Vertreter aus der Greifswalder Studierendenschaft haben sich zusammengetan und ein Positionspapier zur Lehramtsausbildung in Greifswald verfesst.

Kein schöner Sommer: Über Schwerin ziehen dieser Tage dunkle Wolken auf. Und daran ist man im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur selbst schuld. Lange hat es gebraucht, bis konkrete Ergebnisse einer Studie zum Lehrerbedarf in Mecklenburg-Vorpommern (MV) präsentiert wurden. Nun hagelt es von allen Seiten Kritik.

Die Innenstadt wird mit Sprüchen und Plakaten dekoriert, mobilisieren lässt sich die Greifswalder Studierendenschaft aber nur in Grenzen

Auf 36 Seiten präsentieren Vertreter der Greifswalder Studierendenschaft, darunter AStA-Referenten sowie Mitglieder des Studierendenparlamentes (StuPa) und des Senats, zahlreiche Argumente, die für den Erhalt der Lehramtsausbildung in Greifswald sprechen und damit den bisherigen Eckwerten des Kultusministeriums widersprechen. Im Besonderen stellen sie der Studie des Kultus-Ministeriums die Klemm-Studie von der Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ gegenüber, welche ebenfalls Zahlen über die Entwicklung des Lehrerbedarfs in MV erhob. Das Positionspapier wurde am 16. Juni durch das StuPa verabschiedet.

Das Ministeriums hatte bisher folgenden Kernaussagen geliefert: Das Land bilde mehr Lehrende aus, als in den nächsten Jahren benötigt würden und könne keine zwei Standorte der Lehrerausbildung halten, Rostock biete die besseren Voraussetzungen. Vor allem im pädagogischen und didaktischen Bereich könne die Universität Greifswald den Anforderungen der Lehrerbedarfsplanung und den erwartbaren Maßstäben des künftigen Lehrerbildungsgesetzes nicht genügen. „Spielräume für eine Anhebung des Personalbestands sind nicht erkennbar“, so das Ministerium.

Ministerium lässt viele Faktoren unbeachtet

Die Klemm-Studie kann jedoch belegen, dass der Lehrerbedarf höher anzunehmen ist, als vom Ministerium behauptet. Zwar würden die Schülerzahlen bis 2015 abfallen, jedoch anschließend bis 2020 wieder steigen, wenn auch geringfügig. Der Einstellungsbedarf an Lehrern würde sich auf durchschnittlich 686 Lehrende pro Jahr belaufen. Das Kultusministerium spricht hingegen von bis zu 500 Lehrkräften pro Jahr und kalkuliert Vorhaben, wie etwa den Ausbau der Ganztagsschulen, die Verringerung der Unterrichtszeiten der Lehrer und die Verkleinerung der Klassenfrequenz, nicht mit ein. Dazu kommt die Annahme, dass 98 Prozent der Lehrer ihre Arbeit zu 100 Prozent wieder aufnehmen würden, wenn die Möglichkeit bestünde. „Dies ist angesichts eines überalterten Kollegiums, das zudem über einen längeren Zeitraum mit deutlich geringeren Arbeitszeiten tätig war, völlig utopisch“, so der Einwand der Studierenden.

Auch würde vom Kultusministerium unterschlagen werden, dass Greifswald in Bezug auf Regionale Schulen nur unwesentlich weniger Studierende ausbildet als die Universität Rostock. Dabei würde übersehen werden, dass die Universität Greifswald in diesem Jahr erstmals mehr Studierende im Bereich Haupt- und Realschule als im Bereich Gymnasium aufgenommen hat. „Somit wird ein verzerrtes Bild vom Ausbildungsvolumen der Universität gegeben“, heißt es im Positionspapier.

Stark machen für den Standort Greifswald

Besonders auffällig ist die Hervorhebung des Standortes Greifswald und scheinbar auch notwendig, da das Kultusministerium in seinen Eckwerten nur Gründe für eine Konzentration der Lehramtsausbildung in Rostock auflistet und den Standtort Greifswald in Frage stellt. So könnten in Rostock beispielsweise 21 Fächer miteinander kombiniert werden. „Diese unterscheiden sich in der Menge aber nur marginal von denen der Universität Greifswald.“ Gerade die Unikatfächer würden die Uni Greifswald bereichern. Diese sind zwar relativ gering nachgefragt, jedoch können sie durch die zunehmende Selbstständigkeit und Profilierung der Schulen an Bedeutung gewinnen.

Zwei der Autoren des Positionspapiers: Thomas Schattschneider (li.) und Franz Küntzel

Die Autoren gehen sogar noch weiter und werfen dem Kultusministerium vor, zu Unrecht die Universität Rostock positiv hervorzuheben und die Greifswalder schlechter darzustellen, als sie sei. Unterstützend ziehen sie das CHE-Hochschulranking von 2010 heran. In der Kategorie „Studiensituation und Betreuung“ für das Lehramt Deutsch und Geographie gehörte Greifswald beispielsweise zu der Spitzengruppe, Rostock hingegen nur zum Mittelfeld. Anzumerken sei hierbei aber, dass Rankings aktuell unter Kritik stehen, so auch das CHE-Ranking. Es veröffentliche weder den Datensatz selbst, noch eine detaillierte wissenschaftliche Beschreibung der Methodik. Somit sind die Zahlen nicht nachzuvollziehen und gelten daher als unwissenschaftlich. Die Autoren berücksichtigen diese Kritik jedoch nicht.

Handlungsempfehlungen werden konsequent mitgeliefert

Die Autoren zielen jedoch nicht darauf, der Universität Rostock die Lehramtsausbildung streitig zu machen. Vielmehr soll es Ziel sein, die Leitlinien der Universität Greifswald entsprechend umzugestalten. Das Positionspapier liefert dafür Vorschläge. Dazu gehören eine Schwerpunktverlagerung vom Lehramt Gymnasium zum Lehramt Regionalschule und eine Orientierung an den häufig gewählten Fachkombinationen. So würde Mathematik oft in Kombination mit Physik gewählt werden, Geschichte mit Kunst oder Deutsch. Auch sprechen sie sich für die Aufnahme des Faches Sozialkunde und die Wiederaufnahme der Fächer Informatik und Latein aus.

Lob von allen Seiten

Auf einer Pressekonferenz, auf der das Positionspapier der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, kam es zu viel Lob und Anerkennung. „Außerordentlich begeistert“, war Prof. Maria-Theresia Schafmeister, Vorsitzende des Senats. „Gut recherchiert und sehr gelungen“, urteilte sie. Schafmeister werde die erarbeiteten Ideen in den Senat tragen und viele Anregungen prüfen lassen. Studiendekan Prof. Dr. Stefan Beyerle rief darüber hinaus dazu auf, die erarbeiteten Forderungen nach außen in die Politik zu tragen. „Wenn diese Entwicklung weitergeht, schadet es der breiten Studierendenschaft und letzten Endes dem ganzen Land“, so Beyerle. Der ebenfalls anwesende Landtagsabgeordnete Egbert Liskow versprach, ein deutliches Signal nach Schwerin zu senden.

Nicht nur Studierende beziehen Stellung

Mit ihrer Kritik an den Planungen der Landesregierung stehen die studentischen Vertreter Greifswalds nicht allein da. In einem fünfseitigen Schreiben, bekunden Lehrende und Grundschulpädagogen des Institutes für Schulpädagogik der Universität Rostock ihren Unmut über das Vorhaben des Landes, künftig ausgebildete Gymnasiallehrer in Grundschulen unterrichten zu lassen. Sie wenden sich dabei unter anderem an den Bildungsausschuss des Landtages.

Wenn Studierende des Lehramts für Gymnasium nun zwei Abschlüsse mit einem Studium erlangen, wären sie berechtigt, sowohl an Grund- und Regionalschulen, als auch an Gymnasien als voll ausgebildete Lehrer zu unterrichten. „Das ist in Deutschland ein einzigartiger Vorgang bildungsbürokratischer Willkür und ein Rundumschlag nicht zu übertreffender Hilflosigkeit“, so die Rostocker Vertreter. Allein die juristischen Folgen seien bedenklich. Die angestrebte Doppelqualifikation würde bedeuten, dass ein Gymnasiallehrerstudent, der sein Referendariat in einer Grundschule absolviert, sowohl an einem Gymnasium als auch an einer Grundschule als Lehrer tätig sein könnte. Aber für beide Lehrämter existieren separate Studiengänge mit eigenen Prüfungs- und Studienordnungen. Als Gymnasiallehrer fehle dem Studierenden das Referendariat, als Grundschullehrer die universitäre Ausbildungsphase. So gesehen kann er weder am Gymnasium noch an einer Grundschule als voll ausgebildeter Lehrer unterrichten, was wiederum Konsequenzen für seine tarifliche Eingruppierung hätte.

Ministerium übersieht pädagogische Folgen

Besonders aber hätte ein solches Vorhaben pädagogische Folgen. Die beiden Ausbildungswege seien von Grund auf verschieden. Grundschullehrer müssten vor allem mit den Lernprozessen der Sechs- bis Zehnjährigen vertraut sein, soziales Lernen vermitteln und grundschulrelevante didaktische Prinzipien aus entwicklungs- und lerntheoretischer Perspektive ableiten können. „All das soll ein Gymnasiallehrer durch eine mentorenbegleitete praktische Tätigkeit an einer Grundschule erlangen und damit ein neunsemestriges Vollstudium ad absurdum führen?“, fragen die Rostocker Vertreter provokativ. „Können Studierende des Lehramts für die Grund- und Hauptschule ihr Referendariat an einem Gymnasium ablegen und dann als Gymnasiallehrer arbeiten? Vermutlich wird das Ministerium auf diese Frage mit einem heftigen Nein reagieren und als Begründung die fehlende bzw. unzureichende Qualifizierung im Fach anführen. Dem wäre auch zuzustimmen. Aber Gleiches sollte natürlich auch für die Ausbildung der Grundschullehrer gelten.“

Auch stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit. Schon heute gebe es an Grundschulen tätige Gymnasiallehrer, die aus unterschiedlichen Gründen vom Gymnasium an eine Grundschule gewechselt haben. Diese sind jedoch durch die Schulämter aufgefordert, an der Universität ein Aufbaustudium zu absolvieren, um die fehlende Grundschulqualifizierung nachzuholen und so ihren Arbeitsplatz an der Grundschule zu sichern.

„Reformbedarf wurde, wenn auch spät, erkannt.“

Die größte Kritik ist aber, dass sämtliche Vorhaben ohne Rück- und Absprache mit den in MV zuständigen Lehrbereichen und praktischen Experten ausgearbeitet wurden. „Andererseits kann man die Aktionen des Bildungsministeriums auch positiv werten“, so die Vertreter der Universität Rostock. „Ein Reformbedarf der Lehrerausbildung wurde, wenn auch spät, erkannt. Wir nehmen die Ministerinitiative zum Anlass, einen Alternativvorschlag zu unterbreiten.“ Ihre Idee: „Seit Jahren bemühen wir uns um die Anerkennung der Lehrbefähigung für Studenten des Lehramtes Sonderpädagogik, die das Fach Grundschulpädagogik als Pflichtfach studieren. Sie erwerben die didaktisch-methodischen Grundlagen genau wie die Studenten des Lehramtes für Grund- und Hauptschulen und legen die gleichen Examensprüfungen ab.“ Und so schlagen sie vor, allen Sonderpädagogikstudenten, die das Fach Grundschulpädagogik studieren und laut Prüfungsordnung abschließen, diesen Abschluss anzuerkennen.

Der nächste Schritt

Stellung zu beziehen ist jedoch nur der Anfang. Die Beschwerden sollten vom Ministerium genutzt werden, um in einen gemeinsamen Dialog zu treten. Dabei ist es natürlich von Vorteil, wenn Studierende, Lehrende, Universitätsleitungen sowie die gesamten Bürgerschaften sich geschlossen gegen die undurchdachten Pläne des Ministeriums stellen. Dann können sie die Stimmen nicht ignorant übergehen – ein lautes Gewitter kann man schließlich auch nicht einfach überhören.

Ein Bericht von Annegret Adam mit Fotos von Annegret Adam (Banner) und Carsten Schönebeck (Demo)