Diese Leinwand soll die verschiedenen Ebenen der Geschichte zum Ausdruck bringen.

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Der Hintergrund ist immer in Blau gehalten, um das Seelenleben zu verdeutlichen.

Das Bühnenbild, das wie die Kostüme von Klaus Hellenstein entworfen wurde, setzt sich aus drei großen Fenstern mit mächtigen Draperien, wie sie damals in großbürgerlichen Häusern vorkamen, auf der linken Seite und einer Art kleines bewegbares Theater auf der rechten zusammen. Dieses Theater ist begehbar und zugleich das Kinderzimmer von Annas Sohn Sergej. Davor erinnern einzelne Birkenstämme an den russischen Ursprung des Romans. Während der Ballszenen schwebt ein funkelnder Kronleuchter herunter und als Anna zusammen mit ihrem Geliebten die Zeit in Italien genießt, gleiten sie zusammen in einem kleine Boot über die Bühne. Dann ist da noch die schwierige Konstruktion der einfahrenden Lok, die auf ihren Schienen bis zum Zusammenstoß heruntergelassen wird. Alles ist getaucht in ein undurchdringbares Ultramarin, was, wie Hellenstein anmerkte, in der Romantik als die Farbe des Seelenlebens galt.

Die Konzeption der Kostüme war eine Herausforderung, denn hätte man sich zu sehr an die historischen Originale gehalten, wäre es für die Tänzer äußerst schwierig geworden, sich zu bewegen. Hellenstein ist es trotzdem gelungen, Kostüme zu entwerfen, die dem Stand und der Bedeutung der einzelnen Figuren entsprechen. So trägt der schneidige Offizier eine schneeweiße Jacke mit dazu passender Hose und Kopfbedeckung, was ihn als leuchtendste Gestalt in Annas Erinnerung auszeichnet.

Begleitet wird das Ballett vom Philharmonischen Orchester Vorpommern unter der Leitung von Henning Ehlert. Die Auswahl der Musik geschah ganz unerwartet. Beim Durchstöbern seiner CD-Sammlung stieß Ralf Dörnen auf den eher unbekannten polnischen Komponisten Mieczysław Weinberg, der in seinen Werken die Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges verarbeitete. Mit tiefgründigen, melancholischen Sinfonien ergänzt die Musik diese dramatische Liebesgeschichte auf eine seltsam beeindruckende Weise.

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Margaret Howard tanzt die Anna Karenina.

Videosequenzen, klirrende Untertassen, aufgeregtes Gemurmel – alles eher unklassisch und doch stimmungsvoll.

Das Ballett erinnert teilweise an ein Tanztheater, welches man ganz ohne Vorurteile auf sich wirken lassen kann, auch ohne den Roman zu kennen. Denn manchmal ist es schwierig, Gefallen an einer ungewöhnlichen szenischen Umsetzung von großartiger Literatur zu finden.
Einer der schönsten Momente im Stück ist Annas Traum. Während ihr in einen unruhigen Schlaf versunkenes Gesicht auf den Vorhang des kleinen Theaters projiziert wird, tanzt ihre Gestalt mit zwei Männern: ihrem Ehemann und ihrem Liebhaber. Allesamt mit nichts weiter als ihrer Unterwäsche bekleidet, bewegen sie sich wie in einem sinnlichen Rausch. Etwas später erschreckt der Gutsbesitzer Lewin das Publikum, indem er bei der Jagd dreimal aus seinem Gewehr abfeuert. Solche szenischen Mittel unterstützen die Erzählung. Das wird einem umso mehr bewusst, wenn man bedenkt, dass sie nicht für ein Ballett gedacht war.
Natürlich gibt es auch streitbare Punkte in der Umsetzung. So hätte, zum Beispiel, die Szene des Eheversprechens zwischen Kitty und Lewin in einer russisch-orthodoxen Kirche realistischer ausfallen können. Makaber ist auch die Verkleidung des kleinen Sergej mit einer Totenkopfmaske als eine Schreckensfigur aus Annas Albträumen.

Am Ende sind da nur die ratternden Räder des Zuges und Annas erstarrte Gestalt im Angesicht des Todes. Ein kurzes Aufblitzen und es ist dunkel. Nach einer abwartenden Pause erhebt sich der Applaus zu Ehren eines unkonventionellen und doch gelungenen Stückes.

Fotos: mutphoto für Theater Vorpommern (kein cc)