CD: Melodisch – The Notwist

?The Devil You + Me?

Nach sechs Alben seit 1990 haben sich die Bayern von The Notwist sechs Jahre Zeit gelassen, um einen Nachfolger für „Neon Golden“ zu produzieren. Ob das nun daran lag, dass die Band nebenher viel zu tun hatte oder ob man diesem großartigen Album viel Platz lassen musste, nur um ihm als Werk Respekt zu zollen, ist nicht sicher.

Sicher ist, dass es mal wieder Zeit wurde für ein Lebenszeichen aus dem kleinen Örtchen Weilheim in Bayern. „The Devil you + me“ heißt nun das Ergebnis. Das Schöne und gleichzeitig Andere an diesem Album ist, dass es zwar immer noch die Notwist-typischen Elektroelemente hat, aber bei „The Devil you + me“ das Augenmerk mehr auf die Melodien gelegt wird. Zunächst scheint das ein wenig untypisch. Wenn in Liedern wie „Gloomy Planets“ die gute alte Akkustikgitarre einen großen Stellenwert erhält, kommt nicht das Gefühl auf, die Band zu hören, die vor sechs Jahren „Neon Golden“ herausbrachte oder das noch viel elektronischere und verschrobene „Shrink“. Doch bei genauerem Hinören, stellt man fest, wie viele wunderbare kleine musikalische Kleinigkeiten versteckt sind und das sich dieses neue Album trotzdem gut in die Reihe seiner Vorgänger einbaut. Was in jedem Fall geblieben ist, sind die nachdenklichen, etwas düsteren Texte, die in der unverkennbaren Stimme von Markus Acher vorgetragen werden. Die Musik ist voller Textzeilen, die einem schon nach dem ersten Hören im Kopf bleiben. Ein besonders schönes Beispiel dafür findet sich im Song „Where in this World“ in dem es heißt: „there is no escape from this circling place“. Wie wahr.

Geschrieben von Esther Müller-Reichenwallner (radio 98eins)

DVD: Für Genießer

„Eden“ von Michael Hofmann

Viel interessanter als die Tingel-Tangel-Tour durch deutsche Talkshows, dem dortigen Entblößen vermeintlicher intimer und niemals zuvor ausgesprochener Dinge, ist die Darstellung Charlotte Roches im kleinen Kabinettstück „Eden“.

Erinnert sich der Zuschauer noch an die Fernsehsendung „Fast Forward“ auf VIVA 2 – aber nicht die Vergangenheit verklären – und besonders die lustigen Zwischenmoderationen der 163-Zentimeter-Frau, spätestens nach Ende des 98 Minuten langen Kinofilms wird Roche der Status einer auf Erden wandelnden Göttin zugesprochen.  Wo solch eine starke titelgebende Hauptfigur vorhanden ist, bedarf es zweier männlichen Protagonisten.

Der Eine ist ein zurückgezogen lebender Meisterkoch. Seine Arbeit verzaubert die Sinne seiner Gäste und erfüllt den fülligen Genießer über alles. Schon als Kind wollte Gregor (Josef Ostendorf) nur eins: Dick sein. Dies gelang, doch mußte für die hohe Kunst des Kochens Tribut geleistet werden. Gregor verzichtete auf den Kontakt zu Frauen. Aber nur bis Eden aus seinen Töpfen wie Schneewittchen bei den sieben Zwergen nascht.

Edens Ehemann dagegen versteht die Welt nicht mehr: Warum verbringt seine Frau soviel Zeit mit einem – oberflächlich betrachtet – unattraktiven Mann? Eifersucht kommt ins Spiel, denn die seltsame zwischenmenschliche Beziehung des Kochs und der Bekochten beruht nicht auf einer sexualen Anziehungskraft. Das gemeinsame Erlebnis des Genießens führt freundschaftlich zusammen. Natürlich geht dies in den Augen der provinziellen, konservativen Bevölkerung nicht: Eine Freundschaft zwischen Mann und Frau.

Gerade wenn sich Eden im Paradies befindet, wird dieses von Innen zerstört: Ihr Ehemann vergreift sich an der materiellen Grundlage des Kochs, erfährt aber vorher noch selbst die höchstmögliche Sinnesentfaltung am Tisch des Meisters.
Wo der Film zwischen der harten Realität und einer märchenhaften Welt wandert, sich die Figuren nicht verändern, teilweise sogar wie Schweine benehmen, ist ein Zauberer wie Gregor nötig. Zum Glück steht ihm  sein Ego nicht im Weg.

Zu selten für einen auch mit Fernsehgeldern finanzierten Film, darf dieser eine eigene Handschrift tragen, die im Einheitsbrei deutscher Herkunft lesbar ist. Bemerkenswert erfährt dieser beim Publikum wenig angenomme Film ein DVD-Release erster Sahne: Interviews, ein Making-of, Trailer und wie kann es für einen Kochfilm anders sein: Rezepte. Am schönsten ist aber das Cover. Charlotte Roch wie man sie kennt, aber nicht erkennt.    

Geschrieben von Björn Buß

DVD: Scheidung aus Liebe

„Tuyas Hochzeit“ von Wang Quan ´an

Weite Steppen, großflächiges Wüstenland und im Hintergrund ragt ein Gebirge auf. Hin und wieder ist das Hufgetrampel einer Schafherde zu hören.

Nur eines passt hier nicht ganz ins Bild und trübt die natürliche Idylle – Kameras. Denn die schöne Landschaft ist der Schauplatz für den Film „Tuyas Hochzeit“.
Tuya lebt mit ihrem arbeitsunfähigen Ehemann Bater und ihren beiden Kindern in der Inneren Mongolei, welches als autonomes Gebiet zur Volksrepublik China gehört, und muss sich und ihre Familie versorgen. Doch von der schweren Arbeit wird sie krank. So beschließt das Paar sich scheiden zu lassen, damit Tuya sich einen Ehemann suchen kann, der sie, ihre Kinder und auch Bater versorgen soll.

Dieses emotional gezeichnete Porträt einer Frau, die nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Leben anderer in die Hand nehmen muss, birgt zugleich eine Dokumentation über das Leben in den ländlichen Regionen Chinas. Es gibt noch keine Appartements mit Satellitenanschluss oder vibrierende Handys. Irgendwie scheinen die Uhren hier langsamer zu ticken und nicht der Mensch, sondern die unberührte Natur gibt den Lebensrhythmus an.

Drehort war das Zuhause einer der letzten Hirtenfamilien, die ihr dortiges Heimatgebiet noch nicht verlassen hatten. Mongolen sind ein Nomadenvolk und immer auf der Suche nach Wasser und Weideland für ihre Schafe und Ziegen. Vor allem die Suche nach Wasser durchzieht den Film wie einen roten Faden und ist bis zuletzt ein wichtiges Thema.

Viel bemerkenswerter ist die Tatsache, dass die meisten Rollen, abgesehen von der Hauptdarstellerin Yu Nan, von lokalen mongolischen Hirten gespielt wurden. Ihre eigenen Namen durften sie im Film behalten. Doch die schauspielerische Qualität litt nicht unter den „Amateur-Akteuren“. Vielmehr machte es die Szenerie authentischer.

Ebenso wie Yu Nan stammt auch der Regisseur Wang Quan ´an nicht aus der Inneren Mongolei. Verbundenheit zu diesem Gebiet wuchs in ihm durch seine Mutter, die in der Nähe des Drehorts geboren wurde. Doch wollte er auch die Landschaft dokumentieren, bevor diese endgültig verschwindet. Denn die rasche Entwicklung in China scheint auch ihre Tradition zu überrollen. So schafft es Wang Quan ‘an mit seinem Film einen kostbaren Moment der Sitten und Bräuche seiner Heimat einzufangen und gewann sogar auf der Berlinale 2007 den Goldenen Bären für sein Meisterwerk, auch ohne Specialeffects.

Dagegen geizt die DVD keineswegs mit ihrem Bonusmaterial und lässt interessante Einblicke über Film und Darsteller, vor allem durch die Pressekonferenz auf der Berlinale 2007, zu.

Dabei wird besonders die Kritik des Filmes, der Verlust der Tradition, deutlich. Denn als hätte Wang Quan ‘an es geahnt, waren die Menschen und Häuser nach dem Dreh verschwunden und in die Stadt gezogen, als Reaktion auf die industrielle Entwicklung in China. So gewährt uns der Film einen wahrhaft letzten Blick auf die Landbevölkerung.

Geschrieben von Katja Graf

Kino: Spaßbremse

„Die Drachenjäger“ von Arthur Qwak und Guillaume Invernet

Selten so wenig gelacht. Eigentlich sind Animationsfilme, die unter dem Pseudonym Walt Disney laufen, Garant für Schmerzen in der Zwerchfellgegend. Andererseits bewegte sich der Spaß- und Witzfaktor schon einige Jahre vor der Schließung der 2D-Zeichentrickstudios im Jahr 2003 immer mehr gen Abseits.

Die Ära der Meisterwerke, als Hans Zimmer und Elton John noch als Haus- und Hofkomponisten durch die Disney-Filme tourten und die Zeichner sich echte Löwen (König der Löwen) ins Studio holten, ist sowieso längst vorbei. Auch gesellte sich bisher noch kein 27. Oscar zu den schon vorhandenen.

Die deutsch-französische Koproduktion „Die Drachenjäger“ lädt noch nicht mal zum Weinen ein. Zwischen im Himmel herum schwebenden Erdfetzen und aufeinander prallenden maroden Schlosstürmen breiten sich ungestört Depressionen aus. Die Erde als Kugel existiert in der fantastischen Welt des Leinwandstreifens nicht mehr. Schuld daran trägt ein ominöser Weltenfresser. An der aufkommenden Langeweile ändern im Verlauf des Filmes aber auch die eigentlich putzig angelegten Charaktere nicht wirklich viel. Der geldgierige Gwizdo und sein Kumpel Lian-Chu, der die Statur eines Gorillas mit der Genügsamkeit eines Elephanten vereint und einen Fabel fürs Stricken hat, versuchen erfolglos als ernstzunehmende Drachenjäger von sich Reden zu machen. Dazu kommt Zoe, ein kleines dummes Mädchen mit erstaunlichem Wortschatz, und das Abenteuer beginnt. Die Spannung vergammelt derweil lustig vor sich hin, in irgendeiner Schublade von Regisseur und Drehbuchautor Arthur Qwak. Lediglich Hector, ein plüschig blauer Drachenhund, der schwere Ähnlichkeiten mit dem außerirdischen Protagonisten aus „Lilo und Stitch“ aufweist, sorgt für Schmunzeln. Aber irgendwie ließ die Figur doch wieder mehr erhoffen. Dazwischen durchziehen rasante Fluchten vor Feuer, Gesteinsbrocken oder kürbisköpfigen Drachen das 86-minütige Werk. Insgesamt jedoch bietet sich dem Kinogänger nur ein altbackener Animationsfilm.   

Geschrieben von Maria Trixa

Kino: Heinz will endlich Sex

„Fleisch ist mein Gemüse“ von Christian Görlitz

Heinz hat Akne, fiese Akne, wohnt mit seiner verwirrten Mutter in einem runtergekommenen Reihenhaus in Hamburg Harburg und Nachbarin Rosi kommt allabendlich zum Besäufnis vorbei. Es wird sich besoffen am Schmerz des Lebens, dem Wunsch nach Zuneigung und Erfolg. Der autobiografische Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ von Heinz Strunk wurde vom Norddeutschen Rundfunk co-produziert und läuft nicht nur in Hinterwäldlerkinos.

Heinz spielt Saxofon und tingelt mit einer Stimmungsmacherband durch norddeutsche Kaffs. Geplagt von seinen Hautunreinheiten und der Unfähigkeit Frauen anzusprechen, führt er ein Leben zwischen Alkoholexzessen und Selbstbefriedigung.
Der Film wird in drei Akten gezeigt, welche Strunk selbst aus dem Off kommentiert. Eigenartige Herangehensweise, denn schlussendlich treffen Strunk selbst und  der Schauspieler Maxim Mehmet, der ihn spielt, aufeinander. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sieht man den Film. Viele Situationen sind grotesk amüsant, jedoch untermalt von harter Schwermut. Der einfache deutsche Bürger wird gezeigt, jedoch nicht vorgeführt. Das Eintauchen in eine Partykultur von der Hochzeit bis zum Schützenfest wird anschaulich demonstriert und man schämt sich. Es ist keine Scham der Peinlichkeit, sondern jeder weiß, dass es sich bei der schrecklichen Tanzkapelle, den besoffenen Grabschern und allem drum herum um ein Abbild der Wirklichkeit handelt. Teilweise wurden Szenen in den Kneipen mit Handkameras gedreht und wirken dadurch noch authentischer, als sie eh schon sind. Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Ist die Mutter verwirrt, ist Rosi tot und wer ist diese Sängerin, hat Heinz nun einen Plattenvertrag? Fragen über Fragen. „Und am Ende heißt es doch nur geil abliefern, geil abliefern“. In der Tat : Der Film ist schon geil abgelaufen.

Geschrieben von Maria-Silva Villbrandt