Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland – mit präsidialen Segen von Christian Wulff zum Jahrestag der Deutschen Einheit. Die Debatte um Integration hält an. moritz hat mit Greifswalder Muslimen gesprochen.

Auf der einen Seite des Gebäudes der Hörsaal, auf der anderen der Studentenclub. Doch wer hätte gewusst, dass in der „Kiste“ in der Makarenkostraße auch eine Moschee ist.

Es ist das Jahr 1431 n. Hidjra. An einem kalten Oktobermorgen steigt Houssein auf sein Fahrrad und fährt los. Greifswald ist ruhig und dunkel, keine Autos auf den Straßen – die Sonne wird erst in zwei Stunden aufgehen. Houssein fährt schneller, kommt an ausgeschalteten Ampeln vorbei. Hat sein Ziel fast erreicht. Zwischen den Wohnheimen kommt die orangefarbende „Kiste“ in Sicht. Er stellt sein Fahrrad davor ab und geht um das Gebäude herum. Er studiert Medizin im fünften Semester. Eine Vorlesung besucht er um diese Uhrzeit aber nicht. Seine Armbanduhr zeigt in digitalen Ziffern 5:42. Pünktlich betritt er die Greifswalder Moschee – er ist hier zum Fajr, dem Gebet vor dem Sonnenaufgang. Houssein ist Muslim – Muslim in der kleinen Hansestadt Greifswald.

Im täglichen Gebet findet Houssein immer wieder einen Zugang zu Allah. Das Salāt (Gebet) ist das tägliche Verbeugen Richtung Mekka. Fünf mal täglich soll ein Muslim das Gebet sprechen. Houssein kennt es nicht anders. Seine Heimat ist Syrien, seit fast drei Jahren ist er nun in Deutschland.

Wie er haben junge Männer und Frauen neben Hörsaal und Studentenclub ihre Nische in Greifswald gefunden. Die Räumlichkeiten sind klein, aber ausreichend. Der Gebetsraum mit weinrotem importiertem Teppich, die Gebetsnische Mihrab gen Mekka, Waschräume für rituelle Reinigungen und ein überschaulicher Seminarraum mit Bücherregalen an den Wänden und einem Fernseher. Die Moschee ist neben dem Gebet auch Gemeinschaftsort.

Die Räumlichkeiten liegen für viele Mitglieder zentral, da ein Großteil der muslimischen Studenten in den umliegenden Wohnheimen des Studentenwerks wohnt und die meisten ein Medizinstudium absolvieren. Das Gebäude wird so schon seit knapp zehn Jahren von der Universität bereitgestellt. Die Universitätsklinik und die Gebäude der Zahnmedizin sind mit dem Fahrrad nicht weit.

Die rund 400 Greifswalder Muslime werden nach Ansicht von Odai Al-Masalmeh auch in Zukunft hier noch ausreichend Platz finden. Er ist der stellvertretende Vorsitzende des Islamischen Kulturzentrums in Greifswald, des Vereins welcher die Moschee betreibt. Im Gespräch gibt der 25-jährige Syrer bereitwillig Auskunft über sich, die Moscheegänger und seinen Glauben.

Die Moschee ist der wichtigste Anlaufpunkt für alle Gläubigen vor Ort. Diese sind nicht nur Studenten, sondern auch Ärzte. Doktoranden, Universitätsmitarbeiter und wissenschaftliche Hilfskräfte sowie Asylanten und einige deutsche Muslime.

Der Verein reklamiert für sich auch Sprachrohr und Ansprechpartner für alle Greifswalder Muslime zu sein. Durch bewusste Öffentlichkeit will der Verein nun auch für sich werben und Vorurteile abbauen. So fand in Greifswald auch wieder der Tag der offenen Moschee statt, welcher bundesweit am 3. Oktober von über tausend Gebetshäusern durchgeführt wird. Es werden auch Moscheeführungen, Arabisch-Sprachkurse und die Bibliothek für Nicht-Muslime angeboten – alles ehrenamtlich. Die Freitagspredigt wird nicht nur in arabisch sondern auch in deutsch gehalten. Es gibt Kontakte und Treffen zu den christlichen Studentengemeinden und eine Zusammenarbeit mit der Stadt als gleichberechtigter Partner bei Migrationsfragen.

Auch unter der Studierendenschaft möchte Odai Vorurteile abbauen. So stellt er den Islam und den Greifswalder Verein in der Nacht der 24-Stunden-Vorlesung am 30. Oktober vor. Er spricht sicher und mit prägnanter Stimme über die Geschichte des Islam, Integration, der Gemeinde in Greifswald. Rezitiert, liest vor und spricht Probleme an, wie den mangelnden Kontakt zu deutschen Studierenden und Wohnungsprobleme (siehe S. 32). Im Hörsaal sitzen ihm junge Menschen gegenüber. Über 120 Zuhörer mit Bierflaschen, Laptops, vereinzelt Kopfhörern mit leiser Musik. Eine kurze Fragerunde schließt sich nach dem kontrastreichen Überblick an. Zuwenig Zeit für sein Plädoyer für den eigenen Glauben. „Missionieren wollen wir hier nicht, sonder Vorurteile abbauen und Antworten aus erster Hand geben.“ sagt er danach.

Bundespräsident Wulff meinte in seiner Festrede am 3. Oktober 2010, wir „sind weiter, als es die derzeitige Debatte vermuten lässt. Es ist längst Konsens, dass man Deutsch lernen muss, wenn man hier lebt. Es ist Konsens, dass in Deutschland deutsches Recht und Gesetz zu gelten hat.“

Das Islamische Kulturzentrum sieht auch hier ihre Aufgabe und bietet ihren Mitgliedern deutsche Sprachkurse an, da die wenigsten schon mit Sprachkenntnissen nach Greifswald kommen.

Aus über 20 verschiedenen Ländern, meist arabischen Staaten kommen die muslimischen Studenten und sind fast immer männlich. Auch ist der kulturelle Schock nicht zu unterschätzen. Hier versucht der Verein zu vermitteln, Ansprechpartner zu finden und zu helfen, sagt Odai.

Die Muslime in Greifswald sind aber auch nicht seit mehreren Generationen hier und die wenigsten Studenten wollen nach Odais Meinung in Deutschland bleiben. Ihr Studium erlaubt den jungen Männern in ihrer Heimat einen Status, den sie hier nicht erreichen können. So ist jedenfalls der Eindruck von vielen im Gesprächen. Odai will auch wieder zurück nach Syrien, wenn er sein Medizinstudium abgeschlossen hat. Sein Vater finanziert ihn – er möchte zurück zu seiner Familie und seinen Freunden. Zurück in eine vertraute Umgebung. Und sein Land dort, wie er sagt mit seiner hochwertigen Ausbildung weiter zu entwickeln. Ein Land in dem er voll akzeptiert wird.

„Es gibt Hunderttausende, die sich täglich für bessere Integration einsetzen. Viele – zum Beispiel als Integrationslotsen – freiwillig, uneigennützig und ehrenamtlich.“ stellte Wulff fest. In Greifswald hat diese Aufgabe neben dem Kulturzentrum unter anderen die Caritas Vorpommern übernommen. Durch Vernetzung zwischen Stadt, Vereinen und der muslimischen Gemeinde soll ein gemeinsames Zusammenleben gelingen.

Odai sieht da keine Probleme – als Muslim ist man den Gesetzen des Gastlandes verpflichtet, so steht es in der Sunna, also den Überlieferungen des Propheten. Sorge bereitet ihm eher die vereinzelten Fälle von Fremdenfeindlichkeit: Gesprühte Hakenkreuze und rassistische Parolen an den Wänden, provozierende Mohammed-Karikaturen und einmal sogar blutiges Schweinefleisch im Briefkasten. Beleidigende Unverständnis, die eine wirkliche Integration oder Akzeptanz auf muslimischer Seite verhindern wollen.

Auf die Frage ob man sich als Muslim in Deutschland integriert fühlt, antwortet er: „Wir leben und studieren hier, treffen uns mit anderen Studenten und wir sehen uns als Teil von Deutschland. Wir halten uns an das Grundgesetz, auch weil wir Deutschland für die Möglichkeiten danken. Aber Integration heißt nicht Assimilation und wir bleiben leider für viele immer Ausländer. Deshalb wollen leider viele wieder zurück.“

Bei alledem stellt sich die Frage, ob es hier Muslime gibt, welche gern hier bleiben möchten.„Ich würde gerne in Deutschland leben, wenn ich ein gutes Angebot bekomme. Ich finde es schön hier. Jeder hat seine Freiheit“, meint Saddam. Seinen richtigen Namen möchte er in so einer kleinen Stadt nicht gedruckt sehen. Sonst nutzt er aber die Freiheiten hier, die er in seiner Heimat Jordanien nicht hatte. „Ich bin Muslim, ich glaube an den Koran und den Propheten – aber selbst meine deutschen Kollegen sagen, ich bin kein Muslim“, sagt er. Weil er ab und zu ein Bier trinkt und nicht fünfmal am Tag betet. „Ich bin eine Ausnahme in Greifswald, das weiß ich. Ich gehe auch nicht in die Moschee, weil ich mit den Brüdern dort nicht diskutieren kann.“ Er kritisiert, das die meisten nicht ihr Handeln und die Auslegung des Korans hinterfragen: „Da verwechseln einige Tradition mit Religion.“

So sieht sich der Eine integriert, strebt einen langfristigen Aufenthalt aber gar nicht erst an. Der andere will einfach hier gut leben, arbeiten und frei leben – unabhängig von seinem Glauben und ist bereit sich anzupassen. Der Spagat zwischen unterschiedlichen Kulturen ist nicht leicht. Auch nicht im Jahr 2010.

“Wir kämpfen gegen die Isolation”

Odai Al-Masalmeh,25, Medizinstudent und stellv. Vorsitzender des Islamischen Kulturzentrums in Greifswald

Odai AlMasalmeh, 25 (Medizinstudent im sechsten Semester) ist stellvertrender Vereinsvorsitzender des Islamischen Kulturzentrums Greifswalds. Er sprach mit uns über die Muslimische Gemeinde in Greifswald.

moritz Odai, du hast gerade durch die Moschee geführt. Aber wer sind die Greifswalder Muslime?
Odai AlMasalmeh Die meisten von uns sind Studenten und Doktoranden. Auch Ärzte und medizinische Auszubildende, die sich spezialisieren. Auch Flüchtlinge und Asylanten leben hier, vor allem nach dem Irakkrieg.

moritz Kommen viele Greifswalder Muslime in die Moschee?
Odai Wir sind ungefähr 400 gläubige Muslime in Greifswald. Zum Freitagsgebet kommen über 100 Betende. Das wird voll (lacht).
Sonst sind es normalerweise um die 30 Personen, die anderen beten zuhause oder auf Arbeit.
Zum Fastenbrechen oder anderen wichtigen Terminen kommen auch einige aus der Umgebung, aus Anklam oder Neubrandenburg.

moritz Sind die Räume für euch nicht zu klein?
Odai Naja, sie sind klein, aber es geht. So lange wir für das Freitagsgebet noch Platz haben, ist alles in Ordnung. Wir danken auch der Uni für die Räume, die wir hier nutzen können.

moritz Sind eure Gebetsräume nach Geschlechtern unterteilt?
Odai Nein, hier in Greifswald haben wir nur einen Gebetsraum und in diesem Raum beten wir getrennt. Und da beten wir nach der islamischen Anordnung der Reihen.
moritz Gibt es viele Muslimas in Greifswald?
Odai Es sind nicht viele. Die meisten sind Ehefrauen der Glaubensbrüder und einzelne Studentinnen.

moritz Neben dem Gebet, was macht ihr im Islamische Kulturzentrum noch?
Odai Wir bieten auch Arabisch- und Deutschkurse und Nachhilfe an. Auch Orientierungshilfe – welche Ämternanmeldung, Versicherung und ähnliches. Das machen wir alles ehrenamtlich.

moritz Habt ihr Kontakt zur Stadt oder anderen Vereinen?
Odai Ja, wir übersetzen oft in den Krankenhäusern, bei den Ärzten, Ämtern und Kindergärten. Wir treffen uns mit den christlichen Studentengemeinden. Auch arbeiten wir mit der Caritas zusammen bei Migrationsfragen und helfen dem Akademischen Auslandsamt. Meistens sind es arabische Personen, welche Übersetzungshilfe brauchen, aber keine Muslime. Meist sind es Flüchtlinge aus dem Irak.

moritz Ihr wollt also gemeinsam integrieren?
Odai Ja, wir vertreten hier die Aussage, dass wir ein Teil Deutschlands sind. Also gemeinsam friedlich zusammenleben. Deswegen bieten wir Führungen an. Auch versuchen wir als Studenten gut an der Uni zu sein. Das Gegenteil von Integration ist Isolation und wir kämpfen gegen die Isolation.

moritz Seht ihr euch aber auch integriert?
Odai Ja. Ich rede von mir und den meisten Studenten: wir gehen in die Uni, wir reden mit unseren deutschen Kommilitonen, machen Lerngruppen, man trifft sich abends und geht auch aus. Als Studenten in Greifswald, haben wir keine Probleme mit Integration.
Integration heißt für mich jetzt aber nicht Assimilation. Also ich brauche jetzt nicht Alkohol zu trinken um mich zu integrieren. Aber ich komme klar mit den anderen und geben meinen gesellschaftlichen Beitrag durch Gespräche und friedliches Zusammenleben.

moritz Wollen viele in Deutschland bleiben?
Odai Nach meiner Erfahrung, werden die meisten wieder nach Hause zurückgehen. Dort sind sie angesehen und auch beruflich gefragt. Deutschland hat bei uns einen guten Ruf. Die medizinischen Fachrichtungen sind bei uns noch meist nicht so weit entwickelt, da wollen viele etwas verbessern. Wir fahren aber auch nach Hause, da es hier nicht unsere Heimat ist. Unsere Familien und Schulfreunde sind nicht hier und wir haben auch Heimweh. Wir bleiben hier immer Ausländer, unterschwellig wird uns das auch oft gezeigt.

moritz Was sind die häufig gewählten Studiengänge?
Odai Die meisten studieren Medizin oder Zahnmedizin, auch Pharmazie. Einige promovieren auch in andere Richtungen. Auch gibt es Doktoranden, die an der Klinik weitermachen.
Die meisten bekommen Geld durch ihren Vater oder Stipendien.

moritz Welche Herkunftsländer haben die meisten Muslime hier?
Odai Das sind über 20 verschiedene Länder: ich komme aus Syrien, sonst Libanon, Jordanien, Palästina, Ägypten, Algerien, Marokko und Jemen. Neben dem arabischen Raum noch Pakistan, Indonesien und Indien. Auch einige aus dem Kosovo und dem afrikanischen Raum: Benin und Togo. Und einige deutsche Muslime. Uns vereinigt der Glaube an Allah.

moritz Gibt es viele zum Islam konvertierte Deutsche hier in Greifswald?
Odai Ich habe fünf Konversionen erlebt. Vom jungen Mann bis zum Busfahrer und einer Jurastudentin ist alles dabei. Auch die verheirateten Frauen der Glaubensbrüder sind meist konvertiert.

moritz Was hälst du von einer Ausbildung von Imamen in Deutschland?
Odai Eigentlich ist es komisch, in Syrien würde niemand Pfarrer ausbilden. Die Muslime bekommen ihr Wissen durch die Imame, also brauchen wir gute Imame. Aber es ist schon wichtig um der Verbreitung von radikalen Gedanken oder Vorstellungen zu verhindern. Leider entsteht so aber auch in den Medien das Bild, dass fremde Imame nur Gewalt und Terrorismus lehren. Ich verstehe die Angst und bin für die Ausbildung, finde es aber komisch.

moritz Wie macht ihr das hier?
Odai Wir haben nicht genug Geld um einen eigenen Imam anzustellen, also wählen wir einen aus unserer Gruppe, den fähigsten mit den besten Korankenntnissen.

moritz In einem Wohnheim des Studentenwerks wurden jetzt die Toilletten umgebaut um “arabischen” Ansprüchen zu genügen. Hast du davon gehört?
Odai Ja, das finden wir nicht gut am Studentenwerk, so etwas zu machen. Das wird für die Studienkollegiaten gemacht. Das Studentenwerk ist wohl der Ansicht: die sind nur für kurze Zeit da, die sind nicht kultiviert oder haben keine Ahnung, wie man sich in einer fremden Umgebung verhält. So werden die zusammengebracht, da geht einiges auch kaputt und wenn die weg sind, reparieren wir das wieder.
Da haben die nun ernannten Flursprecher auch den Vorschlag gemacht, die Studienkollegiaten wieder auf die Etagen und andere Wohnheime zu verteilen, um die Situation zu verbessern. Auch muss öfter der Dialog gesucht werden. Sonst aber gibt sich das Studentenwerk immer Mühe, wenn wir auf sie zugehen.

moritz Odai, wir danken dir für das Gespräch.

Ein Bericht mit Interview von Daniel Focke mit Fotos von Roland Schmidt.