Autoren: Constanze Budde, Julia Schlichtkrull, Philipp Schulz und Katerina Wagner

Alle Jahre wieder… geht es mit dem Zug an Weihnachten nach Hause zu der Familie, den alten Freunden und dem leckeren Essen von Mami. Zwischen all dem Schönen und mir liegen jedoch noch über zehn Stunden Zugfahrt. Es überrascht mich immer wieder, wie viel es auf einer Zugfahrt zu erleben und zu entdecken gibt. 

Fly, you fools!“ Völlig in Gedanken über die Begegnung mit dieser starken Persönlichkeit, habe ich fast vergessen, dass ich eine Station später auch aus- und umsteigen muss. Ich schultere meinen Rucksack, schnappe meine Tasche und das Blatt Papier mit der Zeichnung und dem Schriftzug, die mich im Bann gehalten haben, gehe den Gang entlang und steige auf einen völlig überfüllten Bahnsteig. Viele meiner bisherigen Mitfahrer steigen auch aus. Ich schaue mich um, wie praktisch, ich muss nur auf die andere Seite des Bahnsteiges laufen. Der nächste Zug steht schon da, ich steige ein, wie viele der anderen, die mit mir ausgestiegen sind auch, und suche mir einen Platz, wieder ein Vierer, der bisher noch frei war und von Platzreservierungen steht auch nirgends etwas. Als mein Rucksack wieder über mir verstaut ist lasse ich mich mit einem Seufzen in den Sitz fallen und fast zeitgleich fallen mir auch meine Augen zu.

Als ich in die Luft schnuppere, riecht es wieder nach diesen leckeren Hundekeksen, die mein Frau­chen in letzter Zeit immer bäckt. Langsam tapse ich in die Küche hinein und sehe zu ihr auf. Sie schenkt mir ein Lächeln, wendet sich dann wieder dem heißen Kasten zu. Ich wedele mit dem Schwanz – oft hilft ihr das, zu verstehen, dass ich etwas von ihr möchte – und sabbere ein wenig auf den Boden.

Sie sieht noch einmal zu mir hinüber, lächelt wieder und struppelt mir durchs schwarze lange Fell. »Naaaa, duuu? Hast du Hunger, hm? Hast wohl Hunger. Wart mal noch ‘nen Moment, Citha, ja? Frauchen kommt gleich, hm? Dann bring ich dir was Kleines zum Knabbern.« Wenn sie mit mir redet, ist Frauchens Stimme meist hoch und langsam, genauso, wie sie früher mit ihrem Welpen gesprochen hat, als er klein war und noch nicht laufen konnte. Herrchens Worte sind dagegen kaum anders, als wenn er mit Frauchen spricht. Anfangs habe ich es immer auf eine geistige Störung meines Frauchens geschoben, aber dann merkte ich, dass ihre Stimme immer ganz anders klingt, wenn sie mit Herrchen redet. Ich glaube, ihr seltsames Verhalten soll mir zeigen, dass sie mich gern hat. Seit ich das herausgefunden habe, wedele ich jedes Mal mit dem Schwanz, wenn sie irgend­etwas zu mir sagt und das freut Frauchen dann meist noch mehr.

Also wedele ich, belle kurz freudig und gehe dann ins Wohnzimmer hinaus. Der Platz gegenüber des Kamins, der eigentlich immer für mich gedacht war, wurde heute Morgen leer geräumt. Mein Schlafplatz ist nun gleich neben dem Kamin, was auch schön ist, immerhin ist es da recht warm und ich habe eine gute Sicht auf alles, was sich im Wohnzimmer ereignet.

Zufrieden kuschle ich mich ins Bett und lege den Kopf auf die Arme, um zu beobachten. Aus einem Nebenzimmer höre ich die leisen Klänge von Herrchens Gitarre. Er spielt jeden Abend, aber immer nur dann, wenn er glaubt, dass ihm niemand zuhört. Ich höre ihm immer zu. In letzter Zeit sind seine Lieder ruhiger geworden. Irgendetwas ist geschehen, das meine Familie verändert, etwas, das jedes Jahr passiert. Ständig stehen sie bei diesem seltsamen Kranz aus Zweigen und freuen sich. Sie stellen Kerzen darauf, jede Woche eine mehr und dann ist ihre Freude noch größer.

Die Tür öffnet sich und ein Baum schiebt sich ins Wohnzimmer. Wenig später betritt auch Caro, die Schwester meines Herrchens, den Raum. Ihr Gesicht ist gerötet und sie hechelt laut.

Ich dagegen erhebe mich vor Freude. Endlich ist es wieder so weit! Herrchen und Frauchen haben mir meinen Gassibaum wiedergebracht!

Um ihnen zu zeigen, wie dankbar ich bin, belle ich in die Richtung, in der die Küche liegt. Mein Frauchen sieht kurz zu mir hinüber, aber sie nimmt nur Caro wahr. »Ach, Liebling, stellst du den Baum bitte darüber, zum Schrank, wir haben die Stelle schon leergeräumt.«

Caro nickt und schleift den riesigen Baum weiter durchs Wohnzimmer. Darum also musste ich umziehen! Der Gassibaum war in den letzten Jahren immer kleiner, erin­nere ich mich. Dieser hier ist so gewaltig, dass er beinahe das ganze Wohnzimmer einnimmt. Ich beobachte, wie Caro den Baum zu meinem alten Schlafplatz trägt, als plötzlich der kleine Men­schenwelpe hinein tapst, an der Hand Rudi, das Herrchen meines Frauchens mit den grauen Haaren und dem freundlichen Lachen. »Wir wollen nach draußen, einen Spaziergang machen. Willst du mitkommen, Citha?« Das Angebot nehme ich bellend an.

Ich folge den beiden auf den Flur. Hier ist es rutschig von diesem kalten Nass, was zu dieser Zeit des Jahres immer vom Himmel kommt. Schnee nennen es die Menschen. Ich nenne es Revierwiese. Wenn ich auf die Revierwiese mache, wissen sogar die dummen Katzen, die unseren Geruch nicht wahrnehmen wollen, dass dieser Ort mir gehört.

Der Menschenwelpe schlüpft in seine grünen dicken Stiefel. Ein Bellen entfährt meiner Kehle, als ich an diese Feier der Menschen denke, die noch gar nicht so lang zurückliegt. Jedes Jahr das Gleiche. Ich weiß noch, als ich das erste Jahr in dieser Familie war, wie an diesem Tag Herrchen und Frauchen je einen Stiefel vor ihre Zimmertür stellten. Ich war noch nervös und schüchtern, also wartete ich, bis sie sich in ihren Schlafplatz zurückgezogen hatten, ehe ich mich an die Stiefel heran wagte, sie zwischen die Zähne nahm und darauf herumbiss. Der Stiefel meines Frauchens war härter, als ich erwartet hatte und der Stiefel meines Herrchens schmeckte furchtbar süß. Beinahe biss ich mir die Milchzähne daran aus und als ich fliehen wollte, merkte ich, wie es braun von meinen Lefzen rann.

Ich war schon gewillt ArmesTier International anzurufen, aber ich gab den beiden noch eine Chance, diesen gemeinen Anschlag zu erklären. Ich wollte aus ihrem eigenen Maul hören, wie sie es wagen konnten, mir leckere Stiefel vor die Nase zu stellen, die sie zuvor gemein vergiftet hatten!

Am nächsten Morgen taten die beiden so, als wäre ich es gewesen, der etwas falsch gemacht hat. Aber nachdem sie mich eine Zeit lang ignoriert hatten, lachten sie plötzlich darüber und streichelten mich. Im nächsten Jahr gaben sie mir einen eigenen Stiefel, nur für mich, der gar nicht seltsam schmeckte. Dafür musste ich versprechen, dass ich mich von ihren Stiefeln fernhalten würde. Ich hielt mich an diesen Pakt und wir besiegelten ihn mit der Pfote.

»Na komm, Citha, sonst schmilzt der Schnee noch, bis wir draußen sind.« Rudi öffnet die Tür und lässt mich hinaus. Kälte umfängt mich, und das weiße Nass. Ich stürme über die Revierwiese und fange den Schnee, wie die Menschen ihn nennen, mit der Zunge ein. Der Menschenwelpe wirft sich in mein Revier, rollt sich auf den Rücken und wedelt dann mit den Pfoten, um den Schnee nach oben und unten zu schieben. »Machst du auch einen Engel, Opa?«, fragt er sein Großherrchen. Rudi lacht nur, es klingt wie ein Bellen. Vielleicht mag ich ihn deshalb so, überlege ich. Er bellt so gern.

Als wir schließlich wieder hinein kommen, steht mein Gassibaum fertig gegenüber vom Kamin. Frauchen, Herrchen und Caro haben ihn mit allerlei glitzerndem Zeug behangen, so wie jedes Jahr, diesmal sogar noch mit etwas Anderem. Ich schnüffle.

Leckerlies, merke ich plötzlich. Nur für mich! Und bei meinem Schwanz, ich will die Leckerlies zwischen die Zähne bekommen, bevor die dumme Katze von ihrem Streifzug zurückkehrt und sie mir wegnehmen kann!

Mit wenigen gewaltigen Sprüngen setze ich auf den Gassibaum zu, benutze die kleinen bunten Kartons, die davor liegen, als Sprungbrett und erklimme die Nadeln mit einem Mal, um meine Zähne in den Hundekeks zu schlagen, den Frauchen extra für mich gebacken hat!

Der Baum neigt sich gefährlich. Verzweifelt versuche ich, irgendwo an den Zweigen Halt zu fin­den, aber es gelingt mir nicht. Ich falle mit dem Gassibaum nach hinten, sehe noch, wie Frauchen und Herrchen von dem Tisch mit Kranz aufspringen und Schreie ausstoßen. »Citha, nein!«, höre ich Frauchen sagen und Rudis Weibchen ruft noch »Die Geschenke!«, als mein Gassibaum und ich direkt auf den bunten Kartons aufschlagen.

Beitragsbild: Claude Monet: Train in the Snow (1875) (public domain), bearbeitet von Philipp Schulz