Greifswald: Hansestadt und Leuchtturm im Nordosten. Nicht zu vergessen die große Bedeutung als Universitätsstadt. Auf die interessante Historie zurückgeschaut: In hunderten von Jahren änderte sich das Stadtbild umfassend, entweder durch die zeitliche Entwicklung, friedliche Bebauung oder durch Kriegsfolgen. Der stetige Wandel kann im gesamten Stadtgebiet fast schon chronologisch verfolgt werden. Vom historischen Stadtkern über die ehemaligen Vorstadtsiedlungen bis zu den noch relativ jungen Neubauvierteln – die geschichtliche Entwicklung zeigt sich schnell bei einer Fahrradtour vom Dom über den Markt in Richtung Max-Planck-Institut.

Die typischen Plattenbauten aus der DDR-Zeit nehmen hierbei einen Großteil an Raum ein. Die geförderten Wohneinheiten waren damals attraktiv und wurden unter anderem auch wegen der späteren Belegschaft des Kernkraftwerks in Lubmin benötigt. Zeitgleich mit der Errichtung dieser Wohngebiete ab dem Ende der 60er Jahre verschärfte sich aber somit ein anderes Problem. Das staatliche Wohnungsbauprogramm von 1972 mit seinen kastenförmigen Betonbauten, verhinderte eine gleichwertige Förderung von älteren Gebäuden, also auch den historischen Altbauten.

Die für Sanierung benötigten Finanzmittel, konnten auch nicht durch die festgeschriebenen niedrigen Mieten erwirtschaftet werden und fehlten somit für den weiteren Erhalt. Teils konnte der Verfall nicht aufgehalten werden und so zieht sich die Kehrseite der damaligen Modernisierung auch heute noch durch Greifswald.

Mit geförderter Sanierung historischer Bauten, dem Umbau und auch dem Abriss, arbeitet die Stadt seit über 17 Jahren an ihrer Aufwertung. Mit den aktuell 107 Bebauungsplänen der Hansestadt, welche schon rechtskräftig sind oder sich noch im Prüfungsverfahren befinden, wird sich das Stadtbild kontinuierlich wandeln.

Über die Richtung und den Umfang dieser Entwicklung gibt es immer wieder kritische und gegenteilige Meinungen, was in der Größenordnung der Sache liegt und nicht weiter verwundern sollte. Einen interessanten Fall bildet hierbei die Diskussion um den Bebauungsplanentwurf 105, welcher eine komplette Erschließung und den Umbau des Gebietes östlich der Stralsunder Straße vorsieht. Dieser Teil der Steinbeckervorstadt weist zur Straße hin mehrere unbebaute Grundstücke und unsanierte Gebäude auf. Das kleine Vorstadtgebiet war schon seit 1992 in mehreren Planungen und städtebaulichen Konzepten zur umfangreichen Neugestaltung des Hafens und der umliegenden Viertel eingebunden. Das Ziel des Bebauungsplans ist hauptsächlich eine Aufwertung des attraktiven Gebiets nahe der Altstadt. Als Initialprojekt zur so genannten „Revitalisierung“ wird die Sanierung des ehemaligen Gesellschaftshauses in der Stralsunder Straße Nummer 10/11 dargestellt. Das große auf- und baufällige Gebäude sorgte seit dem vergangenen Jahr mehrere Male für Aufmerksamkeit.

Arg mitgenommen, mit Graffiti überzogen, abblätternder Putz und vernagelte Fenster – wenig einladend verleidet es den Blick des unkundigen Betrachters und gibt, direkt am Ortseingang, einen sehr tristen Eindruck. Leider verhindert der oberflächliche Blick damit einem der wichtigsten kulturgeschichtlichen und auch letzten Baudenkmäler der Region sein gerechtes Urteil.
Der 1847 fertig gestellte Bau fungierte als Gasthaus und Hotel. Später ermöglichte der große Saal, welcher 1000 Besuchern Platz bot, im hinteren Teil die Nutzung für Theater- und Kulturveranstaltungen sowie Großversammlungen, was es zu einem sozialen Zentrum der Stadt machte. Mit dem Bau von Stadt- und Theaterhallen kam es zu einem Bedeutungsverlust, welcher durch Konzerte oder durch ein breites Feld an Veranstaltungen verschiedener Vereine ausgeglichen wurde. Anfang der 20er Jahre wurde das Grundstück durch die Universität erworben, welche im Haus bis 1939 die Mensa betrieb. 1952 übernahm das Institut für Sportwissenschaften die Räumlichkeiten und gab damit die Nutzung als Sporthalle für die nächsten 40 Jahre vor. Später wurden Wohnungen eingerichtet und auch einige Institute (Historisches, Caspar-David-Friedich-Institut) kamen im Gebäude unter. Durch studentische Wohngemeinschaften wurde es bewohnbar und nutzbar gehalten und in den Jahren 1990-2007 wurden die Räume auch von vielen kulturellen Vereinen verwendet. Ehemalige Mieter waren neben dem Greifswald-International-Students-Festival-Verein (GrIStuF), radio 98eins und dem Studententheater auch die moritz-Medien und diverse Umweltschutzgruppen.

Der Saal wurde ein Theater- und Konzertraum, behielt aber bis zur Schließung auch die Möglichkeit der sportlichen Nutzung. Eine umfassende Restaurierung und Sanierung fand jedoch nicht statt. Die Universität kündigte 1999 frühzeitig allen Mietern zum März 2007, wobei auch der nachträgliche studentische Versuch einer Nutzung des Gebäudes als Medien- und Kulturhaus vom Rektor und Senat abgelehnt wurde.

Seitdem steht das Gebäude leer, verfällt weiter und wird Opfer von Vandalismus und Diebstahl. Der neue Eigentümer ist die in Berlin ansässige katholische Immobiliengesellschaft Petruswerk, welche das Grundstück im Januar 2008 von der Universität für 179.000 Euro erstand. Erst sollten durch Sanierung mehrere Wohnungen entstehen – was kurz darauf nach Verlautbarungen des Geschäftsführers Douglas Fernando nur noch durch Abriss und Neubau möglich sei. Das Petruswerk, als einer der größten Bauherren in Berlin, gehört zur Avila-Unternehmensgruppe, welche in Greifswald noch weitere Grundstücke gekauft hat, die unter anderem auch den Mira-Club betreffen.

Um öffentlichkeitswirksam einem Abriss des Denkmals entgegenzuwirken und auf ein eigenes Baukonzept aufmerksam zu machen, gründeten sich zwei Bürgerinitiativen als Vereine. Diese möchten traditionell wieder ein soziokulturelles Zentrum etablieren. Die Verhandlungen zwischen der großen Immobiliengruppe und dem Verein Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V um Wiederverkauf oder Teilvermietung scheiterten schließlich an unterschiedlichen Preis- und Nutzungsvorstellungen. Höhepunkt der sich ständig widersprechenden Abrissmeldungen oder Verkaufszusagen war der Bürgerschaftsbeschluss im Sommer 2008 zum Erhalt des Gebäudes. Nachdem im Juli 2009 ein Nebengebäude auf dem Gelände entfernt wurde, entstanden neue Gerüchte um einen Abriss. Diese wurden jedoch von Frau Schamberg, Projektverantwortliche vom Petruswerk, gegenüber dem moritz verneint. Auch ist kein Verkauf mehr an die Initiative geplant, um sich die Option einer Selbstverwaltung geplanter Wohneinheiten zu erhalten. Ein neues Sanierungskonzept gibt es aber noch nicht. Sie lobt die konstruktiven Gespräche mit der Stadt, gibt aber an, dass momentan kein Interesse an weiteren „schwierigen“ Grundstücken bestehe, welche im B-Plan 105 vorgesehen waren. Die ehemals angekündigten Wohneinheiten für Studenten sind aber ihrer Ansicht nach von Prognosen abhängig und können somit heute nicht mehr zugesagt werden.

Die geplante Umwandlung der Steinbeckervorstadt wird erstmal nicht umgesetzt, was für die kritische Bürgerinitiative sicherlich ein Erfolg ist. Die Frage nach dem Erhalt des Greifswalder Kulturguts ist damit noch nicht abschließend geklärt. Der Wandel schreitet voran, langsam aber stetig.

Im Bebauungsplan 105 wurde die „Entwicklung eines vielfältigen und belebten Stadtquartiers mit sozialer und kultureller Durchmischung“ als weitere Zielsetzung definiert. Bei der Betrachtung der ehemaligen Nutzer des alten Gesellschaftshauses schien dieses Ziel schon mal erreicht worden. Daran könnten sich die um Image bemühte Stadt und das sozial-christliche Petruswerk gern wieder ein Beispiel nehmen. Die Initiative würde sicher gern helfen.

Ein Artikel von Daniel Focke