Über eisigen Regen, wenig Schnee und hanseatische Kälte

Ulrike Bengelsdorff zieht ihre Mütze tief ins Gesicht. Es ist acht Uhr morgens. Sie schwingt sich auf ihr Fahrrad und tritt in die Pedale. Kalter Wind pfeift um die Ecken. Aus grauen Wolken fällt leichter Nieselregen. Die Magisterstudentin friert. „Das sind immer solche Momente, die man verflucht“, erzählt sie. „Der Winter in Greifswald ist ungemütlich, trist und nass.“ Die 25-Jährige ist nicht die Einzige, der die kalte Jahreszeit zu schaffen macht. „Hoffentlich ist bald wieder Sommer“, sagen viele Kälte-Geplagte mit Blick auf zugeschneite Straßen, Matsch und Regen.

Winterdepressionen?

Professor Manfred Bornewasser kann den Unmut nachvollziehen. „Es gibt viele Momente, in denen ich den Greifswalder Winter auch nicht mag.“ Doch der Lehrstuhlinhaber für Sozial-, Arbeits- und Organisationspsychologie kann dem winterlichen Treiben auch etwas Positives abgewinnen. „Das Licht hier oben ist toll. Auch die Farben des Winters und die Jungfräulichkeit frisch gefallenen Schnees begeistern mich immer wieder.“ Studenten, die unter den winterlichen Temperaturen leiden, rät der Psychologie-Professor sich immer auf das Positive zu konzentrieren. „Man darf sich nicht von den negativen Aspekten fesseln lassen. Im Winter gibt es so viel Schönes. Man braucht nur an die Adventszeit, Weihnachten und Silvester zu denken.“

Das Risiko während der vielen dunklen Stunden in Depressionen zu verfallen schätzt Bornewasser als gering ein. „Dieser Begriff wird viel zu inflationär benutzt. Nur Menschen, die generell zu Depressionen neigen, sind gefährdet. Alle anderen beschweren sich zwar über den Winter, aber können letztlich sehr gut damit umgehen.“

Faule Abende auf dem Sofa

Kälte, Schnee und Eis halten die Greifswalder während der Herbst- und Wintermonate in Atem. Eine Jahreszeit der langen Fernseh- und DVD-Abende? „Der Winter macht sich bei uns definitiv bemerkbar, denn es kommen viel mehr Kunden als im Sommer“, sagt Sebastian Schulze. Der Angestellte einer Greifswalder Videothek bedient viele Studenten, die die frühe Dunkelheit und das schlechte Wetter für ausgedehnte Filmabende nutzen. „Pärchen wählen meistens romantische Komödien, aber generell werden auch Horrorfilme gern und oft ausgeliehen.“

Abenden, die in den eigenen vier Wänden verbracht werden, folgen Kneipen- und Cafébesuche. „Die Gäste trinken weniger, sitzen dafür aber umso länger“, erzählt Catrin Gläser. Der Angestellten des Café Koeppen ist ein verändertes Trinkverhalten aufgefallen. „Besonders gefragt sind unsere heiße Schokolade, Chai-Tee und Glühwein. Außerdem essen die Gäste mehr.“ Auch Simone Witt, Inhaberin des Teekontors, hat bemerkt, dass der Winter Einfluss auf ihr Geschäft hat. „Wenn es draußen nass und kalt ist, wird wesentlich mehr Tee getrunken und gekauft. Besonders gut laufen im Moment die Weihnachtsteemischungen mit Mandeln, Zimt, Orangen und anderen Früchten. Ausgesprochen beliebt ist außerdem der Chai-Sansibar-Roibusch-Tee.“
Bewegung tut gut.

Doch dem Trinken und Schlemmen folgt oft schweißtreibender Sport. „Im Winter herrscht bei uns Hochbetrieb“, erklärt Bianka Krumme. Die Auszubildende im Sportpark Barge begrüßt täglich zahlreiche Stundenten. „Im Oktober wird unser Kursplan aufgestockt. Die Leute wollen ihre Sommerfigur halten. Und nach Weihnachten kommen alle, um die angefutterten Pfunde möglichst schnell wieder los zu werden.“ Die Kurse sind bei Jung und Alt, Frauen und Männern gleichermaßen beliebt.

„Jeder sollte sich eine Grundeinstellung des Genießens erhalten. Dazu gehören gutes Essen und Trinken, Fernsehabende oder Sport.”

Professor Manfred Bornewasser

„Vor allem wird aber auch die Sauna nachgefragt. Während im Sommer kaum jemand saunieren will, werden die Finnische und die Eukalyptische Sauna im Winter sehr gut angenommen.“ Doch nicht nur Fans des Saunierens kommen in den kalten Monaten zum Zuge. Auch Solarien erfreuen sich wachsender Beliebtheit. „Im Winter kommen deutlich mehr Kunden“, sagt Maria Götte. Die studentische Aushilfe im Sonnenstudio Sonnenparadies kann die Lust auf Wärme und Licht verstehen. „Die Kunden kommen nicht in erster Linie, um braun zu werden, sondern um Sonne und gute Laune zu tanken.“ Sehr viele junge Menschen, darunter zahlreiche Studenten, nehmen das künstliche Licht in Anspruch. „Vor allem Frauen kommen zu uns, um einmal in der Woche das Gemüt aufzuhellen. Das Solarium hilft generell vielen Menschen über den Winter zu kommen.“

Neben den Sonnenstudios locken auch die Buchhandlungen der Stadt mit Angeboten, die lange Winterabende verkürzen sollen. „Während im Sommer mehr Urlaubsbücher, Reise- und Taschenbücher über die Ladentheke gehen, verkaufen sich im Winter vor allem neu erschienene Hardcover-Bücher“, sagt Jens Finger. Der Chef der Buchhandlung Weiland am Markt spricht seinen Kunden in den kalten Monaten mehr Muse zu. „Um die Weihnachtszeit herum lassen sich die Leser auf größere, umfangreichere Werke ein. Sachbücher werden gern verschenkt. In den Sommermonaten wird hingegen kurzweilige Literatur bevorzugt.“ Krimis sind Dauerbrenner. Aber auch historische Romane sind beliebt. „Meine Buchtipps für den Winter sind die Marionetten von John LeCarre und die Erinnerungen von Carlo Schmid. Diese Bücher liegen momentan bei mir auf dem Nachttisch und ich kann sie nur wärmstens weiterempfehlen.“

Professor Manfred Bornewasser versteht, dass sich die Menschen im Winter Ablenkung suchen. „Das ist gut so. Jeder sollte sich eine Grundeinstellung des Genießens erhalten. Dazu gehören gutes Essen und Trinken, Fernsehabende oder Sport.“

Autor: Grit Preibisch
Fotos: Ulrike Bengelsdorff, Julia Prange.