Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her? Diese Fragen hat sich wohl jeder schon gestellt. Dabei helfen einem oft Geschichten von älteren Familienmitgliedern. Doch was macht man, wenn es keine gibt oder sie die Geschichten nicht erzählen wollen. (mehr …)
Das Café Ravic ist aus der Greifswalder Barlandschaft gar nicht mehr wegzudenken. Nun hat die Kultkneipe Zuwachs bekommen: Das Video Ravic, welches seit Ende Februar eröffnet ist. Es befindet sich direkt neben der Bar in der Johann-Sebastian-Bach-Straße. Und wie der Name schon verrät, können die Gäste hier nicht nur ein kaltes Getränk genießen, sondern auch Videos, beziehungsweise DVDs, sehen. Wie das funktioniert?
Komm mit ins Kino (aber im Video Ravic ist es günstiger und gemütlicher.)
Zunächst sucht man sich einen Film aus dem Regal aus. Die Auswahl ist zwar mit etwa 100 Filmen überschaulich, doch das macht die Sache nicht einfacher. Hier stehen Geheimtipps neben Klassikern, aber auch bekannte und aktuelle Filme sind zu finden: Milk, Das Leben ist zu lang, Ein gutes Herz, Same same but different, Inception… – die Liste ist lang. Nicht jede DVD, die hier in den Regalen steht, gibt es im Videoverleih. Kommunikationswissenschafts- und Wirtschaftsstudentin Maria Strache, die zum ersten Mal das Video Ravic ausprobierte, gefällt die Filmauswahl: „Vor allem, dass es keine Allerweltsfilme sind. Wenn man sich eventuell nicht entscheiden kann, dann hilft einem die Bedienung, die den Anschein macht, als habe sie alle Filme schon gesehen.“
Wie ein Videoabend bei Freunden
Zum ersten Mal im Video Ravic - Maria ist begeistert.
Dann geht es vom Eingangsraum, hier befinden sich neben den Regalen eine kleine Bar und einige Ravic-typische Sitzgelegenheiten, in den kleinen Vorführraum. Nicht viel Platz birgt dieser, dafür ist es aber umso gemütlicher. Eine Eckcouch, ein Sessel, zwei kleine Sofas, dazwischen ein Fernsehtisch – mit blumigem Muster erinnern diese mitunter an das Mobiliar der eigenen Großeltern. Die Wände sind passend dazu mit alten Filmpostern tapeziert und so wird man gleich in die richtige Filmstimmung versetzt. DVD-Player und Fernseher an, DVD rein, der Spaß kann losgehen. Maria entschied sich für „Männer im Wasser“, einer schwedischen Komödie. Sie fühlt sich an einen Videoabend bei Freunden erinnert, an dem man Filme im Wohnzimmer guckt. „Nur mit dem Unterschied, dass das hier für alle zugänglich ist“, ergänzt sie.
Das Video Ravic öffnet täglich bereits um 16 Uhr und somit ist für diejenigen, die zuerst kommen, die Auswahl des Films gesichert. Man kauft keine Eintrittskarten, auch eine Videogebühr wird – sofern man vor Ort den Film sieht – nicht erhoben. Lediglich die Getränkepreise (Bier 2,50 Euro, Cola 1,80 Euro – Säfte und Heißgetränke gibt es auch) sind zu zahlen. Wird der Videoraum gerade genutzt, ist das dennoch kein Problem: Es kann im kleinen Barbereich gewartet werden. Oder man sieht sich den laufenden Film mit den anderen Gästen an. Wenn man die DVD dann doch lieber zu Hause sehen will, ist das aber auch kein Problem: Die Filme sind für 2,50 Euro pro Tag ausleihbar.
„Ich bin kein netter Mensch und das wird nicht der Wohlfühlfilm des Jahres.“
Was will uns der weißhaarige Mann auf dem Bild sagen? „Ich hatte im Frühjahr 2008 Zeit für ein Filmprojekt und meine Agenten machten mir den neuesten Woody Allen-Film schmackhaft. Würde ich Allen nicht schon seit Jahren kennen, ich hätte ihm niemals zusagt, denn sein Drehbuch ist scheußlich.“ Natürlich sagt der Abgebildete nicht diese Worte. Er durchbricht zu Beginn von „Whatever Works“ (2009) in brechtscher Manier stattdessen die vierte Wand zwischen Darstellern und Publikum, faselt seinen Monolog über den Sinn des Lebens und sagt uns als Zuschauern direkt ins Gesicht: „Dies wird nicht der Wohlfühlfilm des Jahres“. Leider hat er damit Recht.
Wenn ein Regisseur wie Allen jedes Jahr einen neuen Film schreibt, inszeniert und teilweise darin auch mitspielt, ist diese Leistung hoch anzurechnen. Und ebenfalls hoch anzurechnen ist es europäischen Finanziers, die den Filmemache aus seiner New Yorker-Stube herausholten. „Match Point“, „Scoop“ und „Cassandras Traum“ wurden in Großbritannien gedreht und für „Vicky Cristine Barcelona“ zog es Allen in die titelstiftende spanische Metropole. Seinen jetzt auf DVD und Blu-Ray-Disc erhältlichen Film drehte er hingegen wieder in New York und die filmische Rückkehr in die heimischen Gefilden scheint ein künstlerischer Rückschritt zu sein.
Fehlende Überraschungen
Woody Allen holte mit „Whatever Works – Liebe sich wer kann“ ein in den 1970er Jahren geschriebenes Drehbuch wieder aus der Schublade hervor. Diese Zeit gehört zu seinen kommerziell und künstlerisch erfolgreichsten Schaffenszeitraum. In „Der Stadtneurotiker“ (1977) kreierte der Filmemacher die typische männliche Hauptfigur seiner Werke, einen intelligenten, pessimistischen Großstadtbewohner, der ohne den regelmäßigen Besuch beim Psychiater keine sozialen Beziehungen pflegen kann. Auch der für zwei Oscars nominierten Film „Manhattan“ (1979) entstammt Allens erster kreativer Hochphase.
Und nun erscheint „Whatever Works“, der – so wird es kolportiert –nur geringe Änderungen am Drehbuch gegenüber dem Entstehungszeitpunkt aufweist. Auch wenn mit Larry David ein bekannter Schauspieler (Macher und Darsteller der US-Serien „Seinfeld“ und „Lass es, Larry!“) die Hauptrolle übernahm, scheint den ganzen Film über Allen in Davids Körper zu stecken.
Die Hauptfigur ist der klassische Pessimist aus Allens vorherigen Filmen. Neben einem negativen Menschenbild leidet der gescheiterte Physik-Professor Boris auch an eingebildeten Krankheitsbildern und sieht sein eigenes biologisches Ende, welches ja bekanntlich jeden Menschen treffen wird, als Bestätigung für den Unsinn namens Leben.
Viele Worte mit „Wahrheiten“ über das Leben spricht Boris Yellnikoff (Larry David) aus, doch für Melody (Evan Rachel Wood) steckt mehr Wahrheit in ihrem Eis von Ben & Jerry’s.
Wie kann es anders sein, wird sein Leben durch eine junge und für ihn geistig minderbemittelt Frau aus den Südstaaten durcheinandergebracht. Die von Evan Rachel Wood dargestellte Melody ist neu in New York und steht auf einmal vor Boris Tür. Unfreiwillig nimmt er die Südstaatenprinzessin bei sich auf, möchte sie aber so schnell es geht wieder los werden. Doch aus zwei Tagen werden mehr. Boris erweist seine Stadtführungsfähigkeiten – die Sehenswürdigkeiten von Woody Allens Heimatstadt New York werden abgeklappert – und bald sind beide sogar miteinander verheiratet. Und dass obwohl Boris zwei Generationen älter als Melody ist und Sex für ihn keine Rolle mehr spielt.
Als dann Melodys Eltern vor der Tür stehen, erleben die religiösen Südstaatler anfänglich einen Kulturschock bei der Begegnung mit dem liberalen und wenig gottesfürchtigen Ostküstenbewohner. Die urbane Umgebung übt seine Wirkung auf die Eltern aus und dabei ist ein weiteres Mal spürbar, dass Allens Drehbuch aus der Vergangenheit stammt. Melodys Mutter legt ihre spießigen Kostüme ab, kleidet sich einer Künstlerin entsprechend und legt sich in ihrem zweiten Frühling zwei neue Partner gleichzeitig zu. Melodys Vater hingegen erkennt, dass die langjährige Ehe nicht die Erfüllung war, für die er diese hielt. Welche Wandlung der Vater durchmacht, dürfte nicht schwer zu erraten sein.
Zurück nach Europa
Gelangweilt von der Handlung folgt nun ein Blick auf die DVD-Ausstattung. Mit einem rund 15 Minuten langen Interview mit dem Regisseur und dem deutschen Kinotrailer bestückt, kann das Bonusmaterial als gewöhnlich bezeichnet werden. Wiederholt kann nur darauf verwiesen werden, einen Film in der Originalsprache zu sehen. Dies gilt auch für „Whatever Works“. Deutsche Untertitel können dabei zu Rate gezogen werden.
Glücklicherweise drehte Allen die Nachfolgerfilme von „Whatever Works“ wieder in Europa. „You Will meet a Tall Dark Stranger“ wurde in London produziert und erscheint am 2. Dezember 2010 in Deutschland im Kino. Mit Carla Bruni drehte der Filmemacher im Frühjahr „Midnight in Paris“ und bezog dafür auch Quartier in der französischen Hauptstadt. Der Film erscheint im nächsten Jahr im Kino. Und wenn Allens Interviewantwort auf der DVD stimmt, kann sich der Regisseur auch einen Dreh in Deutschland vorstellen. Zwei Bedingungen formuliert er dabei: Die Filmfinanzierung muss stehen und die jeweilige Stadt sollte für drei Monate lebenswert sein. Wenn Allen jetzt auch noch ein neues Drehbuch schreibt, ist er herzlich willkommen. Zwar wird der Film von einigenRezensenten als klassisches und damit auch sehenswertes Werk des Regisseurs bezeichnet, doch mit einer verstaubten Arbeit aus seiner Schreibtischschublade braucht er die Zuschauer meiner Ansicht nach zukünftig nicht mehr unnötig zu behelligen.
Filmdaten:
Titel: Whatever Works – Liebe sich wer kann (englischer Originaltitel: Whatever Works)
USA 2009, 88 Minuten
Regie: Woody Allen
Darsteller: Larry David, Evan Rachel Wood, Patricia Clarkson, Ed Begley, Jr., Conleth Hill, Michael McKean
Deutscher Kinostart: 3.12.2009
DVD- und Blu-Ray-Disc-Verkaufsstart: 24.09.2010
DVD-Bonusmaterial: Interview mit Regisseur Woody Allen (15 Minuten), deutscher Kinotrailer und vier weitere Trailer aus dem Hause Senator Home Entertainment (A Single Man, Che, Mitte Ende August und Nine)
Regisseur Guido Contini (Daniel Day-Lewis) flüchtet regelmäßig zu seinem Mutterersatz, der Kostümbildnerin Lilli (Judi Dench).
„Nine“ (2009) ist die Verfilmung des gleichnamigen Musicals aus dem Jahr 1982, welches wiederum auf den italienischen Film „8 ½“ (1963) rekurriert. Ein Film wird zum Musical wird zum Film. Aber der Reihe nach.
Der Ursprung
Federico Fellini gehört zu den Regisseuren des italienischen Neorealismus. Mit dem Film „8 ½ aka Achteinhalb“ brach er mit seinen vorherigen Werken. Waren diese bisher wirklichkeitsnah und in die Nachkriegszeit einzuordnen, so verschwommen erstmals Traum und Wirklichkeit in einem Kinofilm von Fellini. Die Übergänge waren dabei fließend.
„8 ½“ handelt von den Problemen eines Regisseurs, der seiner Aufgabe einen neuen Film zu inszenieren nicht nachkommen kann. Grund ist seine innere Unruhe und Ideenlosigkeit. Auch wirken sich die unzähligen Affären nicht positiv auf die Stabilität seines Charakters aus. Die Hauptfigur wird von Marcello Mastroianni gespielt und ist eindeutig als Fellinis Alter Ego zu erkennen. (Eine ausführliche Auseinandersetzung mit „8 ½“ kann hier gefunden werden. Der Spielfilm ist auf DVD in der Stadtbibliothek Greifswald erhältlich.)
Seinen Titel erhielt „8 ½“ durch Fellinis Addition seines bisherigen Schaffens. Er drehte bis dahin sechs Spielfilme (=1), zwei Kurzfilme (=0,5) und war bei „Lichter des Variete“ Co-Regisseur (0,5). Vor allem die Film-im-Film-Geschichte von „8 ½“ lässt das Herz eines Cineasten höher schlagen. (Auch „Die Verachtung“ von Jean-Luc Goddard aus dem gleichen Jahr und „Die amerikanische Nacht“ (1973) von François Truffaut behandeln fiktive Filmproduktionsprozesse und sind sehr sehenswert.)
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten
Noch zu Lebzeiten Fellinis wurde in New York ein Musical unter dem Titel „Nine“ aufgeführt. Es hat die gleiche Handlung wie „8 ½“, aber nur mit einem einzelnen männlichen Darsteller und insgesamt 24 weiblichen Figuren besetzt. Das Musical war ein großer Erfolg am Broadway und erlebte bis heute unzählige Wiederaufführungen, beispielsweise war Antonio Banderas in der Rolle des arbeits- und lebensunfähigen Regisseurs zu sehen.
Zurück ins Kino
Nachdem Regisseur Robert Marshall mit „Chicago“ (2002) ein für ein amerikanisches Musical in der heutigen Kinolandschaft sehr hohes Einspielergebnis erzielte und der Film mit insgesamt sechs Oscars – bei 13 Nominierungen – von der Academy of Motion Pictures and Arts ausgezeichnet wurde, drehte er die Romanverfilmung „Die Geisha“ (2005).
Im Scheinwerferlicht des Filmstudios Cinecittà bei Rom stehen die im Leben des Regisseurs wichtigen Frauen.
Als ehemaliger Tänzer, dann Choreograf und Regisseur am Theater und dem Erfolg seiner ersten Musicalverfilmung zog es Marshall wider zu einem musikalischen Stoff. „Nine“ wurde somit seine dritte Regiearbeit.
Die Auflistung der gecasteten Darsteller liest sich eindrucksvoll. In der Hauptrolle als Regisseur Guido Contini ist Daniel Day-Lewis zu sehen. Der gebürtige Engländer füllt die großen Fußstapfen von Marcello Mastroianni in „8 ½“ ohne Zweifel wunderbar aus und scheitert ebenfalls mit seinem Film – mit dem großspurigen Titel „Italia“ – im Film. Die sieben weiblichen Rollen sind mit Marion Cotillard (Ehefrau), Penélope Cruz (Geliebte), Sophia Loren (Mutter), Kate Hudson (verführende Journalistin), Judi Dench (mütterliche Ratgeberin), Nicole Kidman (Muse) und Stacy Ferguson (Glorifizierung kindlicher sexueller Fantasie) namhaft besetzt.
Die bekannten Darsteller können in ihre Rollen nur so gut sein, wie es das Drehbuch vorgab. Wird „Nine“ einzig als Hommage an Fellinis Film verstanden, dass mit Tanz- und Gesangsstücke in einem Filmpaket zusammen geschnürt wurde, dann kann dies nur zwei Gruppen von Filminteressierten zu Beifallsstürmen animieren. Zum Einen die kindlich naiven Filmliebhaber, die mehr in Erinnerung an die gute, alte Zeit fellinischen Schaffens schwelgen. Zum Anderen werden sich mit „Nine“ nur Musicalbegeisterte zufriedengeben, für die „Der König der Löwen“ in Hamburg zu bunt und unrealistisch – weil von der Walt Disney Company mit Tieren als Figuren – ist und die statt dessen lieber das Theaterstück mit Musikeinlagen „Die Dreigroschenoper“ in der Variante (2006) von Klaus Maria Brandauer und Campino als Mackie Messer sehen wollen.
Nicht für zu Hause
Während der 60. Berlinale fand die Deutschlandpremiere des Films statt. Kurze Zeit später lief „Nine“ dann in den Kinos. Aus zwei Gründen verursacht dies Bauchschmerzen. 1. Zur Premiere – die zeitgleich auch Galavorstellung des runden Jubiläums war – sind weder der Regisseur noch die Darsteller erschienen. 2. Die größere Berichterstattung aufgrund der Berlinale-Vorführung wurde als kostenloses Marketing für den folgenden Filmstart verstanden – wie auch bei anderen Filmen, die kurz nach der Vorführung bei Filmfestivals dem zahlenden Publikum gezeigt werden (beispielsweise: „Shutter Island“ und „Vengeance“).
Genützt hat es dem deutschen Filmverleih Senator Film nicht. Nur 34.377 Zuschauer sahen den Film bis Ende März, im Monat April tauchte der Streifen schon gar nicht mehr unter den 100 meistgesehen Filmen in Deutschland auf.
Nun erschien vor kurzem die DVD des Musicals. Wie oben schon geschrieben, ist der Film nur filmverrückten und/oder musicalbesessenen Zuschauern ans Herz zu legen. Das Bonusmaterial ist vor allem auf die zweite Gruppe ausgerichtet. Die elf Musicalnummern lassen sich direkt ansteuern und die Hintergrunddokumentationen und Interviews stellen den musikalischen und tänzerischen Produktionsprozess in den Vordergrund. Neben dem deutschen Ton findet sich auch der englischsprachige Originalton. Eine Selbstverständlichkeit ist dies aber für die DVD-Auswertung eines Films. Genauso konnte der deutsche Filmvertrieb Senator beim Bonusmaterial auf die Arbeit des US-amerikanischen Filmverleihs The Weinstein Company zurückgreifen. Filminteressierte sollten statt auf „Nine“ aber lieber auf „Achteinhalb“ zurückgreifen.
Filmdaten
Titel: Nine (englischsprachiger Titel: Nine)
USA 2009, 114 Minuten
Regie: Rob Marshall
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Marion Cotillard, Penélope Cruz, Sophia Loren, Kate Hudson, Judi Dench, Nicole Kidman, Stacy Ferguson
Deutscher Kinostart: 25.02.2010
DVD- und Blu-Ray-Disc-Verkaufsstart: 27.08.2010
DVD-Bonusmaterial: Vier Featurettes über die Diven des Films, Hautdarsteller Daniel Day-Lewis, den Look des Films und die Musicaltänzer, zwei Choreografien der Stücke „Be Italien“ und „Cinema Italiano“, Musikvideos, Interviews, sieben Kinotrailer für andere Filme der Senator Film (A Single Man, Der Vorleser, Die Eleganz der Madame Michel, Nanny Diaries, Mitte Ende August, Whatever Works und Whisky mit Wodka)
Umay kämpft gegen die eigene Familie, die ihr den Sohn wegnehmen möchte.
Viel Mühe gab sich der Majestic Filmverleih mit der DVD-Ausgabe seines Films „Die Fremde“. Ausschnitte von der diesjährigen Verleihung des Deutschen Filmpreises, dazu noch gesc hnittene Szenen des Film, Interviews mit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli und Feo Aladag, der Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin. Außerdem dazu noch die für eine DVD-Auswertung in Deutschland ungewohnten englischsprachigen Untertitel – neben den obligatorischen in deutscher Sprache. Alles zusammen ist ein wunderbares Gesamtpaket für ein Drama, dessen prognostizierten kommerziellen Erfolgsaussichten nur beschränkt waren. Bis Ende Juni lösten nur 110.669 Zuschauer eine Kinokarte für „Die Fremde“, was vor allem durch die wohlwollende Berichterstattung während der Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin – der Berlinale – und dem zweifachen Gewinn beim Deutschen Filmpreis positiv beeinflusst wurde.
Einen der beiden Preise erhielt Sibel Kekilli als beste Schauspielerin. Die Mitbewerber um den mit 10.000 Euro dotierten Preis waren Corinna Harfouch („This is Love“), Susanne Lothar („Das weiße Band“) und Birgit Minichmayr („Alle Anderen“) und nachdem Christoph Waltz (Oscargewinner für „Inglourious Basterds “) den Umschlag mit dem Namen der Gewinnerin öffnete und selbigen verlas, war Kekilli als einzige der vier Nominierten überrascht. Jedenfalls scheint es so für den Betrachter der auf der DVD enthaltenen Fernsehausschnitts. Die Nicht-Prämierten versteckten ihre mögliche Enttäuschung professionell.
Kekillis Erstaunen darüber, dass die Deutsche Filmakademie sie zur besten Darstellerin kürte, erst verbunden mit einer gespielten körperlichen Starre auf dem Sitzplatz und dann gefolgt von einem impulsiven Lauf auf die Bühne – ohne sich aber vorher des eigenen Schuhwerks zu entledigen – sprühte nur so von selbstdarstellerischen Zügen, die nur noch von der Dankesrede übertroffen wurde. Jedenfalls wenn es um den Moment des Fremdschämens auf Seiten des Publikums und der Zerstörung einer sehr guten schauspielerischen Leistung durch die Aktrice selbst geht. Kekilli übertrieb es mit ihrer Freude. Denn mit der Möglichkeit zu Gewinnen, kann bei nur vier Nominierten gerechnet werden. Auch dürfte Kekilli nicht vergessen haben, dass sie schon für ihre Arbeit in Fatih Akins „Gegen die Wand“ unzählige Darstellerpreise einheimsen konnte. Professionell war ihr Auftritt vor dem eigenen Berufsstand nicht.
In der Dankesrede ging die gebürtige Heilbronnerin auch nur am Rande auf den Film ein, der sie eigentlich erst auf die Bühne der Preisverleihung gebracht hat. Viel mehr nutzte Kekilli den Moment, in dem alle Augen auf sie gerichtet waren, für eine Anbiederung erster Klasse. „Ich will arbeiten“ schrie sie ihren Zuhörern entgegen. In guten Stoffen. Zu den vielen nur wenig beschäftigten Schauspielern gehört Kekilli aber bei weitem nicht. Ein Blick in ihre Filmographie zeigt, dass ihre Mitarbeit in „Gegen die Wand“ und „Die Fremde“ die Ausnahme von der Regel bedeutet. Mehr Masse als Klasse ist darin zu erkennen. Und wer zukünftig als Tatort-Kommissarin in den öffentlich-rechtlichen Himmel der Geborgenheit einziehen darf, dem scheint es mit dem Wunsch nach anspruchsvollen Stoffen nicht wirklich ernst zu sein.
Sibel Kekilli ist ein Mensch und Schauspielerin nur von Beruf. Ein enttäuschender Beigeschmack bleibt aber nach diesem Auftritt. Denn für die Darstellung der Türkin Umay hat sie den Preis verdient. Und Rolle und Schauspieler sind nicht immer deckungsgleich in der Persönlichkeit. Ein ruhigerer Auftritt und der Hinweis, wie schwerwiegend die Thematik des Films „Die Fremde“ ist, hätten mehr Sympathiepunkte gebracht.
Die Fremde in der Familie
Die Handlung des Films verkürzend mit nur einem Schlagwort darzustellen, nämlich Ehrenmord, ist unangebracht. Feo Aladag spricht in einem Interview auch von der Perfidie der Terminologie.
Drei Dinge werden zum Anfang des Films festgehalten. 1. Aus dem Off ist ein „Mama“ zu hören. 2. Ein junger Mann läuft zusammen mit einer jungen Frau auf einem Gehweg. Nach einigen Metern zieht er eine Pistole und richtet diese auf die Frau. 3. Die junge Frau liegt bei einem Frauenarzt auf dem Behandlungsstuhl.
An den Ruf des Kinds wird im Laufe des Films von Seiten des Publikums nicht mehr gedacht. Zu kurz war die Stimme zu hören.
Der junge Mann mit der Pistole stellt sich im Laufe des Films als jüngster Bruder von Umay heraus. Gerade in dem Moment, in dem er schießen könnte, folgt ein Schnitt und es ist klar, dass sich diese Szene zum Ende des Films ereignet, weshalb während des gesamten Films nicht an einen positiven Ausgang der Geschichte zu denken ist.
Mit der Szene beim Frauenarzt setzt die Handlung an der chronologisch ersten Stelle ein. Umay lässt ein Kind abtreiben. Einen Sohn, Cem, hat sie schon von ihrem türkischen Mann. Doch quält sie dieser physisch und die patriarchalische Lebenswelt irgendwo in der Türkei lässt sie nicht glücklich werden. Umay flüchtet mit ihrem Sohn zu ihren Eltern und Geschwistern zurück nach Deutschland. Vor ihrer Hochzeit lebte sie in Berlin als deutsche Türkin.
Keines der Familienmitglieder kann es verstehen, dass sie ihren Mann verlassen hat. Dies gehört sich nicht und bringt nur Schande über die Familie, so der Tenor von allen Seiten. Aber Umay hat sich entschieden. Die Trennung ist nicht rückgängig zu machen. Doch ihre eigene Familie kann ihr aufgrund von äußeren Zwängen keinen Halt und schon gar keine Geborgenheit geben. Umay wird von ihrer Familie verstossen.
Wer alles haben möchte, was man will, erhält meistens nichts. So ergeht es auch Umay. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben ist nicht mit dem Drang ein Teil ihrer Familie bleiben zu wollen vereinbar. Dieser Konflikt löst sich bis zum Ende des Films nicht mehr.
Die Liebesgeschichte gehört nicht zu den Glanzpunkten des Drehbuchs.
Für die große Leinwand gemacht
Ausgangspunkt des Films waren jahrelange Recherchen der Filmemacherin Aladag, bevor das Drehbuch entstand und ohne die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender WDR, RBB und arte und die verschiedenen deutschen Filmförderungseinrichtungen wäre der Film niemals in Produktion gegangen. Dem Werk kann aber keine Fernsehästhetik unterstellt werden, auch wenn „Die Fremde“ von Einigen als „ein typischer deutscher TV-Problemstreifen “ wahrgenommen wird. Die Kameraarbeit, die Montage und auch das Sounddesign entsprechen einem qualitativ höheren Anspruch, als es die meisten Produktionen für kleine Mattscheiben und große Flachbildschirme beherrschen. Den Einsatz von Untertiteln in den türkischen Dialogen gäbe es außerdem in Fernsehproduktionen nicht. Dort sprächen alle Figuren eine Sprache: Die der meist deutschen Zuschauer.
„Die Fremde“ lebt von ihrer Hauptfigur, die mit Sibel Kekilli perfekt besetzt worden ist. Die Nebenrollen sind mit einer Ausnahme ebenfalls glaubwürdig gecastet: Beim ersten Auftritt von Florian Lukas, kann die ihm zugeteilte Rolle und Funktion im Film sogleich erkannt werden. Umay soll sich in ihn verlieben. Einen unbekannteren Darsteller zu besetzen, hätte diesen Drehbucheinfall besser verschleiern können. Lukas ist aber kein Vorwurf zu machen.
Filmdaten
Titel: Die Fremde (englischsprachiger Titel: When We Leave)
DVD-Bonusmaterial: Ausschnitte von der Preisverleihung des Deutschen Filmpreises 2010 (9 Minuten), acht entfallene Szenen, Interviews mit der Hauptdarstellerin und der Regisseurin (10 Minuten), Bildergalerie, der deutsche Original Kinotrailer und der Trailer für einen weiteren Film der Majestic Film (Wüstenblume)