Umgeben von seinen immensen Bücherstapeln plaudert Frieder Dünkel (60), Lehrstuhlinhaber für Kriminologie, über die Faszination für sein Fach, seine „wilde Zeit“ und warum das Wort Mathematik bei ihm immer noch einen Schauer auslöst.

Prof. Dünkel-Maria-Strachemoritz Professor Dünkel, was ist für Sie denn das Faszinierende an der Kriminologie?
Frieder Dünkel Das ist eine längere Geschichte. Eigentlich hatte ich in meiner Jugend immer schon Interesse für interdisziplinäre Gebiete und hatte auch ursprünglich vor, Psychologie zu studieren. Ich habe praktisch beides gemacht. Ich habe Jura und Psychologie studiert, aber nur Jura mit dem Staatsexamen abgeschlossen. Und da lag es natürlich nahe, dass man solche Fächer, die ein bisschen übergreifend sind und über das rein juristische hinausgehen, zum Schwerpunkt zu machen. Ich habe dann allerdings einen persönlichen Bezug dazu bekommen, weil ich 1969 als Student mit Strafgefangenen gearbeitet habe. Das war damals die etwas wilde Zeit, wie Sie es sich vorstellen können. Wir haben Gesprächsgruppen mit Gefangenen organisiert und später auch eine Wohngemeinschaft mit Strafentlassenen gegründet. Wir lebten damals sowieso in einer Wohngemeinschaft mit sechs Studenten und haben daraus ein soziales Projekt gemacht. Mein erster Zugang war somit ein ganz praktischer, ein menschlicher Zugang. Dabei habe ich auch gelernt, dass Strafgefangene und -entlassene manchmal sehr viel interessantere Persönlichkeiten sind, als diejenigen, denen man sonst im juristischen Studium begegnet.

moritz Also haben Sie ihr Hobby zum Beruf gemacht?
Dünkel Genau, ich hatte die Chance, mein Hobby zum Beruf zu machen. Und noch einmal zur Faszination, es ist vom Wissenschaftlichen und Persönlichen her einfach wunderbar. Ich möchte die jungen Leute ermuntern, diesen Weg auch zu gehen oder ein Stück weit. Deswegen nennen manche unseren Lehrstuhl auch den „etwas anderen Lehrstuhl“. Bei uns herrscht ein persönlicher, guter Kontakt und wir haben zumeist eine ganze Anzahl junger engagierter Mitarbeiter beziehungsweise Doktoranden. Mich begeistert es, junge Menschen voranzubringen und zu sehen, wie sie sich entwickeln. Im Übrigen interessieren mich auch eher Menschen mit nicht „stromlinienförmigen“ Lebensläufen, mit Krisen und manchmal auch Fehlentwicklungen, das sind häufig Episoden im Leben, wie sie fast jedem passieren. Ich sehe es als meine Verantwortung als Hochschullehrer auf kritische Verläufe bei Studierenden zu achten, ebenso wie man im privaten Bereich achtsam gegenüber seinen Mitmenschen sein sollte. Meist findet man Auswege aus solchen Schieflagen oder kann dazu beitragen, dass Menschen sie finden. Und man erlebt dann erstaunliche Entwicklungen nicht nur bei Straftätern, sondern auch bei unseren Studenten. Wenn die Erstsemester kommen und man sie dann einige Jahre später mit enormen Persönlichkeitsentwicklungen sieht, das ist doch wunderbar. Deswegen schicke ich die jungen Leute auch gerne ins Ausland.

moritz Empfehlen Sie jedem Studenten ins Ausland zu gehen?
Dünkel Ja, na klar. Nach solchen Auslandsaufenthalten kommen die jungen Leute häufig als in ihrer Persönlichkeit und ihrem Selbstbewusstsein sehr viel weiter entwickelte Menschen zurück. Sie sind gereift, sehen Deutschland auch mal von außen und lernen unsere vergleichsweise kleinen Sorgen hierzulande zu relativieren (lacht). An unserer Fakultät haben wir ungefähr 40 Austauschverträge, von denen ich 35 abgeschlossen habe.

moritz Wie kommen denn diese ganzen Verträge zustande?
Dünkel Das sind alles meine alten Freunde. Also, nach meinem Referendariat in Freiburg bin ich dann dort am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht angekommen und habe da auch promoviert. Das hat deswegen eine große Bedeutung für mein Privatleben, weil ich in dieser Zeit als junger Doktorand mit sehr vielen Ausländern zusammen kam. Und wie das halt so ist unter jungen Leuten, man hat sich angefreundet. Und so sind viele meiner beruflichen Freundschaften und meines weltweiten Netzwerkes aus diesen Verbindungen entstanden. Und mit diesen Leuten arbeite ich zum Teil heute noch. Da hab ich dann gesagt, okay, schickst du mir deine Kontakte, ich schick dir meine. So geht das. Erasmus ist ja so simpel. Ich kann mit der ganzen Welt kommunizieren. Insofern sind Privates und Beruf nicht zu trennen. Manchmal erinnern internationale Tagungen, zu denen ich fahre, an Familientreffen.

moritz Sie haben vorhin schon die „wilde Zeit“ erwähnt. Haben Sie ihr Studentenleben genossen?
Dünkel Ja, ich habe es in einer Art und Weise genossen, wie man es heute eigentlich nicht mehr kann. Ich habe eigentlich erstmal – hm, naja – gar nicht richtig studiert. Ich bin relativ unregelmäßig in Vorlesungen gegangen, aber ich habe viele Vorlesungen anderer Fächer besucht und dann hat mich, wie gesagt, Psychologie in Heidelberg besonders interessiert. Nach vier Semestern bin ich dann nach Freiburg gewechselt, wo ich auch weitere zwei Semester Psychologie mit belegt habe – nebenbei – und naja, irgendwie hat man auch seine Jura-Scheine gemacht. Aber ich war nicht der, kann man so sagen, überragende Student damals. Im siebten bis neunten Semester habe ich mich dann aber voll auf Jura konzentriert und das Ergebnis war ein gutes Examen. Da war viel Glück dabei. Meines Erachtens ist es wichtig, zur richtigen Zeit zu merken, wenn es darauf ankommt, und dann muss man wirklich Tag und Nacht auch mal ran und auf das Andere, auf die Vergnügungen weitgehend verzichten. Man konnte damals noch freier studieren.

moritz Wie sahen Ihre ersten Erfahrungen als junger Professor aus?
Dünkel 1990/1991 hatte ich die Lehrstuhlvertretung in Münster. Das war natürlich eine tolle Erfahrung als junger Spund da in den Vorlesungen. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal in den Hörsaal rein kam und dachte, ich sehe nicht recht, der Hörsaal endet ja gar nicht, da waren 800 Leute drin. Ich hatte zwar schon ein bisschen Erfahrung, aber wenn die Leute sogar noch um das Pult rum saßen, das war schon eine Konfrontation. Man sah gar nichts vom Hörsaal außer Leute, Leute, Leute. Da habe ich aber gemerkt, dass das einem schon einen Kick gibt, der auch wahnsinnig Spaß macht. Dann ist das eher eine „One-man-show“ und heutzutage ist man ja auch immer in Konkurrenz zum Beispiel mit dem Abendprogramm von Harald Schmidt. Man muss Entertainer sein (lacht).

moritz Können Sie Greifswald in einem Satz beschreiben?
Dünkel Greifswald ist eine sympathische, weltoffene, teilweise ein bisschen verschlafene, aber doch sehr aktive und attraktive Stadt. Umgeben von einer wunderschönen Natur. Und was ich an Greifswald unter anderem schätze, ist, dass es ein gutes kulturelles Leben gibt. Ich bin ein großer Fan unseres Theaters. Ich gehe in alle Schauspiele und das Ballett ist wahrscheinlich eines der besten in Deutschland. Die Schauspieler liegen mir auch persönlich am Herzen. Denn zum Teil kenne ich sie persönlich und gehe gern zu den Premieren, wo man auch noch ein Glas trinken kann. Ich verehre unsere Schauspieler, die sind echt klasse.

moritz Mögen Sie den Winter?
Dünkel Ja, denn dieses Jahr habe ich erstmals meine Langlaufski rausgeholt. Ich mache jeden Tag Langlauf, soweit es das Tageslicht noch zulässt. Und das ist grandios. Ich habe mir vor drei Jahren neue gekauft und diesen Winter habe ich jetzt endlich das Preisschild abmachen können. Das war vorher nicht möglich. Vor 13 Jahren hatten wir auch so einen harten Winter, da bin ich dann sogar mit Skiern zur Uni gekommen.

moritz Man konnte nachweisen, wer in der Schule gut in Mathe und Chemie war, der taugt auch zum Jurastudium. Ist das bei Ihnen so?
Dünkel Nee, überhaupt nicht. In Chemie bin ich froh, dass ich mal eine zwei ganz zufällig ergattert habe. Letztlich habe ich es aber ganz schnell abgewählt, wie Physik auch. Und Mathematik war auch nicht meine Stärke, wobei ich aber glaube, ein besserer Lehrer wäre nicht schlecht gewesen. Aber so richtig Spaß gemacht, hat mir das in der Schule nicht. Ich bin da eher der geisteswissenschaftliche Typ. Aber wir hatten damals Lehrer, das können sie sich gar nicht mehr vorstellen, so was Autoritäres und Furchtbares, Schrecken verbreitendes, also, ich hatte jahrelang noch immer wieder mal Alpträume über Mathematik. Das war so furchtbar. Wenn wir in der Oberstufe Mathe hinter uns hatten, sind wir erstmal in die Kneipe und haben ein Bier getrunken.

moritz Haben Sie einen Appell an die Studenten?
Dünkel Ja, mehr Menschlichkeit und nicht nur die eigene Karriere sehen. Sie sollen sich nicht die Augen aushacken, sondern miteinander solidarisch umgehen. Und wenn es manchmal auch nur ist, dass man die Leute darauf bringt, was sie eigentlich wirklich wollen.

moritz Was wünschen Sie sich denn für die Zukunft?
Dünkel Hm… gesund und aktiv zu bleiben, das ist wichtig. Dass man Etliches noch anrühren kann, Projekte macht und das gleichzeitig verbindet mit Reisen und privaten Freundschaften und Erlebnissen.

moritz Wurden Sie schon einmal als Dünkelhaft bezeichnet?
Dünkel (lacht) Nein, eigentlich nicht. Aber ich tröste mich damit, dass ich weiß, dass mein Name von Dinkel kommt, der Getreidesorte.

moritz Herr Professor Dünkel, wir danken Ihnen vielmals für das Gespräch.

Das Gespräch führte Maria Strache