not eine Stimme zu geben, um die Welt auf Länder, die Hilfe brauchen, aufmerksam zu machen.

Die Prinzipien der Ärzte ohne Grenzen sind Unabhängigkeit, Objektivität und Neutralität, denn jeder Mensch in Not hat Hilfe verdient und der Verein, der v.a. durch private Sponsoren finanziert wird, will auch selbst entscheiden können, wo sie Leute hinschicken.

Wie Hilfe geboten wird, seht ihr hier:

Und obwohl das Projekt „Ärzte ohne Grenzen“ heißt, sind nur 30% des Teams Ärzte. Es sind noch Krankenschwestern, Hebammen, technische Mitarbeiter und viele mehr an den Projekten beteiligt.
Der Verein hat über Jahre hinweg standardisierte Prozeduren erarbeitet, wie sie mit welchen Situationen umgehen sollen und spezielle Kits für bestimmte Krankheiten entwickelt.

Um sozusagen ein „Arzt ohne Grenzen“ zu werden, muss man zwei Jahre Arbeitserfahrung in seinem Gebiet vorweisen und Weiterbildungskurse besuchen.
Die „Ärzte ohne Grenzen“ unterstützen Menschen auf der ganzen Welt. Stefanie Neuhofs berichtet nun, wie so ein Projekt aussehen kann, wie sie ihre Zeit im Südsudan verbracht hat.

Der Südsudan ist das jüngste Land der Welt und hat sich erst 2011 vom Land Sudan separiert. 50% der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt und ein großer Teil der Volljährigen kann nicht lesen oder schreiben. Im Südsudan herrscht Polygamie, ein Mann kann also so viele Frauen heiraten wie er will, solange er dem jeweiligen Vater genug Kühe zahlen kann.
In dem Landkreis Leer, in dem Stefanie Neuhofs eingesetzt wurde, tragen auch nur Kinder und Frauen das Wasser von den Brunnen in die Häuser. Aus diesen Erzählungen merkt man schnell, wie das Land aufgebaut ist und mit was für Problemen es zu kämpfen hat.
Die „Ärzte ohne Grenzen“ haben hier seit 1988 ein Krankenhaus aufgebaut. Die Versorgung für dieses Krankenhaus muss immer gut geplant werden, denn das dafür zuständige Flugzeug kommt nur alle zehn Tage und bei Regenwetter noch seltener. Der International Airport in Leer ist auf Erde gebaut, wenn es regnet kann das Flugzeug also nicht landen.

In dem Team, in dem Stefanie Neuhofs gearbeitet hat, waren 16 Mitarbeiter aus zehn verschiedenen Ländern vertreten. Sie erzählt, dass die Zeit mit dem Team sehr viel Spaß gemacht hat, aber dass es auch anstrengend werden kann, wenn die Kollegen einen anderen Tagesrhythmus haben als man selbst und z.B. um 5 Uhr morgens anfangen lauthals zu singen.
In dem Krankenhaus wartet die nächste Herausforderung auf die Chirurgin: die Krankenschwestern sind Analphabeten und müssen lange trainiert werden, um zu wissen welcher Patient wann welches Medikament einnehmen muss. Was auch neu für sie war, war dass die Pflegeaufgaben, wie einen Patienten zu waschen und zu füttern, dessen Verwandten übernehmen.
Das Krankenhaus hatte verschiedene Stationen für verschiedene Krankheiten und Krankheitsstufen.

Die Ärztin berichtet von der Station „Mother and Child Health“, in der sich v.a. um sichere Geburten gekümmert wird. Hier hatten die Ärzte und Hebammen oft das Problem, dass die Frauen den Männern sozusagen gehörten, da diese ja für sie mit Kühen bezahlt hätten, und die Männer oft erst einmal damit einverstanden sein mussten, dass an den Organen der Fortpflanzung untersucht oder etwas verändert wird. Glücklicherweise gab es damit weniger Probleme als erwartet.
Von ihrer eigenen Station, der Chirurgie, berichtet Stefanie Neuhofs wie schwierig es war auf den Luxus von Experten zu verzichten. Oft musste sie sich selbst in neue Themen einlesen, um dem Patienten so gut es ging helfen zu können. Hier stieß sie wirklich an ihre eigenen Grenzen.

Als dann der Bürgerkrieg Mitte Dezember 2013 wieder ausbrach und das Krankenhaus evakuiert werden musste, hielt es Stefanie Neuhofs nicht mehr lange aus. Zusätzlich zu der Situation, dass die Ärzte keinen festen Standort mehr hatten, mussten sie nun wirklich neutral und unvoreingenommen bleiben. Es kamen immer mehr Zivilisten mit Schusswunden, aber auch Soldaten in die Notunterkünfte. Hier musste jeder versorgt werden, auch wenn der Soldat vielleicht gerade noch auf seinen Bettnachbar geschossen hatte.

Das ging wirklich über ihre Grenzen hinaus, berichtet die Ärztin.

„Unter Beschuss kann kaum Hilfe geleistet werden“, erklärt sie ihre Rückkehr in die Heimat nach sechs Monaten Aufenthalt. Und natürlich wurde ihre Entscheidung von ihren Kollegen akzeptiert, da man selbst seine Grenzen kennen muss, um helfen zu können und sich selbst dabei nie vergessen darf.

 

Nach diesem traurigen Ende ihres Berichts folgt noch eine kurze Fragerunde, in der sie u.a. nach positiven Erfahrungen im Südsudan gefragt wird. Frau Neuhofs antwortet, dass der Aufenthalt nicht generell negativ aufgefasst werden soll, sie war solche harten Umstände vorher noch nicht gewohnt und es war sehr tough für sie. Sie mag die Menschen im Südsudan sehr, alle sind sehr freundlich und zuvorkommend. Die meisten haben es schnell akzeptiert und sich darüber gefreut, dass sie in ihrem Land ist und hilft, was oft nicht selbstverständlich ist.
Sarina bedankt sich schlussendlich nach fast einer Stunde Vortrag bei Stefanie Neuhofs für diesen schönen Start in die Woche und alle klatschen anerkennend.

In den nächsten Tagen geht es spannend weiter.

Morgen, am Dienstag, dem 19.06., könnt ihr zu der Input Lecture vom Zentrum für politische Schönheit „The Art of Aggressive Humanism“ gehen, natürlich wie immer im HS3 im Audimax der Loefflerstraße. Abends ist dann schon das Running Dinner, in dessen Rahmen ab 23 Uhr auch eine Party in der Mensa stattfindet.

Wir bleiben interessiert und gespannt, was die Woche noch mit sich bringt.

Bilder: Anne Müller, Logo: GrIStuF