Autorinnen: Rebecca Firneburg und Katerina Wagner

Gestern war Michael Tsokos zu Gast in der Greifswalder Stadthalle, um einen True-Crime-Vortrag im Rahmen seines neu erschienenen Thrillers “Zerschunden” zu halten. webmoritz. war für euch vor Ort und hat mit dem Autor auch über seinen Beruf gesprochen.

Tsokos ist der bekannteste deutsche Rechtsmediziner und Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Charité in Berlin. Der gebürtige Kieler hat sich schon früh für die Archäologie interessiert, bis er seine Leidenschaft für die Medizin entdeckt hat. Die perfekte Verbindung dieser beiden Disziplinen ist, wie sich schon im Studium herausstellte, die Rechtsmedizin.

Wie viel Wahrheit in True-Crime by Tsokos wirklich steckt und worum es in “Zerschunden” geht, werdet Ihr nächste Woche hier auf dem webmoritz. erfahren. Heute kommt Ihr vorerst in den Genuss eines Exklusiv-Interviews.

 

Herr Tsokos, ecken Sie manchmal mit Ihrem Beruf an?
Momentan ecke ich nicht mit dem Beruf Rechtsmediziner an, das war aber durchaus vor 20 Jahren noch nicht der Fall.

Sie haben in einem Interview einmal gesagt, dass Sie an das Böse im Menschen glauben. Sind Sie der Auffassung, dass jeder einen Teil des Bösen in sich trägt?
(lacht) Das ist jetzt fast eine philosophische Frage. Sicherlich gibt es irgendwo die Anlage in jedem von uns. Aber sicherlich ist es so, dass die meisten diese Türe geschlossen halten. Aber ich glaube tatsächlich, dass es das Böse im Menschen gibt. Es müssen keine Krankheiten sein, die Verbrechen erklären, sondern manchmal einfach die Lust am Töten.

2015-11-17_Interview Tsokos- magnus Schult

Haben Sie jemals befürchtet, dass Ihr Beruf auf Sie abfärben könnte?
Ich glaube nicht, dass mein Beruf auf mich als Mensch abfärbt. Ich weiß natürlich sehr wohl, wie man das perfekte Verbrechen, den perfekten Mord begehen könnte. Aber das lasse ich in meinem Kopf und würde das auch nicht einsetzten, oder weitergeben. Also, mich selbst hat der Beruf nicht verändert. Im Gegenteil, ich würde sagen, ich bin lebensfroher als vor 20 Jahren.

Hat Ihr Beruf Ihre Sichtweise auf “den Menschen” verändert?
Mein Menschenbild hat sich durch den Beruf des Rechtsmediziners nicht verändert, wohl aber mein Gefahrenbewusstsein. Ich weiß zum Beispiel im Umgang mit meinen Kindern sehr genau, dass Höhe, Stromquellen, Verkehr und Wasser Gefahren darstellen. Da bin ich schon sensibilisiert durch meinen Beruf.

Gibt es Momente, die Sie immer noch betroffen machen?
Das ist natürlich unterschiedlich, kommt drauf an, was man als Rechtsmediziner sieht. Es gibt natürlich Wochen, da ist alles Routine – nullachtfünfzehn. Man obduziert ältere Menschen, die eines natürlichen Todes gestorben sind, ab und zu mal ein Verkehrsunfall. Aber manchmal gibt es natürlich auch tragische Fälle, bei denen Kinder ums Leben kommen, sei es durch Misshandlung oder auch „nur“ durch einen Unfall. Das ist schon etwas, was ich auch nicht einfach im Institut lasse, sondern da habe ich durchaus mal eine Nacht, in der ich aufwache und denke: „Mensch, gut, dass es nicht deine Kinder erwischt hat.“

Wenn man Ihr Schaffen verfolgt, weiß man, dass Kinder Ihnen ja sehr am Herzen liegen. Was ändert sich, wenn so ein kleiner Mensch vor Ihnen auf dem Seziertisch liegt?
Also, das Bild passt einfach nicht, was man da sieht. Nämlich ein ungefähr 60, 70 Zentimeter langes Bündel Mensch auf einem zwei Meter langen Stahltisch. Wenn sie jeden Tag im Sektionssaal arbeiten, dann sind sie gewohnt, dass da Erwachsene liegen. Wenn da ein Kind liegt ist das schon mal etwas anderes. Es ist wirklich ein Unterschied, ob da ein Mensch liegt, der sein Leben noch vor sich hatte, oder ob das jemand ist, der im höheren Lebensalter abtritt. Ersteres hat für mich schon eine besondere Tragik.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit der Zeit abstumpfen?
(sehr bestimmt) Nein! Also da glaube ich, dass ich mich nicht besonders verändert habe oder abgehärtet bin. Ich sehe hinter jedem Tod eine gewisse Tragik. Das darf man nie vergessen.

Vielen Dank, für dieses Interview, Herr Tsokos!

 

Und nicht vergessen: Nächste Woche, selbe Zeit, selber Ort.

Fotos: Jan Magnus Schult