Junge Literatur made in Germany: im Schatten schlaffer Schoßgebete? Au contraire, servierte uns doch das Koeppenhaus mit Matthias Jügler und Lisa Kreißler literarische Lichtblicke. Vor der Lesung bat moritz zum Gespräch.

Lisa Kreißler, 28 studierte Theater und Medienwissenschaften, Psychologie und Nordische Philologie in Erlangen und Uppsala Matthias Jügler, 27 studierte Germanistik, Skandinavistik und Kunstgeschichte in Halle, Greifswald und Oslo

Ihr studiert seit einem Jahr am Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL), einer der großen deutschen Schreibschulen, mit nach eigenen Angaben bis zu 600 Bewerbern auf rund 20 Plätze. Studienalltag im Elfenbeinturm: Klischee oder Körnchen Wahrheit.
Lisa: Nee, gar nicht. (lacht). Das Institut ist ein kleines Häuschen in Leipzig, wo relativ wenig los ist. Man geht dort eher für die Seminare hin. Generell sind es ganz unterschiedliche Leute und klar kommt man auch an manche gar nicht heran. Die haben dann auch diesen Gestus, den man sich vielleicht vorstellt. Auf jeden Fall ganz unterschiedliche Menschen, aber alle nett.
Matthias: Es ist in dem Sinne elitär, das von vielen Interessenten eben nur eine kleine Auswahl angenommen wird. Elitär ist ja so ein böses Wort, aber man ist schon unter sich. Eigentlich ist es nicht anderes, als hier in Greifswald zu studieren. Man kennt seine Pappenheimer, nur das die eben schreiben, anstatt Kunstgeschichte zu studieren.

Das Institut in seiner heutigen Form existiert ja erst seit 1996, von 1958 bis 1990 hieß es „Literaturinstitut Johannes R. Becher“, benannt nach dem ehemaligen DDR Kulturminister. Die Eröffnungsrede im Jahr 1955 stand unter dem Titel „Über die Lehrbarkeit der literarischen Meisterschaft“. Ungeachtet aller politischen Vorzeichenwechsel – wie viel von diesem Anspruch findet sich in eurem jetzigen Studiengang?
Matthias: Ein Professor von mir hat uns immer gesagt: „ Ich kann aus keinem von euch einen Schriftsteller machen, ich kann euch nur dabei helfen, dass das, was ihr schreibt, besser wird.“ Aber die Erwartung, dass man jetzt beigebracht bekommt, wie das mit dem Schreiben funktioniert, die hat auch keiner.
Lisa: Naja, das ist ja bei allen Kunststudiengängen die Frage, inwieweit man Kunst lernen kann. Aber es gibt ja Techniken, gerade auch beim Schreiben. Inwieweit man die dann benutzt, ist einem selbst überlassen. Ich habe es mir hier und da anders vorgestelt, nicht so verschult. Natürlich gibt es Werkstattsituationen, aber wir haben auch Theorieseminare. Manchmal ist es schon wie in der Schule, ein bisschen unromantisch (lacht). Es ist ein Angebot, etwas über ein technisches Verständnis von Literatur zu lernen. Ein großer Vorteil des Instituts ist, das man ungemein stark ins Reflektieren kommt, weil man ja auch immer die Texte der anderen liest. Man lernt auf jeden Fall sehr gut über Texte zu sprechen und wird sehr analytisch.
Matthias: Dieser Austausch ist ganz wichtig. Man kann sehr viel von Anderen lernen, ohne zu kopieren und bekommt mit der Zeit ein Gefühl dafür, warum etwas, zum Beispiel eine Erzähltechnik, klappt oder eben nicht klappt.

Ihr habt ja schon vor eurem Studium viel geschrieben. Matthias beispielsweise für den moritz und die Ostseezeitung, Lisa unter anderem für das Onlineportal Lottaleben.net. Welches literarisches Rüstzeug fehlte euch danach noch und nützt euch euer jetziges Studium für dessen Vervollständigung?
Matthias: Naja, ich schreibe immer noch viel intuitiv, bin nach wie vor kein handwerklicher Typ. Nur jetzt merke ich manchmal beim Schreiben, dass das so nicht geht. Wir haben aber im Arbeitsprozess auch viel Freiraum.
Lisa: Man lernt, beim Schreiben an den Leser zu denken. Das habe ich vorher nicht gemacht. Aber jetzt hat man Leser und merkt, dass Texte oft auch anders gelesen werden, als man sich das vorgestellt hat. Ich glaube, man schaut aus einer anderen Pespektive auf die Texte und das ist letztendlich wichtig. Es ist gut, dass man Dinge wie Erzähltechnik kennt, aber das nimmt dem Prozess auch ein bisschen den Zauber.

Aus welchen Beweggründen habt ihr mit dem Schreiben begonnen? Kam dann irgendwann der Punkt, an dem ihr davon leben wolltet?
Matthias: Es macht einfach unglaublich viel Spaß, wenn man das schreiben kann, worauf man Lust / Bock hat. Diesen Prozess innerhalb von vier, fünf Jahren zu verfolgen, von ziemlich schrottig bis jetzt, das fetzt (lacht). Ich fände es schon gut, davon leben zu können, aber ich hab mich sehr zeitig von dem Gedanken verabschiedet. Bei uns im Jahrgang sind 20 Leute, davon schafft es vielleicht einer. Es ist gut, sich früh von diesem Erfolgsdruck zu befreien. Es soll ja auch Spaß machen. Klar wird Hartz IV nach dem Studium erstmal schon irgendwo eine Rolle spielen, aber wir haben ja auch alle unsere Nebenjobs, von denen wir leben.
Lisa: Mit dem Schreiben habe ich ziemlich früh angefangen, ohne konkreten Grund. So wie man als Kind irgendwann mal anfängt zu malen. Ich habe mich einfach wohlgefühlt und hatte meine Form gefunden.
Von der Idee davon zu leben, habe ich mich verabschiedet. Dann musst du gut funktionieren, alles wahrnehmen, dich um Preise und Stipendien kümmern. Mir ist es einfach wichtig, die Sachen zu machen, die mich interessieren. Und dafür musst du dann zwischendurch auch mal was anderes als Schriftsteller sein.
Matthias: Wir müssen ja keine Berühmtheiten werden. Hauptsache die Texte sind gut und es macht Spaß.

Welche Themen und literarischen Formen interessieren euch?
Lisa: Angefangen habe ich ganz klassich mit Lyrik in der Pubertät, dann wurde es immer erzählerischer und seit zehn Jahren ist es Prosa. Ich habe jetzt dieses Jahr angefangen ein bisschen Dramatik zu machen, dadurch reden meine Personen jetzt auch mehr (lacht). Interessanft finde ich besonders die Mischformen.
Matthias: Ich habe so ein Faible für die 90er Jahre, für Schlager, Schnaps und Zigaretten. Eigentlich ein Milieu, was mich ungeheuer abstößt. Ich bin in Halle im Plattenbauviertel groß geworden, daher kenne ich das. Kleine, schrullige Typen, die den großen Wurf machen wollen. Obwohl jedem klar ist, dass sie es nicht schaffen. Kleine, kurze Geschichten, die sich alle um einen Kern drehen und zusammen dann ein Buch ergeben können.

Über den literarischen Schaffensprozess kursieren ja allerlei Mythen und romantisierte Anekdoten. Wie ist das bei euch? Braucht ihr zum Schreiben eine gewisse momentbezogene Spiritualität oder eher: ran an den Schreibtisch und los?
Matthias: Ich glaube, es ist beides. Die Muse muss einen schon küssen, aber das tut sie nicht nachmittags, sondern eher früh am Morgen. Ich gehe abends schon weniger weg und arbeite dann morgens fokussiert. Also schon so in Richtung Handwerk. Aber feste Rituale habe ich keine.
Lisa: Bei mir haben sich schon ein paar Rituale eingebürgert. Ich kann zum Beispiel auch besser früh schreiben, brauche aber ganz lange, bis ich mich hinsetze und räum vorher immer noch ewig rum.
Ich mag es, einfach mal eine Woche nicht zu schreiben, sondern draußen unterwegs zu sein, zu beobachten und zu skizzieren. Das ist die schönste Arbeit (lacht).

Was lest ihr aktuell selbst und gibt es trotz eigenem Stil und Kopf sowas wie literarische Vorbilder?
Matthias: Hermann Hesse habe ich immer gern gelesen, ohne ihn jetzt imitieren zu wollen. Eine ganz neue Erfahrung war für mich im Studium, dass mir auf einmal auch Texte von Jüngeren gefallen. Vor drei, vier Jahren war mir das alles noch scheißegal und ich habe eher Klassiker gelesen.
Lisa: Geprägt hat mich auf jeden Fall Ingeborg Bachmann. Die Erzählungen waren immer heilig für mich. Neulich habe ich sie noch einmal gelesen und gemerkt, dass ich mich in der Zwischenzeit verändert habe. Trotzdem hat sie mich ganz lange Zeit begleitet und wahrscheinlich auch viel bei mir bewirkt.

Lisa und Matthias, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ole Schwabe, das Foto wurde von Johannes Köpcke aufgenommen