von Claudia Sicher und Iwan Parfentev

Was sich am vergangenen Samstag, den 17. Januar im Hörsaal Kiste abspielte, sollte eine Lesung von Sarah Kuttners sein. Sie las auch ein paar Kapitel vor, doch das war eher nebensächlich. Niemand hätte es ihr übelgenommen, wenn sie nichts vorgelesen hätte, denn ihre Person war bereits pure Unterhaltung.Die Lesung sollte ursprünglich im Hörsaal der Wirtschaftswissenschaften in der Friedrich-Loeffler-Straße stattfinden, wurde aber wenige Tage vor der Lesung in den Hörsaal Kiste verlegt.

Offiziell aufgrund „der großen Nachfrage“, was inoffiziell für „wir wollen mehr Geld verdienen“ steht.

So manchem mussten bei der Nachricht die Gesichtszüge entgleist sein in Gedanken an überfüllte BWL-Vorlesungen, dort geschriebenen Klausuren, oder den Säulen in diesem viel zu niedrigen Hörsaal, die streng nach Murphys Gesetz immer den Blick auf den Dozenten verstellen. Im gewöhnlichen Uni-Betrieb war dies meist ein Vorteil, da man den Kater der Vorabend-Mensa-Party in den hinteren Reihen ausschlafen konnte, ohne vom Dozenten mit Blicken gemaßregelt zu werden, aber wenn man 14 bis 17 Euro für eine Karte bezahlt hat, möchte man der guten Frau doch Auge in Auge gegenübersitzen. Die Befürchtungen waren letzten Endes nicht so schlimm, da der Eingang über den Studentenclub Kiste erfolgte und dieser auch die Getränkeversorgung übernahm, der Hörsaal war gedimmt und durch eine Lichtanlage in angenehm roten Tönen gehalten. Gut zwei Drittel des Saales war gefüllt und scharrte langsam mit den Hufen, als Kuttner mit zehn Minuten Verspätung endlich die kleine Bühne mit Tisch, Stuhl und Leselampe erklomm.

Allzulange konnte man ihr dessen aber nicht böse sein, denn ihre Ausrede gab einigen im Publikum bereits erste Lachkrämpfe. Es in Schriftform wiederzugeben, ohne die Pointe auf dem Weg zu verlieren, ist unmöglich. Es hatte aber was mit einer Pringles-Dose in ihrem Aufenthaltsraum zu tun und dass sie für die Toilette einmal durch den Hörsaal hätte gehen müssen. Man bekam schnell den Eindruck, dass sie sich selbst und ihr Buch nicht zu wichtig nahm, denn es brauchte nochmals zwanzig Minuten, bis sie mit der Lesung begann. Zuvor merkte sie noch an, dass wenn zum Schluss keine Fragen mehr kämen, sie schnell noch rauchen könnte, pinkeln, ihre Pringles-Dose sei noch nicht leer, und dann schnell nach Hause fahren, um das Dschungel-Camp zu schauen. Dass sie mit ihrer Art nicht nur Freunde hatte, war ihr bewusst, denn sie entschuldigte sich lang und breit bei den zehn Leuten, die als „+1“ im Publikum saßen und wegen ihrer „Charlotte Roche Imitation“ gerade „so richtig abkotzten“.

„Ich unterschreibe alles, was ihr mir hinhaltet, nur keine Körperteile… Oder doch, aber ich sehe sie mir vorher an.“

Auch wenn sie eher Lust hatte zu reden, musste sie wohl oder übel irgendwann auch aus dem Buch lesen. Dieses hat einen Anfang und ein Ende. Dazwischen passiert viel „Ich“ und immer weniger „Wir“. Luise und Flo wollen den ersten erwachsenen Schritt einer Beziehung gehen und in eine gemeinsame Wohnung ziehen. So wie man es schließlich von einem End-Zwanziger, Anfang-Dreißiger Pärchen erwartet. Entscheidungen müssen plötzlich getroffen werden, denen sich beide bisher gekonnt entzogen haben. Es beginnt ein Kampf um das „Ich“, der das „Wir“ zum Zerreißen spannt. Oder um es mit Kuttners eigenen Worten zu sagen: „Das ist mein Buch in dem zwei zusammenziehen aber dann doch nicht und aber am Ende wird alles ok. Danke, tschä!“

Der Aufbau des Buches biss sich mit ihrer albernen Art, denn die oft komischen Kapitel wechselten sich ab mit Memos, die ein unheilvolles Ende für Flo und Luise ankündigten. Diese traurig vorzulesen fiel ihr sichtlich schwer und so konnte das Publikum dem emotionalen Auf und Ab nicht folgen und blieb größtenteils auf den lustigen Passagen hängen. Nach anderthalb Stunden gab sie den Versuch auf, das Publikum abwechselnd vergnügt und traurig zu stimmen und stellte sich den Fragen, die sich größtenteils um das Weiterspinnen des Buches drehte, beispielsweise was mit der Schabracke, dem alten Sofa der Protagonistin, und einer rassistischen Puppe mit Wurstlippen passiert war. Derzeit arbeitet sie an einem weiteren Buch, beziehungsweise trägt sie nach eigener Aussage seit einem Jahr einen täglichen Kampf aus zwischen Weiterschreiben und bei einem Kaffee „Friends“ schauen. So sympathisch sie das auch macht, man kommt nicht umhin zu wünschen, dass das Weiterschreiben die Oberhand gewinnt.

Bild: Sarah Kuttner am vergangenen Samstag im Zwiegespräch mit einer Person in der Menge – zur Erheiterung des restlichen Publikums. (von Iwan Parfentev)