Eine Studie aus Nordrhein-Westfalen ermittelte Greifswald zur kreativsten Stadt in Mecklenburg-Vorpommern

Greifswald ist die kreativste Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Das zumindest behauptete die Greifswalder Ostsee-Zeitung Ende August auf ihrer Internetplattform sowie der NDR 1 in seinen Nachrichten. Sie stützen sich damit auf eine Studie der Beratungsfirma „agiplan“ (Nordrhein-Westfalen), die das kreative Potenzial von kreisfreien Städten in ganz Deutschland untersuchte. Gemessen wurde dieser Ideenreichtum anhand der Theorie der „Kreativen Klasse“ von Richard Florida (USA), bei der es sich um eine Wirtschaftstheorie handelt. Kreativität und Innovation werden hier als Standortsfaktor für Unternehmen und das ökonomische Wachstum einer Region festgelegt.

Florida versucht mit dieser Theorie die räumliche Entwicklung von Städten und Landkreisen zu erklären und behauptet, dass „jeder Mensch kreatives Potenzial“ besitzt und sich nur innerhalb eines Systems befinden muss, das Kreativität fördert. Ob ein Mensch kreativ ist oder nicht, wird danach entschieden durch welche Art und Weise der Arbeitende kreativ ist. Er kann aus allen Bereichen des Berufsfeldes stammen – Hauptsache er ist an einem „kreativen Prozess“ beteiligt.

Doch während der einfache Bürger Künstler, Maler und Musiker für kreativ hält, besteht der „Kreative Kern“ nach „agiplan“ aus Physikern, Ingenieuren und Chemikern, die wohl niemandem als erstes einfallen würden, um einen Menschen mit besonders viel Einfallsreichtum zu beschreiben. Gleichzeitig werden kleingewerbliche und freiberufliche Gründungen beim Talent-Index völlig außen vor gelassen und nicht in die Statistik aufgenommen, da diese schon im Bohemian-Index gezählt werden würden. Doch sind es nicht gerade diese Menschen, die durch ihre Ideen und Talente einer Stadt erst den gewissen Charme verleihen?

„agiplan“ will das kreative Potenzial mit Hilfe des TTT-Index von Florida errechnet haben. Dieser setzt sich aus den Indices Technologie, Toleranz und Talent zusammen: Der Technologie-Index misst sich an der bereits vorhandenen wissensintensiven Wirtschaft, der Talent-Index an der Anzahl der Angestellten in kreativen Berufen und der Toleranz-Index wird gemessen an der Offenheit der Gesellschaft. Kurz um: Die Region sollte weltoffen, bildungsstark und mit zukunftsträchtigen Wirtschaftsbranchen ausgestattet sein. Und hier wird es nun verzwickt: Wenn Regionen all diese Faktoren schon aufweisen, ziehen sie automatisch innovative Persönlichkeiten an.

Weshalb sollte also die Kreativität erst bewiesen werden? Dass Städte wie München, Berlin und Hamburg das Ranking anführen, ist nicht weiter verwunderlich. Doch wenn selbst eher kleinere Städte wie Jena, Trier oder Regensburg mit einem hohen Kreativitätsindex erstaunen können, stellt sich die Frage: Sind vielleicht wir Studenten die wahre „kreative Klasse“? Denn in jeder dieser Städte befindet sich eine Universität. Und Studenten haben eine hohe Anziehungskraft, was Kreative angeht, denn sie bedeuten auch immer eine neue Generation an Interessierten und Aktiven, ist auch Alexandra Landsberg der Meinung. Sie hat die Studie geleitet, die von keinem Wirtschaftsunternehmen oder anderen Firmen gesponsert worden sei. „Das ist eine Frage, mit der sich viele Städte im Moment beschäftigen. Und uns hat das einfach interessiert.“ Auch schneide Greifwald zwar im Toleranz-Index eher schlecht ab, aber immerhin noch besser als Schwerin. „Und auch für eines der Neuen Bundesländer hat Greifswald einen ziemlich guten Rang erhalten“, so Landsberg.

Gerade mit dem Talent- Index habe Greifswald sich einen guten Vorsprung vor Rostock verschaffen können. Doch trotzdem bekommt dieser Erfolg einen bitteren Beigeschmack, wenn man unter anderem ließt, dass gerade der Toleranz-Index an dem Wahlanteil rechter Parteien bei der Europawahl 2009 gemessen wurde. Und wer sich jetzt fragt, wann die denn eigentlich gewesen sein soll, hat genau das Problem erkannt: Die Europawahlen haben in ganz Europa keinen allzu hohen Stellenwert und gelten nicht als besonders wichtig. Und das spiegelt sich auch in der Wahlbeteiligung wieder. Mit 43,1 Prozent kann man nicht gerade von gelungener europäischer Integration sprechen und diese beschämenden Zahlen als Grundlage für eine Studie zu nutzen ist auch nicht die beste Idee um ihr ein wenig Seriosität zu verleihen.

Zusätzlich wird die Studie nach von dem Fakt belastet, dass der Gay-Index nicht an eingetragenen gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften gemessen wurden, sondern anhand von Userzahlen eines Internetportals für homosexuelle Männer. Nach eigenen Aussagen sind sie die größte solcher Plattformen mit 1,1 Millionen Mitgliedern. Aber wie ehrlich ist man im Internet und möchte nicht jede Firma, jedes Unternehmen, jede Internetseite die meisten Mitgliederahlen haben? Einen Gay-Index einzuführen ist an sich eine gute Sache, doch dann sollte man sich auch die Mühe machen und „echte“ statistische Zahlen finden, um die Toleranz in Städten und Gemeinden zu untersuchen. Doch was man eigentlich mit dieser Studie erreichen wollte, war kein Konkurrenzkampf unter den jeweiligen Städten, sondern dass wieder mehr daran gedacht wird, wie man „dieses kreative Potenzial nutzen und fördern kann“, sagt Alexandra Landsberg. Und nachdem viele nach dieser Sensationsmeldung wieder an den Fernsehbeitrag vom webMoritz über Homosexualität in Greifswald gedacht haben, ist es doch irgendwie schon eine Leistung, dass wir es überhaupt auf einen Platz geschafft haben – auch wenn es nur der 50ste ist.

Ein Berich von Luise Röpke