Am Wochenende war es wieder so weit, der längste Politthriller, der per Live-Stream übertragen wird, ging online: der Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschlands in Neumarkt in der Oberpfalz. Das halbe Wochenende fesselte er mich selbst als Nicht-Pirat hinter meinen Bildschirm, ein Drama aus Höhen- und Tiefen der Demokratie, Politiker, Piraten und Nerds spielen die Hauptakteure.
Gerade das macht es wohl so spannend. Menschen, wie man sie sonst auf der Straße trifft und Menschen, die man nicht auf der Straße trifft, weil sie im Keller World of Warcraft zocken, dürfen hier in der Bundespolitik mitbestimmen, dürfen ihre Meinung sagen. Das sich dabei Argumente wiederholen und die Hälfte der Zeit für Verfahrensfragen drauf geht, mögen für den Einen der Preis der Basisdemokratie sein, für den Anderen eine Bestätigung des Delegiertensystems. Längst nicht alle scheinen die Spielregeln verstanden zu haben, TO- und GO-Anträge oder Verfahrensfragen steigern bald schon die Spannung. Die Anzweiflung des Zustimmungswahlverfahren scheint dann das klassische retardierende Moment vor jedem Wahlgang zu bilden. Der Wahlleiter als tragischer Held steht kurz vor den Tränen, weil wieder jemand eine geheime Abstimmung fordert. Nichtsdestotrotz: soviel basisdemokratischen Idealismus kann man eigentlich nur bewundern.
Gerade mal ihren zehnten Geburtstag feiert die Piraten-Bewegung in diesem Jahr, 2003 gründete sich in Schweden das „Piratbyrån“. Ihr Kampf galt seit jeher dem Urheberrecht, im gleichen Jahr ging die Filesharing-Plattform „The Pirate Bay“ ans Netz. Drei Jahre später gründete sich aus der Bewegung schließlich die „Piratpartiet“, dessen deutscher Ableger nur wenig jünger ist. An den Wahlen zum Schwedischen Reichstags scheiterten sie die letzten beiden Male mit jeweils weniger als 1 Prozent. Ein Gerichtsurteil gegen „The Pirate Bay“ jedoch bescherte der Partei 2009 einen Höhenflug. Die Schweden schienen kostenlose Filme lieb gewonnen zu haben, mit 7 Prozent der Stimmen konnten die Piraten zwei Kandidaten in das Europaparlament entsenden. Eine „Uppsala-Declaration“ aller europäischer Piratenparteien wurde verabschiedet.
Heute ist die „Piratpartiet“ immer noch eine Ein-Themen-Partei. Die Zustimmung ist längst wieder gesunken, erst kürzlich wurde die Schlacht um „The Pirat Bay“ aufgegeben. Nach Jahren mit Beschlagnahmungen, Prozessen und Androhungen hat die Partei vor knapp zwei Wochen die Server endgültig in die Karibik verlagert. Untergegangen sind die schwedischen Piraten aber längst noch nicht – im nächsten Jahr stehen Parlaments- und Europawahlen an. Vielleicht schielen einige ja auf den Live-Stream aus Neumarkt.
Fotos/Grafik: Anton Walsch, Screenshot mit Piraten-Lizenz
Diese Kolumne ist Teil der Reihe “Biss ins knäckebröd”. Weil jeder ein bisschen Schweden abbekommen sollte, schreibt Anton seit dem 28. Januar jeden Montag über sein Auslandssemester an der Universität Uppsala. Hier kommst du zu den bisher erschienen Kolumnen.