moritz-print-mm79-41-interview-ulrich-matthes-annegretadamEine angekündigte Lesung im Rahmen der Koeppentage lockte an einem Juniabend eine Schar Greifswalder ins Koeppenhaus. Für Einige hieß es bangen, überhaupt hineinzukommen, denn die Lesung war restlos ausverkauft. Dann die Erleichterung: Die Veranstalter konnten noch einige Plätze provisorisch errichten. Noch schnell ein Gläschen Wein, Wasser oder ein kühles Bier organisiert, dann dimmte sich das Licht – alles wurde still. Es folgten ein paar begrüßende Worte durch die Gastgeberin Anett Hauswald. Anschließend richteten sich alle Augen zur Eingangstür, durch die der Mann des Abends schritt. Ulrich Matthes nahm auf der kleinen Bühne Platz und sprach mit kräftiger Stimme, dass es einem Gänsehaut bereitete: „Meine Mutter fürchtete die Schlangen“.

An jenem Abend las Matthes ungefähr neunzig Minuten aus Wolfgang Koeppens Werk „Jugend“. Gebannt konnte man der Geschichte eines jungen Mannes folgen, der in einer Zeit des Umbruchs aufwuchs: angefangen vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Ersten Weltkrieg.

Ulrich Matthes gilt als einer der großen deutschen Charakterdarsteller und spielte unter anderem den Joseph Goebbels in „Der Untergang“. Zuletzt war der gebürtige Berliner als Autor Robert von der Mühlen in „Novemberkind“ zu sehen. Dort spielte er an der Seite von Anna Maria Mühe. Er ist aber auch auf der Bühne zu Hause und seit 2005 festes Ensemblemitglied des Deutschen Theaters in Berlin. moritz durfte Matthes im Anschluss der Lesung für ein kurzes Interview treffen. Mit uns sprach er über Jugend, Studium und Bühnenwünsche.

moritz Herr Matthes, Sie haben gerade Koeppens „Jugend“ gelesen – wie war denn Ihre Jugend? Erinnern Sie sich gern zurück?
Ulrich Matthes Eine ganz intime Frage, aber ich versuche sie, nicht ganz so intim zu beantworten. Zunächst einmal habe ich das Privileg, in der Demokratie aufgewachsen zu sein, das ist ja schon einmal die halbe Miete. Und dann hatte ich auch noch das Privileg, in einem sehr liberalen, offenem und, mit Einschränkungen, prima Elternhaus aufzuwachsen. Also mit den kleinen Einschränkungen, die man immer mit seinen Eltern hat – an seinen Eltern hat man immer rumzumäkeln. Aber insgesamt war es ein prima Elternhaus. Insofern hatte ich diese ganzen Repressionen nicht. Man kann ja eine Jugend zu Kaisers Zeiten, zu undemokratischen Zeiten, und dann beginnendem Hitlerregime, mit einer modernen Jugend nicht vergleichen. Daher wäre ein Vergleich ein bisschen hergeholt. Gesellschaftlich hatte ich nichts, woran ich mich abarbeiten musste: Die Studentenproteste der sechziger Jahren waren schon vorbei – dazu bin ich zu jung. Mitglied der RAF war ich auch nicht. Ich bin eher ein Kind, das mit Willy Brandt groß geworden ist. Das kann man nicht mit Koeppens Jugend vergleichen.

moritz Gab es damals ein Ereignis, das Sie nachhaltig in Erinnerung haben, Sie vielleicht sogar geprägt hat?
Matthes Ich würde sagen zwei Dinge, die mit Willy Brandt zu tun haben, haben mich extrem politisiert. Zum einen war dies das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt, und dann der Kniefall in Warschau – als er die Polen und vor allem die Juden, oder überhaupt wen auch immer, um Vergebung und Verzeihung gebeten hat, im Namen Deutschlands. Das fand ich eine enorme Geste. Willy Brandt hat mich sehr für Politik entflammt.

moritz Sie wollten ursprünglich Lehrer werden. Haben dann aber – mitten im Studium – die Schauspielerei für sich entdeckt. Wie kam es dazu?
Matthes Ich hatte als Kind schon ein bisschen am Theater gespielt, und auch im Fernsehen. Mich hatte dies so gereizt: Ich wollte Schauspieler werden. Zwischendurch dachte ich mir dann: Nee, das Lehrerdasein ist dann doch sozialer und ein nicht so wahnsinnig egozentrischer Beruf, wie es der des Schauspielers sein kann. Und dann hat sich doch die Liebe zum Theater durchgesetzt. Ich kann dies auch gar nicht richtig begründen. Es war letztendlich ein ganz irrationaler Entschluss, das Studium hinzuschmeißen und Schauspieler zu werden.

moritz Was meinen Sie – wenn die Schauspielerei Sie nicht gewonnen hätte – was für ein Lehrer wären Sie dann heute?
Matthes Ich glaube, ich wäre gerne Lehrer. Streng aber gerecht (lacht). Ich unterrichte jetzt auch, ab und zu, in Berlin an der Ernst-Busch-Schule. Dieser pädagogische Kram macht mir irgendwie Spaß. Ich arbeite gern mit jungen Leuten.

moritz Sie haben schon die verschiedensten – vor allem markanten Rollen gespielt. Welche Rolle wäre für Sie noch einmal eine richtige Herausforderung? Und gibt es vielleicht zukünftig ein derartiges Projekt?
Matthes Schauspieler sagen immer diese abgenudelte Antwort, aber sie ist doch wahr: Die nächste Rolle ist doch immer auch wahnsinnig schwer. Natürlich will ich bestimmte Rollen noch unbedingt spielen: Ich möchte noch die großen Rollen spielen, zum Beispiel Shakespears König Lear, aber dazu bin ich noch zu jung. Dann möchte ich unbedingt noch bestimmte Schiller-Rollen spielen. Faust würde ich vielleicht auch gern noch spielen. Und das wird vielleicht auch noch kommen. Das Nächste ist jedoch erst einmal ein Film, der im Herbst gedreht wird. Ich sag aber noch nicht was, denn ich habe den Vertrag noch nicht unterschrieben, und da bin ich abergläubisch.

Das Interview führte Annegret Adam.