Werner Herzogs „Grizzly Man“

Regisseur und Dokumentarfilmer Werner Herzog hat während seines langjährigen Filmschaffens oft selbst mit den Widrigkeiten der Natur gerungen und dabei auch so manche menschliche Bestie gebändigt („Mein liebster Feind“). Da erscheint es irgendwie passend, dass er sich nun des Vermächtnisses eines anarchistisch-egozentrischen Bärenfilmers angenommen hat, der bei dem Versuch, seinen „Seelentieren“ nahe zu sein, die unsichtbare Grenze zwischen Mensch und Tier aus den Augen verliert.

In dreizehn Sommern lebte Amateur-Tierfilmer Timothy Treadwell unter den nordamerikanischen Grizzly-Bären und drehte dabei über 100 Stunden Videofilm zusammen – bis ihn die Bären schließlich auffraßen. Dieses Material hat Herzog nun in einem eigenen Dokumentarfilm verarbeitet.
Beeindruckend offenbart die Collage aus filmischen Selbstinszenierungen Treadwells und nachträglichen Interviews Herzogs die naiv-drängende Selbststilisierung und den schleichenden Realitätsverlust einer Persönlichkeit. Treadwell wollte die Bären nicht nur schützen und filmen. Er wollte ein Teil von ihnen sein. Die amateurhafte Authentizität der Naturaufnahmen des „Grizzly Man“ erschafft ein intensives, unvergleichliches Filmerlebnis, welches auf faszinierende wie verstörende Weise dokumentiert ,wie Treadwell physisch und psychisch die überlebenswichtige Distanz zu seinen „Hauptdarstellern“ verliert.
Die Gestalten der „zivilisierten“ Außenwelt reagieren auf Herzogs Befragungen zum Treiben des Aussteigers zumeist mit Unverständnis oder Missgunst – vielleicht ist es aber auch Neid. Denn bei den Bären – auch das macht der 100 Minuten lange Film spürbar – fand Timothy Treadwell den Sinn seines Lebens, etwas, was man in der Menschenwelt, aus der er floh, immer seltener zu finden glaubt.   

Geschrieben von Johannes Kühl