Bei einer Parteiveranstaltung in Stralsund hat Vize-Kanzler, Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier die Ablehnung von Studiengebühren bekräftigt.

Für den webMoritz waren in Stralsund: Christine Fratzke und Gabriel Kords

steinmeier-250

moritz-Redakteurin Christine Fratzke im Gespräch mit Steinmeier

Im Anschluss an seine Rede, bei der er sich bereits gegen Studiengebühren ausgesprochen hatte, konkretisierte er auf Nachfrage des webMoritz, dass er glaube, die Studiengebühren, die in den meisten CDU-regierten Ländern eingeführt wurden, ließen sich auch zügig wieder abschaffen, wenn die SPD dort an die Regierung komme: „Bei allen unrühmlichen Eskapaden, die die Hessen-SPD letztes Jahr hingelegt hat – die Studiengebühren haben sie da ja wieder abgeschafft.“

Dass er als Bundespolitiker direkt keinen Einfluss auf die Gebühren habe, weil Bildungspolitik Landessache ist, war ihm aber natürlich auch klar.

Sellering: Keine Studiengebühren geplant

sellering-250

Erwin Sellering mit den Greifswalder Jusos Silvia Klages (2.v.r.) und Stephan Schumann (links)

Das ist bei Erwin Sellering etwas anders. Den Ministerpräsidenten, der sich im Anschluss an die Veranstaltung ebenfalls mit den Gästen unterhielt, fragten wir in Anknüpfung an Steinmeier nach seiner Haltung zu Studiengebühren. Er hatte in Steinmeiers Rede eifrig mitgeklatscht, als dieser Studiengebühren ablehnte. Interessenvertreter der Studierendenschaft und auch die Greifswalder Jusos hatten seiner Regierung jüngst vorgeworfen, der geplante Verwaltungskostenbeitrag sei eine versteckte Studiengebühr. Das sieht Sellering naturgemäß nicht so. Für ihn ist die Lösung keine Studiengebühr. Sie räume hingegen bei den Verwaltungsgebühren auf, wo bisher „einiges Durcheiander“ herrsche.

Studiengebühren lehnte der Ministerpräsident indes im Einklang mit seiner Partei ausdrücklich ab. Er befürwortet den freien Zugang zur Ausbildung. Skeptiker könnten allerdings aus seinen weiteren Ausführungen zu diesem Thema auch andere Nuancen entdecken: Der Ministerpäsdient hob hervor, wie die Landesregierung derzeit die finanziellen Barrieren für Kinderbetreuung und -ausbildung abbaut. Für ihn sei der freie Zugang zur Bildung „in diesem Alter noch wichtiger.“ Er fügt hinzu: „Wenn man mich festnageln würde, welches von beiden wichtiger ist, würde ich wahrscheinlich die Kinderbetreuung nennen.“

Thema: SPD-Politik in der Zukunft

Steinmeiers Aufrtritt in Stralsund war Teil der SPD-Veranstaltungsreihe „Das neue Jahrzehnt“. Mit Reden über dieses Thema touren derzeit Spitzenpolitiker der Partei durch Deutschland, um mit ihren Zuhörern über die „sozialdemokratischen Vorschläge und Ideen für die kommenden Jahre zu diskutieren“, wie es auf der Website heißt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe kam Frank-Walter Steinmeier am Freitag in die Alte Brauerei in Stralsund. Möglich, dass sich der Vize-Kanzler, Außenminister und Kanzlerkandidat der SPD nicht zufällig den Bundestagswahlkreis seiner Konkurrentin Angela Merkel ausgesucht hatte. Die Junge Union nahm das ganze offenbar als Provokation wahr und hatte sich mit Transparenten am Straßenrand gegenüber der Brauerei aufgestellt. Auf den Bannern war unter anderem der adaptierte Adenauer-Wahlspruch zu lesen: „Keine Experimente – Angela Merkel“

rede-250

Steinmeier im Stralsund (Klicken zum Vergrößern)

Zu der etwa anderthalbstündigen Veranstaltung kamen über 100 Teilnehmer, von denen die meisten SPD-Mitglieder waren. Aus Greifswald kamen nur wenige Mitglieder, die Jusos waren allerdings mit einer kleinen Delegation vertreten. Auch Ministerpräsident und Parteigenosse Erwin-Sellering sowie Landesbischof Hans-Jürgen Abromeit waren unter den Zuhörern.

Den größten Teil der programmatischen Rede nahm die Weltwirtschaftskrise und ihre Bewältigung ein. Steinmeier hält den Neoliberalismus für gescheitert und fasst die Krise zusammen: „Was hier bankrott macht, ist eine Weltanschauung, die nicht trägt.“ Unter den weiteren Ausführungen waren der ein oder andere markige Spruch und ansonsten zahlreiche Verweise auf die Tatsache, dass die zur Bewältigung notwenidgen Schritte auch schon vor der Krise Ziel der SPD-Politik gewesen seien. Vermutlich in Abgrenzung zur Union korrigierte sich Steinmeier mehrfach selbst, wenn er mehr „soziale Marktwirtschaft“ forderte. Der SPD-Terminus dafür heißt offensichtlich korrekt „das Soziale in der Marktwirtschaft“.

Noch zu früh für Wahlkampf

Steinmeier versuchte intensiv, eine Verbindung zu Mecklenburg-Vorpommern herzustellen: „Sie unterschätzen, wie sehr ich dieses Land kenne.“ Mehr als einige Anspielungen auf den Stahlbau in den Werften und eine Urlaubserinnerung war davon in seiner Rede allerdings nicht zu bemerken. Steinmeier forderte die Koalition auf, nicht zu früh in den Wahlkampf einzusteigen. Trotzdem war in der Rede mitunter zu merken, dass es auf die Wahlen zugeht. Die erste Bewältigung der Wirtschaftskrise sei „ganz ordentlich gelaufen“, sagte der Kanzlerkandidat. Für einen Koalitionär könnte man sich auch innigeres Lob für die eigene Arbeit vorstellen.

may-175

Michaela May stellte Fragen zum Privatleben

Weitere Forderungen aus Steinmeiers Rede waren die nach besserer Bildungspolitik (Schulabschluss für alle) und Engagement, das Steinmeier vor allem von den Genossen einforderte (SPD-Terminus: „Anpacken“).

Nach der Rede folgte zunächst ein Small-Talk mit der Fernsehjournalistin Michaela May, die Steinmeier zu so gewichtigen Themen wie dem 100-jährigen Jubiläum seines Dorffußballvereins befragte. Diese Einlage sollte den Genossen wohl dazu dienen, ihren Kanzlerkandidaten besser kennen zu leren. Daher wurden sie unter anderem über Steinmeiers Elternhaus und seinen Einstieg in die Politik aufgeklärt. Außerdem erfuhren sie, wie Steinmeier den 11. September erlebt hatte. Interviewerin Michaela May schien die Veranstaltung in erster Linie zu nutzen, um öfters mehr oder weniger dezent den Namen ihres Arbeitgebers N24 fallen zu lassen.

Steinmeier will neue Medien nutzen

Mit Frank-Walter Steinmeier sprachen wir außerdem über die Rolle der neuen Medien in seinem Wahlkampf. Zuletzt hatte Thorsten Schäfer-Gümbel im Hessen-Wahlkampf intensiv auf Internetseiten wie Facebook, StudiVZ und Kurzvideos gesetzt und damit erfolgreich bei der jungen Generation gepunktet. Steinmeier sagte, dass auch er in der nächsten Zeit einen Facebook-Account erhalten werde: „Wir arbeiten da mit einer jungen, frischen Agentur zusammen, die das bereits vorbereitet“. Auf jeden Fall wolle er das Internet intensiv in den Wahlkampf einbinden. Parallelen zum Obama-Wahlkampf schienen ihm hingegen nicht so recht zu passen.

Auf eine Zigarette mit Frank-Walter Steinmeier

Unmittelbar vor Steinmeiers Abreise nahm sich dieser noch Zeit für eine Abschieds-Zigarette mit den Greifswalder Jusos Silvia Klages und Stephan Schumann. Der Außenminister spendierte dabei offensichtlich aus dem arabischsprachigen Raum eingeführte Glimmstengel. Dabei fotografieren lassen wollte er sich von uns zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr.

Fotos: Christine Fratzke (Ausnahme: erstes Foto, dort Autor unbekannt)