Das Wartezimmer – I will forget this day

Eine Rezension von Melanie Fuchs

Wie eine Brücke verbindet auch ein Warteraum die Schicksale von Menschen.

An diesem Ort treffen die verschiedensten Lebensgeschichten aufeinander, die dort für einen kurzen Augenblick vereint, ihrem selbstgewählten Los entgegentreten müssen. Nachdem die Zeit in solch einem Raum überbrückt ist, folgt jeder wieder seinem eigenen Pfad. Doch für den Rest ihres Lebens verbindet sie – der Moment im Wartezimmer.

Diese emotionale Zusammengehörigkeit wird in Alina Rudnitskayas Dokumentarfilm I will forget this day beschrieben, als zu Beginn eine düstere und vernebelte Brücke das Publikum auf den schwermütigen Film vorbereitet. Denn die russische Filmemacherin Rudnitskaya, 35, porträtiert die unterschiedlichsten Frauen, während sie im Wartezimmer ausharren und auf die Abtreibung ihrer Kinder warten. Dabei beweist sie ein besonderes Talent, die zwischenmenschlichen Emotionen der einzelnen Frauen einzufangen – ihre Zweifel, ihre Trauer, ihre Erleichterung!

Der Weg, den diese Frauen eingeschlagen haben, scheint hoffnungslos und deprimierend, Diese Atmosphäre vermittelt der in schwarz-weiß gehaltene Film eindrucksvoll.

Eine Brücke im Nebel stimmt auf die undurchsichtigen Schicksale im Wartezimmer ein

Er hinterlässt den Zuschauer mit einem Gefühl von Beklemmung und in gewisser Weise auch Ratlosigkeit. Warum müssen diese Frauen eine solche Entscheidung treffen? Vor allem wenn der Zweifel und die Verwirrung während des Wartens in ihren Gesichtern beobachtet werden kann. In kurzen Interviews versucht eine Ärztin die Frauen davon zu überzeugen, dass eine Abtreibung nicht die Lösung ist. Doch die Frauen lassen sich nicht auf dieses Gespräch ein, können oder wollen keine nachvollziehbaren Gründe für ihre Entscheidung vorbringen.

Der Zuschauer gewinnt vielmehr den Eindruck, dass diese verlorenen Seelen auf der Suche nach sich selbst in den Wirrungen des Lebens und der Liebe hängen geblieben sind, ohne die Kraft, einen neuen Weg einzuschlagen. So traut sich eine junge Frau nicht einmal ihrem Freund zu sagen, dass sie schwanger ist. Dabei wird die Frage aufgeworfen, welche Substanz diese Beziehung dann überhaupt hat. Solche und ähnliche Gedanken werden durch den Film hervorgerufen und sorgen für lang anhaltendes Kopfzerbrechen.

Die sich wiederholenden Sequenzen im Wartezimmer erwecken den Eindruck einer Massenabfertigungsanlage, wo Frauen wie am Fließband ihr Schicksal erwarten. Einige dieser scheinen irgendwo in ihrem Leben falsch abgebogen zu sein, da sie sich zum wiederholten Male auf dem Weg in den OP-Saal befinden. Durch diese Bilder erzeugt der Film ein dumpfes Gefühl im Magen.

Gezeigt wird die Realität – egal wie grausam und schmerzhaft sie ist. Auch wenn die Frauen, wie der Filmtitel schon sagt, versuchen die Erinnerung an diesen Tag zu vergessen und so tief wie möglich in sich zu vergraben, wird ein solcher Gewissenswurm sich durch die Seele fressen und letztendlich doch an die Oberfläche des Bewusstseins krauchen.

Auch wenn dieser Dokumentarfilm nicht für ein alltägliches Fernseherlebnis geeignet ist, fasziniert er. Rudnitskaya vermag es auf tiefgründige Art und Weise die Gefühlswelt der verschieden Frauen zu entschleiern und den Zuschauer auf eine Reise in deren emotionale Abgründe mitzunehmen.

Regie: Alina Rudnitskaya, Russland 2011, 25 Minuten

Gefangen im Bann der Familie – Family Instinct

Gefangen im Bann der Familie – Family Instinct

Ein mickriger Weihnachtsbaum dekoriert mit Toilettenpapier. Rundherum sitzen die Bewohner eines lettischen Provinzdorfes. Beschimpfungen, Gewalt und Alkohol gehören zu ihrem Alltag. Getrunken wird bis zur Bewusstlosigkeit. Zwischen den Schnapsleichen spielen zwei Kinder. Es sind die Kinder von Zanda und ihrem Bruder Valdis, der wegen Inzest im Gefängnis sitzt.

Ohne Alkohol ist der Alltag für Zandas Umfeld nur schwer zu ertragen

Auf den ersten Blick scheint sich Regisseur Audris Gauja in Family Instinct vordergründig mit der illegalen Beziehung zwischen Bruder und Schwester zu beschäftigen. Schnell wird aber klar, dass das nur der Höhepunkt verschiedener, teilweise jahrelang gärender Konflikte ist. Bittere Armut, exzessive Alkoholgelage und grauenhafte Gefühlskälte prägen das Klima im Dorf. So ist es nicht nur das verbotene Verhältnis zu ihrem Bruder, das Zanda Kopfzerbrechen bereitet. Vielmehr ist es die Verknüpfung unterschiedlicher sozialer Spannungen, die die Situation aussichtslos machen.

Mit Stockflecken und Schimmel durchzogene Wände von denen der Putz abbröckelt, zerfallene Möbel und eine marode Kochmaschine: das ist das Umfeld in dem die 28-jährige Zanda zusammen mit ihren beiden Kindern, ihrer Mutter, einem ihrer Brüder und dessen Frau lebt. Gerne sind auch die Nachbarn zu Besuch, deren Hemmungen mit steigendem Alkoholpegel sinken. Zandas Zustand schwankt zwischen totaler Zurückgezogenheit und gewalttätigen Wutausbrüchen. Oft verprügelt sie dabei die Männer des Dorfes. In Gedanken ständig bei Valdis, hofft sie, dass der sie nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis noch liebt. Auch wenn seine Briefe eine andere Sprache sprechen.

Zanda wartet auf Valdis' Rückkehr aus dem Gefängnis

Trotz aller alltäglichen Probleme versucht Zanda ihren Kindern die Liebe und Wärme zu geben, die sie selbst nie erfahren hat. Zwar wird das Verhältnis zwischen Zanda und ihrer Mutter nicht tiefgründig analysiert, der Zuschauer bekommt aber all zu deutlich mit, dass es sich um keine herzliche Mutter-Tochter-Beziehung handelt. Auf die Frage, ob ihre Mutter sie liebe, antwortet diese lediglich „Warum sollte ich?“ Dennoch sind einige Entscheidungen von Zanda nur schwer nachzuvollziehen. So lehnt sie die Hilfe der örtlichen Behörden ab. Bei der Besichtigung einer Sozialwohnung flüchtet sie Hals über Kopf. Zu groß ist die Angst vor dem endgültigen Bruch mit der Dorfgemeinde, zu groß auch die Angst von Valdis gefunden zu werden.

Der Zuschauer ist hin und her gerissen, zwischen Mitgefühl und völligem Unverständnis, Mitleid und Ratlosigkeit. Gauja gibt in seiner Reportage aus dem Jahr 2010 keine Antworten. Zu komplex sind die sozialen Probleme in Lettlands ländlichem Raum. Zu komplex sind die Ursachen. Stattdessen zeigt er Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben und stellt deren Alltag in erschreckend realistischer Weise dar.

Regie: Andris Gauja, Lettland, 2010, 58 Minuten

Studieren in Polen – Teil 2

Studieren in Polen – Teil 2

Im Rahmen unserer Serie “Greifswalder rund um den Globus” erscheinen in loser Abfolge Berichte von Kommilitonen über Erfahrungen im Ausland. Dieses Mal berichtet die Greifswalder Studentin Jenny Dittberner über die bisherigen Eindrücke ihres Auslandssemesters im polnischen Zielona Góra. (mehr …)

3 – Noch einmal Kind sein…

Der Adventskalender ist bereits angebrochen und die ersten Türchen sind geöffnet. Doch Weihnachtsstimmung will bei Nieselregen und Plusgraden noch nicht so recht aufkommen. Da hilft nur ein tiefer Griff in die angestaubte Kiste der Kindheitserinnerungen. An diesem Wochenende ist immerhin schon der zweite Advent.