volkSeit über einem Monat ist die Turnhalle in der Feldstraße, nahe dem BiG Bildungszentrum, für Flüchtlinge eingerichtet. Am Dienstag kamen nun die ersten 20 Menschen überwiegend aus Syrien mit dem Bus nach Greifswald, um in der Erstaufnahmestelle Ruhe zu finden. Doch die ersten 48 Stunden wären fast das Gegenteil geworden.

In der Feldstraße waren die Betten schon bereitgestellt. Seit dem 29.09.2015 steht fest, dass die Turnhalle, die sonst vom Bildungszentrum BiG, dem GSV sowie für Freizeitsport genutzt wird, als Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge bereitgestellt wird. Nicht einmal 24 Stunden hat es gedauert, die Halle herzurichten. Doch niemand kam. Die zuständige Kreisverwaltung hat die Kapazitäten anders verteilt, die Halle wurde wieder ausgeräumt und mehr oder weniger problemfrei für den Sport freigegeben.

Am vergangenen Montag kam jedoch die Meldung, dass nun doch geflüchtete Menschen hier ein erstes, provisorisches Heim finden sollen. Die Betten kamen wieder, mehr jedoch nicht.

Als gegen 14 Uhr der Bus mit den ersten 20 neuen Bewohnern kam und von einigen Polizeibeamten, Vertretern des Kreises und zahlreichen ehrenamtlichen Helfern begrüßt wurden, waren weder ausreichend Hygieneartikel noch Essen oder Trinken vor Ort. Die Ehrenämtler ergriffen in dieser Situation die Initiative und begannen Wasser, Essen und Dinge des täglichen, einfachsten Bedarfs wie auch Seife, Toilettenpapier und Zahnbürsten in Eigenverantwortung zu kaufen und zu organisieren.

Willkommenskultur?!

Münze

Das Wort „Willkommen“ geht in diesen Tagen und Wochen durch das gesamte Land, wenn es um Flüchtlingsarbeit geht. Vieles passiert aktuell, wenn man sich beispielsweise die Arbeit der Initiative  „Rostock hilft“ ansieht, rein ehrenamtlich. Viele Leute helfen den geflüchteten Menschen nach dem Studium, nach der Arbeit, in ihrer freien Zeit und eines wird dabei klar: Willkommenskultur basiert aktuell zum größten Teil auf dem Ehrenamt.

Yannick van de Sand, einer der ehrenamtlichen Helfer vor Ort erzählt uns über das Schicksal eines Geflüchteten und seine Wahrnehmung über die Situation vor Ort:

„Ein Flüchtling kommt beispielsweise aus der Region Donezk in der Ukraine. Er hat mir erzählt, dass sein ganzes Dorf weggebombt wurde und ihm dann von Soldaten vor Ort auch noch sein letztes Bargeld und sein Handy, die einzige Möglichkeit, mit seiner Familie zu kommunizieren, die auch auf der Flucht ist, abgenommen wurde. Obwohl er quasi nichts mehr hat, hat er mir aus Dankbarkeit für unsere Hilfe diese Münze gegeben, die Glück bringen soll. Ich werde sie auf jeden Fall gut aufbewahren und in Ehren halten.

Alle anderen kommen aus Syrien und haben schreckliche Kriegshandlungen erfahren müssen. Ein 20 Jähriger und sein 13 Jähriger Bruder mussten es drei mal versuchen, das Mittelmeer mit einem Boot zu überqueren. In Ungarn wurden sie von der Polizei geschlagen, mit Pfefferspray besprüht und ins Gefängnis gesteckt. Der Große würde gern als Kfz-Mechaniker arbeiten gehen, darf dies allerdings aufgrund der Gesetzeslage nicht. Stattdessen bekommen die beiden Taschengeld von 14€ für den Rest des Monats. Das macht 1,40€ pro Tag. 1,40€ für die sie u.a. Hygieneartikel und Telefon Guthaben kaufen müssen. Und gerade als 13 Jähriger möchte man vielleicht auch mal zwischendurch ne Tafel Schokolade oder ne Flasche Limo haben. Das ist mit 1,40€ pro Tag nicht drin. Zum Frühstück gab es heute pro Person zwei Scheiben Toast. Zum Mittag eine kleine Portion Reis. Zum Abendbrot hätte es wieder Toast geben sollen, aber das Theater-Café in Greifswald hat kostenlos Pizzen vorbeigebracht. Vielen Dank gewohnt, dass sich da niemand für verantwortlich fühlt.“

14 Euro und 2 Scheiben Toast

Unbenannt

Nachdem auch die Außenbeleuchtung bereitgestellt worden war, wurde am Abend gegen 20 Uhr das Essen durch eine privat organisierte Volxküche gewährleistet. Von den verantwortlichen Stellen sah man keinen Anlass für zusätzliches Essen. Nur ein privater Sicherheitsdienst sorgte in der Nacht für die Sicherheit und Ruhe der Flüchtlinge.

Am nächsten Morgen wurden die Refugees mit Frühstück durch das Deutsche Rote Kreuz versorgt. Auch dieses wurde an die Situation einer Notunterkunft angepasst und war entsprechend notdürftig. Für eine schöne Abhilfe sorgte am Mittwochabend das Theater Café, welches mehrere Pizzen kostenlos lieferte. Für den Rest des Monats wurden in Form von Schecks 14 Euro pro Person bereitgestellt. Stadtpläne, um herauszufinden, wo das Geld abgeholt werden kann und in entsprechenden Sprachen, Russisch und Arabisch, lagen nicht vor und mussten erneut ehrenamtlich organisiert werden.

Wie es für die Flüchtlinge weitergeht, ist bis dato nicht geklärt, Fakt ist jedoch, dass noch heute weitere 29 neue Bewohner die Notunterkunft beziehen werden. Trotz der kurzfristigen und beherzten Einrichtung der Erstunterkunft stellt die gezeigte Organisation und Logistik für alle Beteiligten eine Mammutaufgabe dar, in der Ehrenamtliche und Verantwortliche zusammenarbeiten müssen.

Sensibilisierung und Verantwortung

Laut unseren Informationen wurden bereits mehrfach fragwürdige bis unvereinbare Äußerungen getätigt; gerade aus den Reihen der Mitarbeiter der European Homecare. Beispielhaft ist die Bezeichnung der Flüchtlinge als „Insassen“. Auch Äußerungen, dass „die Halle gut riecht“ und dass sich die Bewohner „mal nicht beschweren sollen, wenn sie schon Essen haben“ sind mehr als unpassend in einer solchen Situation. Hierfür bedarf es einer besonderen Sensibilisierung für die Schicksale der geflüchteten Menschen. Nicht nur die Arbeit und tatkräftige Unterstützung steht dabei im Vordergrund, sondern auch der zwischenmenschliche Umgang miteinander.

Ob und in welchem Maß jeder zu privaten und ehrenamtlichen Hilfestellungen bereit ist, muss natürlich individuell entschieden werden. In den ersten 48 Stunden war jedoch ein klares Versagen der Verwaltung in Form von Stadt und Kreis erkennbar. Auch die Begründung, dass alles sehr plötzlich und überraschend die letzten 2 Tage geschah, kann hierbei nicht ausreichend sein. Gefragt sind nun alle politischen Verantwortlichen der Stadt und des Kreises – und nicht zuletzt ein miteinander Zusammenarbeiten.

In den nächsten Tagen wird der webmoritz weiter über die administrative Zuständigkeit und das Verfahren sowie die geplante Zukunft der Refugees berichten.

Edit: Am heutigen Donnerstag werden sich ehrenamtliche Helfer mit Vertretern der Stadt und des Kreises treffen, um gemeinsam das Geschehene aufzuarbeiten und die weiteren Schritte zu planen.