Autoren: Constanze Budde, Julia Schlichtkrull, Philipp Schulz und Katerina Wagner

Alle Jahre wieder… geht es mit dem Zug an Weihnachten nach Hause zu der Familie, den alten Freunden und dem leckeren Essen von Mami. Zwischen all dem Schönen und mir liegen jedoch noch über zehn Stunden Zugfahrt. Es überrascht mich immer wieder, wie viel es auf einer Zugfahrt zu erleben und zu entdecken gibt. 

Citha, nein!«, höre ich Frauchen sagen und Rudis Weibchen ruft noch »Die Geschenke!«, als mein Gassibaum und ich direkt auf den bunten Kartons aufschlagen. Ich schrecke aus dem Schlaf und stoße mir das Knie am Zugmülleimer. Meine menschliche Hand reibt das schmerzende Bein. Kein Fell, stelle ich fest, erst überrascht, dann lache ich über diesen Gedanken. Natürlich nicht. Ich bin kein Hund. Es war nur ein völlig verrückter Traum! Vor mir winselt etwas.

Als ich hinab blicke, sehe ich schwarzes Fell zwischen meinen Beinen umher irren. Ich erkenne ihn sofort wieder. Es ist der Hund, der die Krankenschwester mit dem Kaffeebecher angestoßen hat, dieser kleine Unruhestifter. Der Hund, durch dessen Augen ich den Schnee beobachtet, mit dessen Pfoten ich einen Weihnachtsbaum erklommen habe. Lächelnd streichle ich ihm durch die dichten Zotteln.

»Citha? Citha, wo hast du dich schon wieder versteckt?« Als die Stimme des Mannes durch das Abteil dringt, zucke ich erschrocken zusammen. Wie ein Geist schiebt sich sein Schemen durch die Tür in unser Abteil. Ich blinzle mehrere Male verwirrt. Bin ich verrückt geworden?

Sein Blick trifft meinen und plötzlich fällt es mir wieder ein. Als ich wieder zu meinem Platz zurückgekehrt war, nachdem der Hund die Krankenschwester angestoßen hatte, habe ich den Mann zum ersten Mal gesehen. »Bald sind wir Zuhause, Citha«, hatte er zu dem Hund gesagt, »dann stellen wir deinen Baum auf.« Ich hatte die Worte nur kurz im Vorbeigehen gehört, doch sie müssen so sehr an mir haften geblieben sein, dass ich sogar von ihnen geträumt habe. Von Citha und ihrem Gassibaum.

Mit schnellen Schritten kommt der Mann das Abteil hinunter, bis er endlich den Hund zwischen meinen Beinen entdeckt. »Da bist du ja!« Er sieht mich an. »Sie hat Ihnen doch hoffentlich keine Schwierigkeiten gemacht?«

»Nein nein, noch hat sie den Gassibaum ja nicht umgestoßen.« Einige Sekunden verstreichen, ehe ich merke, was ich da gerade gesagt habe. Der Traum fühlt sich noch immer so real an, dass ich ihn glatt für die Wirklichkeit halte. Am liebsten würde ich eine schüchterne Entschuldigung bellen. Meine Wangen werden rot.

Der Mann beugt sich hinunter und nimmt das Tier am roten Halsband, ein wenig grob, aber den­noch liebevoll und Citha scheint es nicht weiter zu stören. »Wie kommen Sie auf Gassibaum

Meine Gedanken rasen, während ich versuche, mir eine Ausrede einfallen zu lassen, die zumin­dest ansatzweise glaubhaft klingt. Die Wahrheit – Das können Sie zwar nicht wissen, aber als Ihr Hund gerade an meiner Hand schlabberte, während ich schlief, habe ich von der Kleinen geträumt, wie sie die Stiefel zerbissen und ihr Revier im Schnee markiert hat, und am Ende hat Citha ihren Gassibaum umgeworfen, auf die ganzen Geschenke drauf, aber zum Glück war es ja nur ein Traum. – klingt selbst für mich äußerst fragwürdig. Zumindest ohne eine kleine Anmerkung dahinter: Ich weiß, ich bin verrückt, aber guter psychologischer Rat ist teuer.

Ich sage nichts dergleichen, sondern zucke nur mit den Schultern. »Ich bin vorhin durch die Abteile gegangen, da habe ich so was bei Ihnen aufgeschnappt. Dass Citha einen Gassibaum hat und dass Sie befürchten, die Kleine könnte ihn wieder umstoßen.«

»Ach, wirklich?« Der Mann starrt mich einen Moment lang mit zusammengekniffenen Augen an, dann aber, zu meiner Erleichterung, lächelt er mild. »Ja, vielleicht habe ich das.«

Vielleicht hat er das, denke ich still, vielleicht hat er das wirklich gesagt, vielleicht war nicht alles Traum. Oder ich bin immer noch in einem Traum. Oder die ganze Welt ist ein Traum. Während sich der Mann mit einer kurzen Handbewegung von mir verabschiedet, beginnt Édith Piafs Non, je ne regrette rien in meinem Kopf zu spielen.

Ich lehne mich zurück, schließe die Augen, und, obwohl ich mir schwöre, nicht mehr an den Hund zu denken, glaube ich ihn noch immer riechen zu können – den Hundekeks, den Frauchen extra für mich gebacken hat.

Beitragsbild: Claude Monet: Train in the Snow (1875) (public domain), bearbeitet von Philipp Schulz