In dieser neuen Serie werden wir in unregelmäßigen Abständen den Blick über den Tellerrand nach Amerika wagen. Heute gibt’s den Auftakt. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang auch unseren neuen Redakteur Marcus Unbenannt.

Seit knapp zwei Wochen ist nun auch bei den Demokraten das Kandidatencasting entschieden (wenn auch noch nicht beendet). Obamas Vorsprung in der Delegiertentabelle beträgt 189, zur absoluten Mehrheit fehlen ihm noch 55 Stimmen.

Nun, da die Spitzenfunktionen vergeben sind, stellt sich also die Frage: Wer wird die Nummer 2 auf dem Ticket. John McCain widmet sich dieser Frage bereits ganz offen, Obama hingegen muss hier noch etwas diskreter vorgehen, bis er die Nominierung auch offiziell sicher hat. Wer sind also die heißesten Anwärter auf die Vizepräsidentschaft? Schauen wir zunächst auf die Republikaner:

Jung, dynamisch, konservativ: die TOP 5 der Republikaner

John McCain hat gleich zwei ernsthafte Probleme, von denen eines allein bereits ausreichen könnte, um einen Republikaner in diesem Jahr die Wahl zu kosten: Er ist, selbst für einen Politiker, sehr alt. Mit 72 Jahren wäre er der zu Dienstantritt älteste Präsident in der US-Geschichte, satte 3 Jahre älter als Reagan, der bisherige Rekordhalter.

Zu allem Überfluss fällt sein Geburtstag einen Tag nach die demokratische Convention: So viel öffentliche vorgezogene Geburtstagsglückwünsche wie in diesem Jahr dürfte er noch nie bekommen haben. Gegen den ein Vierteljahrhundert jüngeren Obama könnte McCain trotz bester Gesundheit durchaus „alt aussehen“ (5 Euro ins virtuelle Phrasenschwein).

Noch kritischer ist sein zweites Problem: In innenpolitischen Fragen bezieht McCain teilweise Positionen, mit denen er die Konservativen gegen sich aufbringt. Er lehnt – auch aus eigener Erfahrung – „intensive Befragungsmethoden“ strikt ab und erarbeitete ausgerechnet mit Sen. Ted Kennedy (D-MA) ein liberales Einwanderungsgesetz, dass im Kongress allerdings scheiterte. Auch wenn seine wirklichen politischen Positionen deutlich weniger liberal sind als sein Ruf: In den republikanischen Vorwahlen (ja, die finden auch noch statt) stimmen nach wie vor regelmäßig 25% der Republikaner gegen McCain. Wenn er diese Wähler im November nicht mobilisieren kann, wird er in etlichen bisher solide republikanischen Staaten echte Probleme bekommen.

Gebraucht wird also ein junger, konservativer Politiker, idealerweise aus einem der strategisch bedeutsamen Staaten im Osten der USA. Meine TOP 5:

Platz 1: Gov. Tim Pawlenty

Tim Pawlenty ist als Nachfolger des Ex-Profiwrestlers Jesse Ventura seit 2003 Gouverneur des Bundesstaates Minnesota, einem „Swing State“ im Norden der USA. In vielen Fragen, in denen McCain eher liberale Positionen vertrat, steht Pawlenty für den konservativen Flügel seiner Partei. So entwickelte er eine Gegenposition zum McCain-Kennedy-Plan zur Einwanderungspolitik. Mit 47 ist Pawlenty etwa so alt wie Barack Obama.

  • pros: Vertritt einen wichtigen Staat, jung, konservativ
  • cons: geringe Bekanntheit auf nationaler Ebene

Platz 2: Gov. Charlie Christ

Charlie Christ ist Gouverneur des viertgrößten US-Bundesstaates, Florida. Wer eine kleine Gedächtnisauffrischung zur Bedeutung von Florida in der jüngeren US-Wahlgeschichte benötigt, dem sei der Film „Recount“ anempfohlen. Darüber hinaus hat Christ bei McCain noch einen gut: Am Tag vor den Vorwahlen in Florida gab der Gouverneur eine Wahlempfehlung für McCain ab, dieser gewann die Vorwahlen und schlug mit Rudy Giuliani den wohl gefährlichsten Gegner aus dem Feld.

  • pros: Vertritt einen sehr wichtigen Staat, vergleichsweise jung
  • cons: nicht durchgängig konservativ, z.B. bei Umwelt und Bürgerrechten

Platz 3: Gov. Mitt Romney

Auf Platz 3 nun der erste Vertreter aus der Vorwahlsaison. Mitt Romney, ehemaliger Gouverneur des erzdemokratischen Bundesstaates Massachusetts und Chef der olympischen Spiele von Salt Lake City. Außerdem Mormone und Multimillionär, also eine reichlich schillernde Persönlichkeit. Auch wenn seine Religion bei Teilen der Konservativen auf Skepsis stößt und außerdem Mccain und Romney sich in den Vorwahlen unschön beharkt haben (die Demokraten werden jedes noch so kleine Filmschnipselchen aufbewahrt haben): Sein Geld und seine Kompetenzwerte in Wirtschaftsfragen sind starke Argumente, die ihm bei mir Platz 3 einbringen.

  • pros: Kohle ohne Ende, vergleichsweise jung, hohe Kompetenzzuschreibung in Wirtschaftsfragen
  • cons: Mormone, gesellschaftspolitisch eher liberal, bringt keinen wichtigen Staat mit, schwieriges Verhältnis zu McCain

Platz 4: Gov. Bobby Jindal

Bobby Jindal ist Gouverneur des Staates Louisiana und wäre eine wahrhaft mutige Wahl. Einerseits ist er mit 37 Jahren der mit Abständ jüngste in Frage kommende Kandidat. Andererseits ist Jindal, dessen eigentlicher Vorname „Piyush“ ist, indischer Abstammung. Jindal als „running mate“ zu nominieren, wäre eine klare Ansage, auf Rassismus im Wahlkampf verzichten zu wollen. Die republikanische Basis dürfte dennoch wenig Schwierigkeiten mit Jindal haben: Jindal wurde vom erzkonservativen Radiostar Rush Limbaugh als „der nächste Ronald Reagan“ bezeichnet und vertritt Positionen, bei denen es dem erzkonservativen Flügel warm ums Herz wird: Pro-Life, Kreationismus, Anti-Ökologie, um nur einige zu nennen.

  • pros: jung, asiatische Abstammung, erzkonservativ
  • cons: vielleicht zu jung, erst seit Anfang 2008 Gouverneur, Louisiana gewinnt McCain auch alleine

Platz 5: Sen. Sam Brownback

Der zweite Vorwahl-Verlierer und einzige Senatskollege in den TOP 5. In gewisser Weise ist der Senator aus Kansas das genaue Gegenteil zu Bobby Jindal: die solide Wahl gewissermaßen. Mit 52 Jahren noch vergleichsweise jung, aber bereits mit 12 Jahren Erfahrung in Washington. Dies bringt eine gewisse nationale Bekanntheit mit sich, zumal er sich auch außenpolitisch engagiert. In einzelnen Feldern eher moderat (Stammzellen, Todesstrafe), in anderen Bereichen so weit rechts (Kreationismus, Abtreibung), dass er gemeinhin als konservativer Hardliner durchgeht. Das ganze verbindet er mit einem unauffälligen Auftreten. Wie gesagt, die solide Wahl.

  • pros: Erfahrung, nationale Bekanntheit, sehr gutes Verhältnis zu McCain
  • cons: uncharismatisch, Kansas holt McCain auch alleine

Geheimtipp: Meg Whitman

In der Kategorie „Geheimtipp“ gebe ich Meg Whitman vor Sen Joe Lieberman (I-CT) debn Vorzug. Einerseits ist Lieberman zu alt und andererseits wäre der Tipp so geheim ja nu auch nicht. Also Meg Whitman: Die langjährige (1998-2008) Chefin von „eBay“ und Milliardärin bringt manches mit, was McCain auch von Mitt Romney bekommen kann: wirtschaftliche credentials und unanständig viel Geld! Darüber hinaus kommt Whitman aber nicht aus der Politik, was angesichts der gegenwärtigen Beliebtheitswerte von Präsident und Kongress nur von Vorteil sein kann. Und schließlich wäre es nach der großen Hillary-Show kein unkluger Schachzug, wenn nun die Republikaner eine Frau aufs Ticket holten. Aber auch wenn sie hier nicht zum Zuge kommt, lohnt es sich, die Frau im Blick zu behalten: Man sagt ihr Ambitionen auf die Nachfolge von Gov. Arnold Schwarzenegger (schreibt sich nach all den Jahren immer noch komisch) nach.

  • pros: kommt aus der Wirtschaft, außerordentlich (erfolg)reich, Frau
  • cons: politisch unbeschriebenes Blatt, Frau

Weiß, konservativ, erfahren: die TOP 5 der Demokraten

Für Barack Obama wäre schon ein beträchliches Maß an Unvermögen in Verbindung mit schwerem Pech nötig, um die Wahl im November noch zu vergeigen. Zum einen sieht die allgemeine Stimmung im Moment sehr günstig für die Demokraten aus. So konnten in den vergangenen Wochen drei weitere bisher republikanisch besetzte Kongreßbezirke in Sonderwahlen von den Demokraten gewonnen werden. Außerdem ist es Obama gelungen, Jungwähler und Unabhängige in Scharen zu den Demokraten zu holen, seine Wahlkampfkasse ist zum Bersten gefüllt und in den Umfragen liegt er selbst in bislang erzrepublikanischen Staaten auf Augenhöhe mit McCain. Das selbe gilt allerdings auch in einigen Staaten, die in den vergangenen Jahrzehnten zu den Demokraten tendierten. Bei den demokratischen Vorwahlen hatte er in einigen strategisch bedeutsamen Staaten heftige Probleme bei weißen Mittelschichtswählern. Gerade bei den letzten Wahlen in West Virginia und Kentucky zeigte sich ein erheblicher Teil der Demokraten, die sich vorstellen können, eher McCain zu wählen als den angeblich elitären und liberalen jungen Senator. Außerdem ist Obamas geringe außenpolitische Erfahrung ein Handicap gegen den erfahrenen Kontrahenten aus Arizona. Und auch Rassismus ist immer noch ein Thema. Das Anforderungsprofil ist klar: Weiß, konservativ und (außen)politisch sollte die Ergänzung sein.

Platz 1: Gov. Ted Strickland

Ted Strickland ist der Gouverneur von Ohio, einem der größten sogenannten „Swing States“. 2004 gewann George W. Bush Ohio hauchdünn vor John Kerry und sicherte sich damit die zweite Amtszeit. Der industriell geprägte Staat liefert 20 Stimmen im Electoral College und ist damit einer der wichtigen „battlegrounds“. Strickland ist zwar erst seit 2007 Gouverneur, kann aber auf 12 Jahre im Repräsentantenhaus vorweisen, so dass er über reichlich Erfahrung auf nationaler Ebene verfügt. Er gehört zu den konservativsten demokratischen Spitzenpolitikern, so gab ihm die National Rifle Association ein „A“. Mit 67 Jahren hat er genau das richtige Alter, um Obama zu ergänzen.

  • pros: vertritt einen wichtigen Staat, konservativ, beliebt bei Clinton-Wählern, gewisse Erfahrung
  • cons: vielleicht ein wenig zu konservativ

Platz 2: Gov. Kathleen Sebelius

Die Gouverneurin des Staates Kansas war bereits 2004 im Gespräch als VP-Kandidatin für John Kerry. Und auch in diesem Jahr wird sie hoch gehandelt. So gab sie für die Demokraten die Antwort auf die diesjährige Rede zur Lage der Nation von Präsident Bush. Als ehemalige Vorsitzende der Vereinigung der demokratischen GouverneurInnen ist sie in der Partei gut vernetzt. Das wichtigste Argument für sie ist allerdings, dass sie es geschafft hat, mit Kansas einen Staat zu gewinnen, der bei Präsidentschaftswahlen solide republikanisch wählt. Sollte sich McCain nicht für Sam Brownback entscheiden, wäre Sebelius eine echte Stärkung im Mittleren Westen. Als Frau wäre sie überdies ein Signal an alle, die finden, dass endlich eine Frau ins Weiße Haus gehört – wenn auch in diesem Fall (erst einmal) durch den Seiteneingang.

  • pros: Frau, hat eine republikanische Hochburg gewonnen
  • cons: kaum außenpolitisches Profil, keine Hilfe bei Clinton-Wählern

Platz 3: Sen. Evan Bayh

Birch Evans Bayh III., so der offizielle Name des Senators aus Indiana, hat dieses Amt seit 1999 inne, von 1989 bis 1997 war er Gouverneur des Staates. Damit verfügt Bayh, der mit Mitte 50 noch zu den jüngeren Senatoren gehört, über reichlich politischer Erfahrung sowohl in der Exekutive als auch im Kongreß. Er gehört unter anderem dem Senatsausschuß für Bank-, Wohnungs- und städtische Angelegenheiten, der im Lichte der aktuellen Banken- und Immobilienkrise im Zentrum der Öfentlichkeit steht. Damit würde sich Obama mit der Wahl Bayhs wirtschaftspolitische Credentials ins Boot holen.

  • pros: beliebt bei Clinton-Wählern, viel Erfahrung, bringt Punkte in wichtigen battlegrounds
  • cons: relativ jung

Platz 4: Sen. Jim Webb

Bereits jetzt hat der Senator aus Virginia das Rennen um die Präsidentschaft erheblich beeinflusst. Bei den Kongresswahlen 2006 schlug er den Republikaner George Allen hauchdünn. Allen war einer der Hoffnungsträger der Republikaner und Favorit auf die republikanische Nominierung 2008. Die Niederlage Allens traf die Republikanische Partei unvorbereitet und trug damit zu der für republikanischen Verhältnisse chaotischen Vorwahlsaison bei. Webb, bis 2006 Mitglied der Republikanischen Partei, war Ende der 80er Jahre Marinestaatssekretär unter Ronald Reagan. Er ist ein scharfer Kritiker des Kriegskurses von Präsident Bush und einer der wenigen Senatoren, die einen Sohn an der Front haben. Er gehört dem Auswärtigen Ausschuss und dem Streitkräfteausschuss an. Innenpolitisch bringt Webb wenig mit, aber in Außen- und Militärfragen gibts kaum eine stärkere Ergänzung bei den Demokraten.

  • pros: vertritt einen wichtigen Staat, Ex-Militär, Ex-Republikaner
  • cons: kaum innenpolitisches Profil

Platz 5: Gov. Bill Richardson

Der einzige Vorwahl-Verlierer in den TOP 5 und einer der erfahrensten Außenpolitiker, den die Demokraten zu bieten haben. Richardson war Kongreßabgeordnter, UN-Botschafter und Energieminister, bevor er 2003 Gouverneur des Staates New Mexico wurde. Und trotz dieses Amtes, in dessen Kompetenz Außenpolitik überhaupt nicht fällt, ist er weiterhin für die Bundesregierung in diplomatischer Mission unterwegs. Hierbei reiste er gewissermaßen die Achse des Bösen rauf und runter, um Verhandlungen zu führen, zu denen die Regierung selbst nicht in der Lage war. Mit New Mexico regiert Richardsson einen Staat, der sich in den vergangenen Jahren zunehmend in Richtung der Demokraten entwickelt hat – wie insgesamt der Südwesten

der USA einen spannenden Prozess durchgemacht hat. Und schließlich ist Richardson Latino, gehört zu einer der am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppe, die für die Demokraten hoch interessant ist. Das Problem ist nur, dass ein Ticket aus einem Farbigen und einem Latino eine ziemlich exotische Mischung ist, die die Demokraten in einigen swing states vor Probleme stellen könnte. Und gegen Obamas Schwäche bei weißen Arbeitnehmern mit niedrigen Einkommen ist Richardson kaum eine Hilfe. Daher trotz idealer Qualifikationen nur Platz 5.

  • pros: extrem erfahren in vielen Feldern, beliebt im Südwesten, konservativ
  • cons: Latino, eher uncharismatisch

Geheimtipp: Sen. Hillary Clinton

Nun, so wirklich geheim ist an diesem Tipp eigentlich nichts. Andererseits ist ein Geheimtipp ja normalerweise etwas, was allen üblichen Regeln widerspricht, man aber doch nicht ausschließen will. Und genau dies trifft auf Hillary Clinton zu. Ein Obama/Clinton Ticket ist eigentlich für alle Beteiligten eine schlechte Lösung. Vor allem für Obama selbst: Er würde zwar mit Clinton im Team seine Schwächen deutlich entschärfen, dies aber auf Kosten eines erheblichen Teils seiner Stärken: Er will Neuanfang und Wandel verkörpern und es ist ihm Gelungen, in den Vorwahlen Clinton als die Personifikation des Gegenteils aussehen zu lassen. Sich jetzt quasi den status quo ins Boot zu holen ist unsinnig, ganz abgesehen davon, dass Clinton der sicherste Weg ist, Unabhängige zu verschrecken und in McCains Arme zu treiben. Aber auch für Hillary Clinton bringt eine solche Konstruktion keinen Vorteil: Verlieren die beiden, ist sie mit verbrannt, gewinnen sie, ist sie Vizepräsidentin neben einem jungen, charismatischen Barack Obama und käme frühestens 2016 zum Zuge – mit 68. Wenn sie aber Senatorin bleibt, könnte sie sich mit dem Ergebnis der Vorwahlen im Rücken um die Position der Mehrheitsführerin bewerben und auf Jahre hinaus eine der mächtigsten Persönlichkeiten der USA sein – egal, wer im November Präsident wird. Es gibt also wenig gute Argumente für ein Obama/Clinton-Ticket und doch streben die Clintons es offenbar mit Macht an – zumindest Bill Clinton tut dies mittlerweile öffentlich. Und wenn die Clintons ihre Verbündeten wie Strickland und Bayh dazu bekommen, sich für nicht verfügbar zu erklären, wird Obama am Ende vielleicht doch nichts anderes übrig bleiben.

  • cons: Sie schwächt die Wechsel-Botschaft, Der VP-Posten ist eigentlich unattraktiv, Bill Clinton hat sich in den Vorwahlen als Wahlkämpfer mit Eigentorgefahr erwiesen, Clinton ist unpopulär bei vielen Unabhängigen und Republikanern
  • pros: Never say never

Soweit meine Fünfer mit Zusatzzahl. Jetzt seid ihr dran: Wer fehlt, wer steht zu unrecht drauf, wer ist zu hoch/niedrig einsortiert. Feuer frei für Kommentare.