Umay kämpft gegen die eigene Familie, die ihr den Sohn wegnehmen möchte.

Viel Mühe gab sich der Majestic Filmverleih mit der DVD-Ausgabe seines Films „Die Fremde“. Ausschnitte von der diesjährigen Verleihung des Deutschen Filmpreises, dazu noch gesc hnittene Szenen des Film, Interviews mit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli und Feo Aladag, der Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin. Außerdem dazu noch die für eine DVD-Auswertung in Deutschland ungewohnten englischsprachigen Untertitel – neben den obligatorischen in deutscher Sprache. Alles zusammen ist ein wunderbares Gesamtpaket für ein Drama, dessen prognostizierten kommerziellen Erfolgsaussichten nur beschränkt waren. Bis Ende Juni lösten nur 110.669 Zuschauer eine Kinokarte für „Die Fremde“, was vor allem durch die wohlwollende Berichterstattung während der Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin – der Berlinale – und dem zweifachen Gewinn beim Deutschen Filmpreis positiv beeinflusst wurde.

Einen der beiden Preise erhielt Sibel Kekilli als beste Schauspielerin. Die Mitbewerber um den mit 10.000 Euro dotierten Preis waren Corinna Harfouch („This is Love“), Susanne Lothar („Das weiße Band“) und Birgit Minichmayr („Alle Anderen“) und nachdem Christoph Waltz (Oscargewinner für „Inglourious Basterds “) den Umschlag mit dem Namen der Gewinnerin öffnete und selbigen verlas, war Kekilli als einzige der vier Nominierten überrascht. Jedenfalls scheint es so für den Betrachter der auf der DVD enthaltenen Fernsehausschnitts. Die Nicht-Prämierten versteckten ihre mögliche Enttäuschung professionell.

Kekillis Erstaunen darüber, dass die Deutsche Filmakademie sie zur besten Darstellerin kürte, erst verbunden mit einer gespielten körperlichen Starre auf dem Sitzplatz und dann gefolgt von einem impulsiven Lauf auf die Bühne – ohne sich aber vorher des eigenen Schuhwerks zu entledigen – sprühte nur so von selbstdarstellerischen Zügen, die nur noch von der Dankesrede übertroffen wurde. Jedenfalls wenn es um den Moment des Fremdschämens auf Seiten des Publikums und der Zerstörung einer sehr guten schauspielerischen Leistung durch die Aktrice selbst geht. Kekilli übertrieb es mit ihrer Freude. Denn mit der Möglichkeit zu Gewinnen, kann bei nur vier Nominierten gerechnet werden. Auch dürfte Kekilli nicht vergessen haben, dass sie schon für ihre Arbeit in Fatih Akins „Gegen die Wand“ unzählige Darstellerpreise einheimsen konnte. Professionell war ihr Auftritt vor dem eigenen Berufsstand nicht.

In der Dankesrede ging die gebürtige Heilbronnerin auch nur am Rande auf den Film ein, der sie eigentlich erst auf die Bühne der Preisverleihung gebracht hat. Viel mehr nutzte Kekilli den Moment, in dem alle Augen auf sie gerichtet waren, für eine Anbiederung erster Klasse. „Ich will arbeiten“ schrie sie ihren Zuhörern entgegen. In guten Stoffen. Zu den vielen nur wenig beschäftigten Schauspielern gehört Kekilli aber bei weitem nicht. Ein Blick in ihre Filmographie zeigt, dass ihre Mitarbeit in „Gegen die Wand“ und „Die Fremde“ die Ausnahme von der Regel bedeutet. Mehr Masse als Klasse ist darin zu erkennen. Und wer zukünftig als Tatort-Kommissarin in den öffentlich-rechtlichen Himmel der Geborgenheit einziehen darf, dem scheint es mit dem Wunsch nach anspruchsvollen Stoffen nicht wirklich ernst zu sein.

Sibel Kekilli ist ein Mensch und Schauspielerin nur von Beruf. Ein enttäuschender Beigeschmack bleibt aber nach diesem Auftritt. Denn für die Darstellung der Türkin Umay hat sie den Preis verdient. Und Rolle und Schauspieler sind nicht immer deckungsgleich in der Persönlichkeit. Ein ruhigerer Auftritt und der Hinweis, wie schwerwiegend die Thematik des Films „Die Fremde“ ist, hätten mehr Sympathiepunkte gebracht.

Die Fremde in der Familie

Die Handlung des Films verkürzend mit nur einem Schlagwort darzustellen, nämlich Ehrenmord, ist unangebracht. Feo Aladag spricht in einem Interview auch von der Perfidie der Terminologie.

Drei Dinge werden zum Anfang des Films festgehalten. 1. Aus dem Off ist ein „Mama“ zu hören. 2. Ein junger Mann läuft zusammen mit einer jungen Frau auf einem Gehweg. Nach einigen Metern zieht er eine Pistole und richtet diese auf die Frau. 3. Die junge Frau liegt bei einem Frauenarzt auf dem Behandlungsstuhl.

An den Ruf des Kinds wird im Laufe des Films von Seiten des Publikums nicht mehr gedacht. Zu kurz war die Stimme zu hören.

Der junge Mann mit der Pistole stellt sich im Laufe des Films als jüngster Bruder von Umay heraus. Gerade in dem Moment, in dem er schießen könnte, folgt ein Schnitt und es ist klar, dass sich diese Szene zum Ende des Films ereignet, weshalb während des gesamten Films nicht an einen positiven Ausgang der Geschichte zu denken ist.

Mit der Szene beim Frauenarzt setzt die Handlung an der chronologisch ersten Stelle ein. Umay lässt ein Kind abtreiben. Einen Sohn, Cem, hat sie schon von ihrem türkischen Mann. Doch quält sie dieser physisch und die patriarchalische Lebenswelt irgendwo in der Türkei lässt sie nicht glücklich werden. Umay flüchtet mit ihrem Sohn zu ihren Eltern und Geschwistern zurück nach Deutschland. Vor ihrer Hochzeit lebte sie in Berlin als deutsche Türkin.

Keines der Familienmitglieder kann es verstehen, dass sie ihren Mann verlassen hat. Dies gehört sich nicht und bringt nur Schande über die Familie, so der Tenor von allen Seiten. Aber Umay hat sich entschieden. Die Trennung ist nicht rückgängig zu machen. Doch ihre eigene Familie kann ihr aufgrund von äußeren Zwängen keinen Halt und schon gar keine Geborgenheit geben. Umay wird von ihrer Familie verstossen.

Wer alles haben möchte, was man will, erhält meistens nichts. So ergeht es auch Umay. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben ist nicht mit dem Drang ein Teil ihrer Familie bleiben zu wollen vereinbar. Dieser Konflikt löst sich bis zum Ende des Films nicht mehr.

Die Liebesgeschichte gehört nicht zu den Glanzpunkten des Drehbuchs.

Für die große Leinwand gemacht

Ausgangspunkt des Films waren jahrelange Recherchen der Filmemacherin Aladag, bevor das Drehbuch entstand und ohne die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender WDR, RBB und arte und die verschiedenen deutschen Filmförderungseinrichtungen wäre der Film niemals in Produktion gegangen. Dem Werk kann aber keine Fernsehästhetik unterstellt werden, auch wenn „Die Fremde“ von Einigen als „ein typischer deutscher TV-Problemstreifen “ wahrgenommen wird. Die Kameraarbeit, die Montage und auch das Sounddesign entsprechen einem qualitativ höheren Anspruch, als es die meisten Produktionen für kleine Mattscheiben und große Flachbildschirme beherrschen. Den Einsatz von Untertiteln in den türkischen Dialogen gäbe es außerdem in Fernsehproduktionen nicht. Dort sprächen alle Figuren eine Sprache: Die der meist deutschen Zuschauer.

„Die Fremde“ lebt von ihrer Hauptfigur, die mit Sibel Kekilli perfekt besetzt worden ist. Die Nebenrollen sind mit einer Ausnahme ebenfalls glaubwürdig gecastet: Beim ersten Auftritt von Florian Lukas, kann die ihm zugeteilte Rolle und Funktion im Film sogleich erkannt werden. Umay soll sich in ihn verlieben. Einen unbekannteren Darsteller zu besetzen, hätte diesen Drehbucheinfall besser verschleiern können. Lukas ist aber kein Vorwurf zu machen.

Filmdaten

Titel: Die Fremde (englischsprachiger Titel: When We Leave)

Deutschland 2010, 114 Minuten

Regie: Feo Aladag

Darsteller: Sibel Kekilli, Settar Tanriogen, Alwara Höfels, Florian Lukas

Deutscher Kinostart: 11.03.2010

DVD- und Blu-Ray-Disc-Verkaufsstart: 27.08.2010

DVD-Bonusmaterial: Ausschnitte von der Preisverleihung des Deutschen Filmpreises 2010 (9 Minuten), acht entfallene Szenen, Interviews mit der Hauptdarstellerin und der Regisseurin (10 Minuten), Bildergalerie, der deutsche Original Kinotrailer und der Trailer für einen weiteren Film der Majestic Film (Wüstenblume)

Fotos: Majestic Film