Was ist überhaupt Athos? Und wo befindet er sich? Das sind Fragen, die von Europäern derzeit nicht oft gestellt werden. Außer einigen Ausnahmen, hat man selbst den Name Athos noch nie gehört. Seit mehr als 1.000 Jahren liegt der faszinierende Ort im Norden Griechenlands. Er liegt so nah, und trotzdem weiß man so wenig über ihn, obwohl er heutzutage ein Teil der europäischen Union ist.

Der heilige Berg Athos ist vor allem das Zentrum des griechisch-orthodoxen Mönchtums. Seit mehr als tausend Jahren versuchen die ?schwarzen Engel? in ihren Klöstern, Gott so nahe wie möglich zu kommen. Für die Christen des orthodoxen Bekenntnisses ist der Heilige Berg auch von großer Bedeutung – es ist ein spirituelles Zentrum ihrer Religion.
Auf dem Heiligen Berg befinden sich zwanzig Klöster, die das Zuhause für etwa anderthalb tausend Mönche sind. Das Gebiet, auf dem sich die Klöster befinden, ist ein autonomes Gebiet innerhalb Griechenlands. Es wird oft als Mönchsrepublik bezeichnet und befindet sich auf der gleichnamigen Halbinsel Chalkidiki, die übrigens für ihr umfangreiches touristisches Angebot bekannt ist.

Wurzeln der europäischen Kultur

Nicht allein für die Orthodoxie, sondern gerade für die ganze europäische Kultur ist Athos von sehr großer Bedeutung. Auf dem Berg befindet sich die weltweit größte Sammlung byzantinischer Ikonen, deren Tradition bis in das Hochmittelalter zurückreicht. Die orthodoxen Kirchen wurden mit einer Unzahl von Fresken geschmückt. Die Raritäten sind zudem die uralten Manuskripte, die sich in den dortigen zahlreichen Bibliotheken befinden. Dank ihnen kann man beobachten, wie sich die europäische Kultur entwickelt hat.
Es ist noch ein wichtiger Aspekt zu nennen, warum der Athos für den zeitgenössischen Europäer von großer Bedeutung ist. Seine Geschichte spiegelt nämlich gleichzeitig die komplizierte europäische Geschichte wider. Die bewaffneten Konflikte, die Zeit des Friedens und des Wohlstandes, die Kontaktaufnahmen zwischen dem westlichen und östlichen Kulturkreis auf dem Athos stattfanden, sagen uns heute viel über die Bildung unserer europäischen Identität. Durch diese Konfrontation kann jeder sein eigenes „Ich“ neu entdecken.

Reise in eine andere Zeit

Wer von einer Zeitreise träumt, kann hier sich den Wunsch erfühlen. Es gilt hier nämlich der julianische Kalender, was zur Folge hat, dass jeder Pilger, der die Grenze des Athos überschreit, dreizehn Tage zurückgeht! Es geht aber über diese Erscheinung weiter hinaus: das alte System der Zeitmessung setzt voraus, dass der Tag mit dem Sonnenuntergang beginnt (Null Uhr). Der Besucher des heiligen Berg muss sich also abgewöhnen, dass der folgende Tag um Mitternacht beginnt.

Marias Garten

Ein weiterer Name, der dem Athos zugewiesen wird, lautet „Marias Garten“. Warum gerade diese Bezeichnung? Es liegt daran, dass die Mönchsrepublik wunderschön gelegt ist. Wie schon erwähnt, liegt der Athos auf einer Halbinsel, was zur Folge hat, dass ihn von drei Seiten das azurblaue, ägäische Meer umgibt. An der Südost-Spitze der Halbinsel befindet sich ein Berg, der mit seinen 2.033 Metern Höhe der höchste Punkt der Ägäis ist. Außerdem ist die ganze Insel mit wuchernder Pflanzenwelt bewachsen, was nicht oft in Griechenland vorkommt. Es ist deswegen, weil das Klima auf dem Heiligen Berg etwas kühler als im Süden ist.
Alles das schafft eine bezaubernde Atmosphäre, die jeden beeindrucken wird. Wie die Legende besagt, gefiel sie sogar der Mutter Gottes. Maria war auf dem Athos im Jahre 49 nach Christus. Es war ein Zufall – sie war auf dem Weg nach Zypern, als das Gewitter ausbrach und das Schiff anlegen musste. Maria war aber so von diesem Ort begeistert, dass Sie Gott bat, ihr dieses Flecken Erde zu schenken. Die Stimme aus dem Himmel antwortete ihr: “Dieser Ort soll Dir gehören und Dir als Paradiesgarten dienen. Und auch allen, die Hilfe brauchen, als Hafen“. Seit dieser Zeit wird der Athos „Marias Garten“ genannt.

Das Leben auf dem Athos

Nicht ohne Grund wird der Heilige Berg oft als „andere Welt“ bezeichnet. Vor allem gibt es hier kein Platz für Frauen. Seit dem 11. Jahrhundert gilt für sie ein Zutrittsverbot. In der tausendjährigen Geschichte dieses Ortes gab es nur vier Fälle, die diese Regel verletzt haben. Sie ist so restriktiv, dass auch selbst weibliche Tiere von diesem Verbot betroffen sind. Diese Regel gilt auch heute, so dass alle Besucher des Heiligen Berg die Möglichkeit haben, eine Welt ohne Frauen zu erleben.
Der Athos ist nach außen geschlossen und obwohl er zur Europäischen Union gehört, muss jeder Pilger ohne Ausnahme ein Visum bekommen, um den Athos besuchen zu können. Es heißt Diamonitrion und wird nur hundert fünfzig Personen pro Tag erteilt. Zehn davon bekommen Männer, die sich zu anderer Konfessionen als der Orthodoxie bekennen. Dies ist vielleicht eine kontroverse Verordnung, aber dank dessen ist der Heilige Berg, wie zum Beispiel die Metéora-Klöster, kein touristisches Zentrum geworden und hat seinen spirituellen Charakter nicht verloren. In der Mönchsrepublik gibt es keine Hotels oder Strassen, in unserem Sinne. Die zwei, einzigen „Städte“ heißen Karyes und Dafne. Die Hauptstadt von Athos, Karyes, ist eigentlich ein kleines Dorf, wo sich ein paar Gebäude und eine Kirche befinden. Dafne, der Haupthafen besteht aus vier Gebäude und dem Kai. Das Leben auf dem Heiligen Berg läuft in den Mauern mittelalterlicher Klöster. Dort leben und arbeiten Mönche, und dorthin wollen alle die Pilger.

Weihrauch und tiefer Gesang

Die wichtigste Aufgabe der Mönche ist das Gebet. Von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet, beten sie inbrünstig beinahe ununterbrochen. Aus diesem Grund sprechen sie gewöhnlich nicht mit den Pilgern. Diese Aufgabe übernimmt einer von den Mönchen, der die Rolle des Gastgebers erfüllt. Er ist der Einzige, der den Innenraum orthodoxer Kirchen den Pilgern zeigt. Für Protestanten und Katholiken – und vor allem für die Bekenner anderer Religionen – ist der erste Besuch in den Kirchen Athos’ ein großes Erlebnis. Von jeder Wand und sogar Decke werden die Besucher von den schweigenden Gesichtern vieler Heiligen beobachtet, die vor vielen Jahren gemalt wurden. Überall gibt es Goldornamente und die Ikonen befinden sich sogar auf den großen Kronleuchtern. Die Kirchen beeindrucken den Besucher insbesondere während der Messe, wenn sie mit dem Geruch des Weihrauchs und mit dem tiefen Gesang der Mönche erfüllt sind. Alle Teilnehmer des Gottesdienstes, der sogar sechs Stunden dauern kann, sind in permanenter Bewegung: Sie küssen Ikonen, knien und verbeugen sich. Diese Bewegungen sowie Musik, Geruch und Ausstattung der Kirchen bleiben für lange Zeit in der Erinnerung der Pilger.

Entschieden besonders

Der Heilige Berg Athos ist eine Besonderheit im weltweiten Sinne. Es gibt keinen anderen Ort auf der Welt, wo die Zeit so sehr wie auf dem Athos stehen geblieben ist. Nur hier kann man die vergessene aber faszinierende Atmosphäre des Mittelalters erleben. Man hat die Möglichkeit, die zeitgenössische Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Das ist die Eigenschaft, die über die Besonderheit des Heiligen Berges entscheidet und die das Interesse vieler Menschen anzieht. Auch mich hat sie während meines Besuchs in der Mönchsrepublik bewegt. Möge dieser Ort seinen Charakter so lange wie möglich bewahren und immer mehr Leute etwas über ihn erfahren. Auch in Greifswald.

Aus dem Polnischen übersetz von Joanna Sulikowska

Geschrieben von Lukasz Fajfer