Eine Kritik am Vorwurf, Studierende seien für steigende Mietpreise in Greifswald verantwortlich.
Die Stadt Greifswald hat einen neuen Mietspiegel aufgelegt. Das Ergebnis der erneut durchleuchteten Mietpreise ist eindeutig: Die Mieten steigen weiter. Für Wohnungen mit einer Größe von bis zu 30 Quadratmetern sind die Mieten seit 2008 um zehn Prozent gestiegen, Wohnungen von einer Größe zwischen 30 und 65 Quadratmetern sind um drei Prozent teurer geworden.
Bei Wohnungen, die mehr als 65 Quadratmeter Fläche haben, sind die Mieten um zwei bis drei Prozent gesunken, wie die Pressestelle der Universitäts- und Hansestadt Greifswald mitteilt. Hans-Georg Klein, Vorsitzender des Gutachterausschusses für den Mietspiegel, stellt fest, dass es “seit 2008 hinsichtlich des Wohnungsbestandes und der Ausstattung enorme Veränderungen” gegeben habe. “Vor allem die großen Wohnungsbauunternehmen haben ihren Bestand in großen Teilen saniert, die Ausstattung ist wesentlich besser geworden. Auch private Investoren haben neu gebaut oder modernisiert”, erklärt Klein abschließend.
Greifswald weiterhin beliebter Wohnort
Die Stadt sieht, so geht es aus der Pressemitteilung hervor, in dem neuen Mietspiegel einen Beleg dafür, dass Greifswald weiterhin ein beliebter Wohnsort sei: “Zum einen für Studenten, zum anderen aber auch für Senioren, die zurück in die Stadt ziehen. Das spiegelt sich auch in der Marktlage wieder. Bei kleineren Wohnungen ist das Mietzinsniveau gestiegen, bei größeren hingegen gesunken. Das zeigt auch, dass Greifswald neben seiner Attraktivität für Studenten und Senioren eine familienfreundliche Stadt geblieben ist.”
Ostsee-Zeitung und DPA machen Studierende für steigende Mieten verantwortlich
Die Deutsche Presse-Agentur und Dirk Barfknecht, Vorsitzender des Mietervereins Vorpommern-Greifswald, sehen hingegen in den Studierenden scheinbar die alleinigen Verursacher des gestiegenen Mietspiegels. Die DPA betitelt ihre Meldung provokant mit “Studenten treiben Mietpreise hoch”, der von Björn Wisker, Greifswalder Lokalredakteur der Ostsee-Zeitung (OZ), als “Studenten treiben Mieten nach oben” adaptiert wurde. Das Fazit des vorgelegten Mietspiegels sei, so die DPA, dass die große Nachfrage an Studentenbuden die Mieten für kleine Wohnungen nach oben getrieben habe. Dirk Barfknecht empfindet diese Entwicklung für besorgniserregend, “da auch alleinstehende Hartz-IV Empfänger kleine Wohnungen benötigen.”
Während in der DPA-Meldung der Eindruck entsteht, Barftknecht wolle Studierende gegen Hartz-IV Empfänger ausspielen, drückt sich der Vorsitzende des Mieterbundes in der Ostsee-Zeitung deutlich differenzierter aus. So sieht er in zahlreichen Gebäudeabrissen eine Ursache dafür, dass Enge im Wohnungsmarkt entstanden sei, welche die Mieten steigen lasse. Eine weitere, bislang noch wenig beachtete, Ursache für die steigenden Mietpreise dürfte jedoch auch in der Grundstücksvermarktung der Stadt Greifswald liegen. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Grundstücke und Immobilien unter anderem an Unternehmen der Avila-Gruppe und das Petruswerk verkauft. Jene ließen Studentenwohnheime auf die erworbenen Grundstücke errichten, beziehungsweise in den sanierten Altbauten einrichten. Die Kaltmieten in den Ein-Raum-Wohnungen starten bei rund 300 Euro für gut 20 Quadratmeter, das Studentenwerk verlangt für seine Einzelappartements maximal 245 Euro für vergleichbare Größen (Max-Kade-Haus). Die privaten Anbieter haben in diesem Segment noch weitaus größere Wohnflächen zu bieten, zu weitaus höheren Preisen.
OZ-Bericht verzerrt Realität
Der private Bau von Studentenwohnheimen wurde wiederum durch die Landesregierung gefördert, indem sie sich aus der finanziellen Förderung beim Bau von Wohnungen durch das Studentenwerk komplett zurückzog. In die Lücke, die durch den studentischen Wohnungsbau entstanden ist, sind private Investoren gesprungen, welche die Wohnraumknappheit ausnutzen, um großzügig angelegte und ebenso großzügig ausgestattete Studentenwohnungen zu errichten. Studierende brauchen, ebenso wie die nach Greifswald zurückziehenden Senioren, Wohnungen. Studierenden bleibt – darüber haben die Moritz-Medien oft berichtet – angesichts der Wohnungslage nichts anderes übrig, als in überteuerte Zimmer und Wohnungen zu ziehen. Studierende für steigende Mieten zur Verantwortung zu ziehen, ist sachlich falsch und hat das Potential soziale Gruppen gegeneinander auszuspielen. Es verzerrt auch die Wahrnehmung von dem finanziellen Stand eines durchschnittlichen Studierenden, indem durch diese Überschrift unterschwellig mitschwingt, Studierende seien grundsätzlich finanziell besser gestellt, als Hartz-IV Empfänger. Wie sonst könnten sie sich Luxus-Studentenwohnungen leisten? Plakativ betrachtet ist der OZ-Titel “Studenten treiben Mieten nach oben” durchaus zulässig. Geht man ins Detail stellt man fest, dass der Titel – und auch der folgende Bericht – nichts weiter als ein Kratzen an der Oberfläche des eigentlichen Problems ist.
Foto: Luisa Wetzel/ webMoritz-Archiv; Screenshot: Marco Wagner/ ostsee-zeitung.de
Danke dafür!
Natürlich sind wieder die Studierenden schuld an allem Schlamassel, wer auch sonst?!
Wieso bekommt man in dieser Stadt eigentlich überdurchschnittlich oft das Gefühl vermittelt, die jungen Menschen sind hier unerwünscht und die Hansestadt möchte – neben Fahrradhauptstadt und vorpommerschen Leuchtturm – auch noch den Ruf als Mumienparadies mit Renitenzgarantie ergattern? Ein derart provinzielles Denken wird dem Standort einer Universität nicht gerecht, aber das kennen wir ja schon…
Für das Versagen der städtischen Politik und für die ökonomische Fehlentwicklung (Mieten steigen ja nicht nur in HGW) hat man sich hier wieder einen schönen Sündenbock auserwählt. Der letzte Absatz des Artikels bringt es auf den Punkt und ich schließe mich Herrn Wunder an – Danke dafür!
Wo bitteschön gibt der Mieterverein den Studenten die Schuld für steigende Preise? Sorry, aber wenn das Greifswalder Käseblatt reißerische Schlagzeilen produziert um damit eine höhere Auflage zu erreichen, dann ist das eine andere Sache! Das Zitat "Diese Entwicklung sei besorgniserregend, da auch alleinstehende Hartz-IV-Empfänger kleine Wohnungen benötigten" ist überhaupt nicht studentenfeindlich, sondern ein berechtigter Hinweis auf die Deckelung der Mietzuschüsse für Hartz-4-Empfänger.
Es gibt zumindest eine zweite Quelle/Schweriner Käseblatt?, die die „unglückliche“ Aussage des Mietervereinschefs stützen. http://www.svz.de/index.php?id=160&tx_ttnews%5B…
„Fazit: Die große Nachfrage an Studentenbuden hat die Mieten für kleine Wohnungen nach oben getrieben. Die Kaltmieten für Wohnungen mit bis zu 30 Quadratmeter Größe sind in Greifswald in den vergangenen vier Jahren um zehn Prozent gestiegen. Diese Entwicklung sei besorgniserregend, da auch alleinstehende Hartz-IV-Empfänger kleine Wohnungen benötigten, sagte Dirk Barfknecht vom Mieterverein Vorpommern-Greifswald.“
Ich habe die OZ-Schlagzeile auch sofort skeptisch gesehn. Wenn die OZ Courage hätte, würde sie sich dafür einfach mal entschuldigen…
aber was regt ihr euch so auf? es stimmt doch.
die privaten überteuerten wohnungsunternehmen kommen ja auch wegen der studenten und der mit ihnen entstehenden wohnungsnot her. natürlich tut die stadt durch hinterhergeworfene quadratmeterpreise (s. petruswerk am ryck) ihr übriges.
ja, wir sind schuld – weil wir überteuerte mieten widerspruchslos akzeptieren anstatt auf die straße zu gehen!
Glaubst du, dass ein "auf die Straße gehen" in diesem Fall wirklich etwas nützen würde? Ich halte auch viel von Straßenprotesten; in diesem Fall mache ich mir wenig Hoffnung. Wer soll denn der Adressat sein? Gegen wen soll sich der Protest richten? Die Stadt? Die sagt: Wir können nichts dafür, das Land ist Schuld, weil es sich aus dem Wohnheimbau zurückgezogen hat. Das Land? Das sagt: Wir haben kein Geld, wendet euch an die Stadt. Douglas Fernando? Der sagt: Was interessiert mich euer dummes Geschwätz! Hauptsache, die Rendite stimmt.
Die Sache mit Angebot, Nachfrage und Preis habt Ihr schon mal gehört. Diese Aufregung hier aufgrund einer Tatsache kann ich nicht verstehen. Und die neuen Häuser an der Fleischerwiese sind doch vom Studentenwerk. Wären die Studenten nicht, wäre die Nachfrage nach kleinem Wohnraum viel geringer. Demzufolge würden die Preise nicht so schnell steigen. Hätten wir nicht so viele Studenten gäbs auch nicht so viele Fressbuden an jeder Ecke. Dieser Idealismus hier in allen Ehren aber die Wohnheime sind doch alle gut vermietet. Also muss der Preis o.k. sein für die Mieter.
Erstmal war das von mir eher ne polemische Formulierung, aber trotzdem: natürlich doch! Vorher weiß man selten wieviel es nützt, aber ist erstmal besser als nichts machen. Die Verantwortung wird ja erfahrungsgemäß bei allen Themen veruscht abzuschieben.
Bei der Stadt kann man den unkritischen Umgang mit Großinvestoren kritisieren. Bei Stadt und Uni das verhindern bügrerschaftlichen Engagements(Straze) – moralische Verantwortung usw.
Bei Fernando wird das tatsächlich nicht viel bringen, deswegen lieber ihn als Investor verschrecken bzw andere Städte vor ihm warnen und ihm sein geschäft schwer machen (Nichtwohnempfehlungen).
Wohnungsunternehmen: Abriss kritisieren
usw…
Vieles davon kann auf der STraße geschehen, aber auch durch andere Aktionsformen wie z.B. kollektive Aneignung von Wohnraum u.a.
"Nichtwohnempfehlungen"… köstlich!
Ich bin mir nicht sicher, ob der Autor hier die objektive Ursächlichkeit für eine Situation mit der moralischen Schuldfrage verwechselt.
Natürlich gibt es mehrere Gründe für die Mietpreissteigerungen als die gestiegene Studentenzahl, aber viele Medien, einschließlich webmoritz, suchen monokausale Erklärungsmuster. Schon in der Überschrift die Mannigfaltigkeit der Ursachen für die zu hohen Mieten zu erläutern, dürfte trotz des dort ansässigen geballten journalistischen Sachverstandes auch der OZ schwerfallen.
Alternativloser marktkonformer demokratischer Mietspiegel!
Würde diese „Überschrift die Mannigfaltigkeit der (gesellschaftlichen) Ursachen“ treffen?
Wenn die Vermieter Deinen Kommentar lesen und das offensichtlich mangelnde allgemeine Interesse bemerken, werden sie sich in den Arsch beißen, dass sie die Mieten nicht noch weiter in die Höhe getrieben haben. So lange die kürzeste Verbindung zwischen nicht benachbarten Ecken in einem Polygon mehr die Gemüter erhitzt als die Mieten, ist die Welt in Greifswald noch in Ordnung.
Ansonsten hier noch ein paar Gedanken zum Thema http://ostsee-zeitung-blog.blogspot.com/2012/03/s…
oder die selbsterfüllende Prophezeiung eines Greifswalder Vermieterkartells.