Im Sommer ist er ideal zum Entspannen und in Sachen Obst und Gemüse schlägt er den Supermarkt um Längen. Dennoch bleiben Vorbehalte gegen den Traum vom eigenen Garten, besonders wenn er sich in einem Kleingartenverein befindet.

Flankiert von einer üppigen Hecke zur einen und dicht geparkten Autos zur anderen Seite führt der marode Asphaltweg weg von der frisch planierten Umgehungstraße, tiefer hinein in die Kleingartenkolonie. Gelegentlich gibt die Hecke im Vorbeifahren den Blick durch geöffnete, meist mit Stacheln bewährte und verwitterte Eisentore frei. Weiße Lauben, getrimmter Rasen, hüfthoher Maschendraht, akkurate Beete und schwarz-rot-goldene Fahnen stecken das eigene Hoheitsgebiet ab. Von einem schwarzen Campingradio mit Teleskopantenne angetrieben, taumelt Joe Cocker unter immensen akustischen Anstrengungen durch die gestutzten Obstbäume.

„Klingt fast schon ironisch“, meint Tina Harz lächelnd beim Blick auf die messingfarbenen Buchstaben über dem metallenen Eingangstor. Gemeinsam mit den beiden Studenten Georg und Ben teilt sich die 27-jährige ehemalige Greifswalder Studentin der Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft seit einem Jahr eine Parzelle in dem Greifswalder Kleingartenverein. „Wenn ich in den Garten fahre, dann meist zum Arbeiten.“

Trotz der eindringlich musternden Blicke, die auf allen Besuchern liegen, der Wortlosigkeit im Vorbeigehen und den ordentlich geharkten Pfaden, die sich einem Labyrinth gleich durch die Anlage ziehen, kann Tina die gängigen Vorurteile zum Leben im Kleingartenverein nicht bekräftigen. Einige Nachbarn seien zwar etwas seltsam, doch haben sich die drei einen „recht lockeren“ Verein ausgesucht, in dem die vorschriftsmäßige Höhe der Hecke oder frei wachsende Äste und Zweige nicht sofort zu verbitterten Grabenkämpfen führen. Und auch ohne Teilhabe am gemeinsamen Leben des Vereins mit den regelmäßigen Skatabenden unter der Woche steht ihnen der Vereinsvorsitzende bei Problemen im Garten zur Seite.

Von der Strukturiertheit und Genauigkeit, mit der einige Grundstücke um sie herum bewirtschaftet werden, lassen sie sich nicht verrückt machen. Fernab der Beete, vor dem Eingang zum kleinen Gewächshaus beispielsweise, befindet sich ein einzelner ausgewachsener Spargel, für den es noch keine weiteren Pläne gibt, und auch in den Beeten kommen gelegentlich noch überraschende Pflanzungen vom Vormieter zum Vorschein. „Wir lassen‘s ruhig angehen und machen uns keinen Druck“, gibt die 27-Jährige gelassen zu. Auch vermeintliches Unkraut wie Schafgarbe findet in ihrem gemeinsamen Garten seinen Platz.

Gärten gegen die Armut

Immernoch gilt der Kleingartenverein als typisches Beispiel des deutschen Spießbürgertums, dabei liegen dessen Ursprünge eigentlich fernab des Konservativen. Einerseits geht der Name „Schrebergarten“ auf den Leipziger Arzt Moritz Schreber zurück, dessen Freund Ernst Innozenz Hauschild in der Mitte des 19. Jahrhunderts seine erdachten Schulgärten nach ihm benannte. Die Idee des gemeinschaftlichen Gartens hingegen stammt andererseits schon aus dem Jahr 1806, als Landgraf Carl von Hessen im Zuge der Industrialisierung und zunehmender Verarmung der Bevölkerung parzellierte Armengärtenanlagen errichten ließ, in denen die Bewohner eigene Lebensmittel anbauen konnten. Noch heute findet sich diese Tradition im deutschen Bundeskleingartengesetz wieder. Zum einen darf eine Parzelle nicht größer als 400 Quadratmeter sein, zum anderen muss mindestens ein Drittel der Fläche „für den Anbau von Gartenerzeugnissen für den Eigenbedarf“ genutzt werden.

Wieder entdeckt, erlebte der (Klein-)Garten in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts dann eine neue Blüte in Nord- und Südamerika. Überquillende Metropolen mit endlos zerfurchten Betoncanyons, sowie ein Gefühl von Fremdbestimmtheit und Hilfslosigkeit brachten die Pioniere des „Urban Gardenings“ dazu, brachliegende Grundstücke gemeinsam zu erschließen und ökologisch für den Eigenbedarf zu bewirtschaften. Mittlerweile umspannt die Bewegung des (städtischen) Gemeinschaftsgartens als Gegenmodell zum kapitalistischen Zwangskonsum die ganze Welt. Sei es in New York, Buenos Aires oder Berlin, weltweit finden sich Menschen zusammen um ungenutzte Flächen in Städten wieder nutzbar zu machen.

Weniger ideologisch aufgeladen sei der gemeinschaftlich genutzte Garten für Georg ein Schritt in Richtung seines Ideals „komplett aus dem Garten leben zu können“, reißt Tina kurz an. Zum Überleben reiche es derzeit aber noch nicht, dafür müsse man wohl strukturierter und zielstrebiger anbauen, fügt sie lächelnd hinzu. Als Ergänzung zum bisherigen Supermarkteinkauf nutzen die drei ihren Garten dennoch.

Kreative und ökologische Selbstversorgung

Mindestens einmal pro Woche fanden Gurke, Tomate, Bohne, Kürbis, Erdbeere, Apfel, Mais oder Salat in der letzten Saison ihren Weg in die Küche der jungen Gärtner; dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Statt auf einen Kuchen wanderten die Johannisbeeren beispielsweise in ein großes Glas, wurden mit Zucker und Rum in einen Rauschzustand versetzt und sollten nun nach einem Jahr ihr volles Aroma als Likör entfalten.

Für die Studentin, die derzeit als Volontärin im Pommerschen Landesmuseum arbeitet, hat der Garten weitere Facetten. Schon als Kind hatte sie regelmäßig im Garten ihrer Mutter mitgeholfen. Der studienbedingte Umzug ließ sie dann nur noch bei den Besuchen bei den Eltern Zeit im Garten verbringen. Eine unbestimmte Sehnsucht blieb jedoch bestehen. „Zu sehen, wie eine Pflanze wächst und was alles dazugehört, lässt mich Lebensmittel viel besser wertschätzen und verleiht mir gerade im Gegensatz zu den theoretischen Sphären, in denen man sich während der Arbeit und auch des Studiums oft bewegt, eine gewisse Bodenhaftung“, räsonniert die junge Frau über den Einfluss des Gartens.

Ein Bedürfnis, das die ehemalige Referentin für Ökologie des Allgemeinen Studierendenausschusses, Diana Rümmler, schon öfter im Austausch mit ihren Komilitonen vernommen hat und sie in ihrer Idee vom Nutzen eines gemeinschaftlichen, studentischen Gartens bekräftigte. „Im Grunde geht es darum, auch Menschen ohne ‚grünen Daumen‘ für die Umwelt und Ökologie zu sensibilisieren“, so die passionierte Gärtnerin. Es gebe außerdem viele, denen ein eigener Garten an sich zu aufwändig sei. Durch einen zentralen Gemeinschaftsgarten könne man somit einen Anlaufpunkt für Interessierte schaffen, in dem auch Workshops rund ums richtige Gärtnern angeboten würden.

Gemeinsam mit dem Verein „Interkultureller Garten Greifswald e.V.“, der 2010 aufgrund von Bauvorhaben seinen Garten aufgeben musste und dem deutschen Naturschutzbund ist sie nun auf der Suche nach einem neuen Gelände. In der Zusammenarbeit mit dem Interkulturellen Garten sieht sie eine gute Möglichkeit, ausländischen Studierenden die deutsche Kultur näher zu bringen. Zurück in der Kleingartenparzelle macht sich Tina unterdessen daran, einige Beete vom Wildwuchs zu befreien und ein paar Erdbeeren zu pflücken. Frisch vom Strauch nimmt sie sich eine weg – sind ja schließlich nicht gespritzt – um mit vollem Mund festzustellen: „So muss man die essen, die sind wirklich gut. Eigentlich viel zu schade für einen Kuchen.“ Kann man eigentlich so stehen lassen.

Ein Bericht von Felix Kremser