Eine Rezension von Arvid Hansmann

“Wie spielst du denn ´körperlich´? Wackelst du mit den Ohren…?”, fragt Henry Hübchen als trinkfester, alternder Schauspieler in Andreas Dresens Tragikkomödie “Whisky mit Wodka” seinen jüngeren Konkurrenten, der wie er nur durch einen Liebesreigen am Filmset stolpert, den die amüsanten Einsprengsel nicht von seiner melancholischen Grundstimmung befreien können.

Ebenso einen abgehalfterten Charakter hat Darren Aronofsky 2008 in „The Wrestler“ portraitiert: Mickey Rourke verleiht einer Gestalt Ausdruck, die ihre Lebensaufgabe bereits in jungen Jahren gefunden hatte und im (noch gar nicht so hohen) Alter an ihre physischen und auch psychischen Grenzen stößt. Der Schaukämpfer sieht nur ein Ideal für das er gelebt hat und für das er nur leben kann: die Bühne.

Melancholie hinter harmonischem Schaubild.

Die vermeintliche Trivialität und Antiästhetik findet mit „Black Swan“ nun ihren Widerpart. Aufgedunsene, künstlich gebräunte und geölte Männerkörper finden ihre Entsprechung in schlanken, blassen Grazien. Dem inszenierten Schaukampf unter sich achtenden Kollegen steht der Zickenterror hinter dem großen, harmonischen Schaubild gegenüber. Der intime Blick in die fremdartige Welt der Proficatcher beziehungsweise des Balletts wird in beiden Fällen zentral an den Protagonisten festgemacht. Der Vergleich macht nun deutlich, dass die Gefangenheit in einem Rollenbild sich nicht durch einen potentiell niedrigeren Intellekt oder sozialen Status äußert.

Die New Yorker Ballerina Nina (Natalie Portman) ist in einem Korsett gefangen: Der Ballettdirektor (Vincent Cassel) hat sie auserkoren, die „Schwanenkönigin“ in der kommenden Tschaikowski-Inszenierung zu tanzen. Ihre perfekte Darbietung der Odette, des „weißen Schwans“, steht für ihn außer Zweifel. Jedoch hat jene ein dunkles Spiegelbild: Odile, den „schwarze Schwan“. Um ihr Leben zu verleihen, reicht der apollinische Glanz Odettes nicht aus. Der Verzicht auf die Ratio, die Entfesselung dionysischer Triebe, die hemmungslose Hingabe an des Hier und Jetzt muss Nina in der jüngeren Lily (Mila Kunis) erkennen, die ihr zur ärgsten Konkurrenten zu erwachsen scheint. Mit dem von der übertrieben fürsorglichen Mutter (Barbara Hershey) angestachelten Ehrgeiz im Rücken und der Rollenvorgängerin (Winona Ryder) vor Augen, die suizidgefährdet auf der Intensivstation landet, steigert sich Nina manisch in die Rolle hinein, um der erstrebten Metamorphose gerecht zu werden.

Albtraumhaft: Ninas befremdliche Welt.

Hier geht Aronofsky nun über sein vorangegangenes Werk hinaus, indem er die Bilder von Glanz und Pein mit surrealen Elementen durchwebt. Der Betrachter wird in Ninas zunehmend befremdliche Weltsicht hineingezogen und kann nur punktuell aus den Albträumen erwachen, was diese eher noch beängstigender erscheinen lässt. Auch wenn sich hier die digitalen Hilfsmittel hin und wieder zu leicht verspielten Arabesken heraufschwingen, so werden sie doch in einem so harmonischen Fluss eingebracht, dass sie den intensiven Wellengang der Tschaikowski’schen Klänge in einer selten gesehenen Intensität visualisieren. Filmkomponist Clint Mansell hätte vielleicht etwas mehr aus dem reichhaltigen Schatz der Ballettmelodien schöpfen sollen, anstatt sich – bis auf den obligatorischen „Tanz der Schwäne“ – fast ausschließlich auf das eingängige Leitmotiv zu konzentrieren, was einen an Stanley Kubricks Mantra von Händels „Sarabande“ in „Barry Lydon“ (1975) erinnert.

„Die Rosen, sie blühn und vergehen“

Der Film erhält jedoch seinen zentralen Fixpunkt in der Hauptdarstellerin. Was Natalie Portman hier leistet, übersteigt viele ihrer bisherigen Rollen, weil sie diese konterkariert. Zwar hat man sie schon in „Cold Mountain“ (2004), „V wie Vendetta“ und „Goyas Geister“ (beide 2006) leiden sehen, jedoch war sie dort stets eine selbstbewusste junge Frau, die widrige Umstände als niederschmetternde Demütigungen erlitt. Hier ist sie jedoch von Beginn an die Gefangene: Die infantile Welt der rosa Tutus weist in eine präpubertäre Zeit zurück, die sie bereits in ihrem ersten Film „Leon – Der Profi“ (1994) hinter sich gelassen hatte.

Irdisches Streben nach Perfektion.

„Ich bin schon längst erwachsen. Ich werde nur noch älter“, verkündete die damals 12-Jährige. Die Verführerin aus „Hautnah“ (2005) und „Die Schwester der Königin“ (2008) ist zu einem sexuell naiv tastenden Mauerblümchen geworden, das sich nach mehrfach verkümmernden Ansätzen zu einem orgastischen Befreiungsschlag erhebt, bei dem das begehrte Gegenüber lediglich zum Spiegel der eigenen Selbstverwirklichung wird.

„Du musst echt lockerer werden! (You really need to relax!)”, haucht ihr Mila Kunis entgegen. Doch wer hier in Natalie Portmans Gesicht schaut, sieht nur statisch gespannte Züge, die von einer tiefen Angst aufrecht erhalten werden – der Angst, vor dem Publikum zu scheitern. Das stete Wechselverhältnis von Rolle und Akteur wird hier nur allzu deutlich sichtbar. Aronowsky, der bereits vor mehr als zehn Jahren erstmalig mit ihr über das Projekt sprach, hätte nicht viel länger mit der Umsetzung warten können, wenn er den Anspruch des „Realismus“ aufrecht erhalten wollte. Was er und der choreographische Leiter Benjamin Millepied ihr abverlangten, zeigte ihr Grenzen auf, die sie bald nicht mehr erreichen würde.

Vanitas als beherrschende Grunderkenntnis.

Die von Portman geschätzte Winona Ryder dient hier dementsprechend als doppeltes Vorbild. Die Vanitas wird zur alles beherrschenden Grunderkenntnis, der jedoch die Kunst des Augenblicks gegenübersteht. Jenes „Nichterstarren“ vor dem leidvollen Untergang ist es, auf das der gesamte Film hinzuläuft und damit wieder sein Echo in „The Wrestler“ findet. Das irdische Streben nach Perfektion kann nur an jenen finalen Punkt gelangen, vor dem sich ein „unendlicher Abgrund“ auftut. Der Blick des Betrachters muss sich nach innen richten und die Frage aufwerfen, ob er dort nur in eine finstere Leere stürzt, oder den Verweischarakter auf eine höhere Wahrheit erahnt – ars longa, vita aeterna!

Für Natalie Portman gilt es zu hoffen, dass die Anerkennung, die sie bereits für diese Rolle bekommen hat und in sicher noch größerem Maße bekommen wird, keinen „Höhepunkt“ markiert, sondern die endgültige Aufnahme in einen Olymp eröffnet, in dem sie noch möglichst lange bleiben wird.

Allen, denen „Black Swan“ doch zu sehr auf den Magen schlägt, seien ihre kommenden Komödien „Freundschaft Plus (No Strings Attached)“ und „Your Highness“ ans Herz gelegt, mit deren fast therapeutischer Leichtigkeit sie ihr ewig rätselhaftes Rollenkaleidoskop um weitere Reflexionen erweitert.

Fotos: Twentieth Century Fox (keine CC-Lizenz)