Vom 3. April bis zum 27. Mai findet in diesem Jahr erstmalig der Greifswalder Literaturfrühling statt – neun Autoren aus Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Leipzig lesen dann an fünf verschiedenen Orten in der Fleischervorstadt aus ihren neuesten Büchern. Organisiert wurde das Festival von Kati Mattutat vom Literaturzentrum Vorpommern im Koeppenhaus sowie Erik Münnich vom freiraum-Verlag (Artikelbild). Wiebke Evers und Charlotte Knust vom webMoritz sprach mit ihnen über die Auswahl geeigneter Autoren, Favoriten und das Literaturleben in Greifswald.

webMoritz: Wie ist die Idee für den Literaturfrühling entstanden? Wer hat sich das ausgedacht?

Erik Münnich: Ich hole mal ein bisschen weiter aus: Man hat in der gegenwärtigen Zeit oder auf dem gegenwärtigen Literaturmarkt das Problem, dass viele Lesungen gut laufen – aber sehr viele eben auch nicht.  Man muss schauen, dass man Zuschauer zur Literatur bekommt, vor allem auch was die Größen angeht. Man muss etwas schaffen, das Event-Charakter hat, weil die Leute heute gerne Events haben wollen. Zumal man dann Kosten spart, weil viele zusammenarbeiten können. Man schafft es eben in einem kurzen Zeitraum, viel gute Literatur auch zu bieten.

Wie liefen die Organisation und die Auswahl der Autoren ab? Gab es bestimmte Kriterien?

Kati Mattutat: Ein Kriterium war auf jeden Fall, dass es neue Bücher sein sollten, die, wenn möglich, im Frühjahr erschienen sind. Hier im Koeppenhaus machen wir ja schon seit langem die Nachlese zu der Leipziger Buchmesse und deswegen passte es ganz gut, als Erik mit der Idee zum Literaturfrühling kam. Es passte auch zu unserem Bücher-Frühling. Dafür hatte ich schon einen groben Plan, wen ich einladen wollte. Erik hat dann nach neuen Titeln gesucht und letztendlich kam das dann so zusammen. Die Herausforderung war es dann, noch andere Orte zu finden, weil wir gerne im Stadtteil verbreitete Veranstaltungsorte wollten. Deswegen haben wir dann mit dem Quartiersmanagement gesprochen, die fördern Projekte für die Fleischervorstadt. Der Kontakt baut sich über die Jahre auf. Man lernt sich kennen, schaut vorbei und sagt: ‚Hey, ich hab hier eine Idee.’ Durch das Quartiersbüro rückt man ein bisschen näher zusammen und deswegen gibt es auch so viele Veranstaltungen. Man kennt sich eben und es ist dadurch leichter, etwas zu organisieren.

Haben alle angefragten Autoren auch zugesagt?GreifswalderLiteraturfrühling2014_flyerklein

Münnich: Ja, zu 100 Prozent.

Mattutat: Ja, angefragt und zugesagt (lacht). Die Schwierigkeit war, nur einen Termin zu finden.

Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe, die Sie erreichen wollen?

Mattutat: Also ich will definitiv alle ansprechen, Studenten oder Greifswalder. Von den Gästen kriege ich immer zu hören, dass sie sich freuen, dass das Publikum so gemischt ist. Sie kennen das oft anders, aus dem Münchner Literaturhaus oder Hamburg zum Beispiel, da sind dann schon die Weißhaarigen in der Mehrzahl. Hier ist das immer schön gemischt. Das freut mich sehr.

Münnich: Zumal man am Programm auch sieht, dass wir eine breite Zielgruppe haben. Wir haben eigentlich aus jedem Bereich etwas, ob das Lyrik ist oder Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane …

Mattutat: Sachbuch.

Münnich: Sachbücher, auch politische Literatur kommt nicht zu kurz. Und von daher bieten wir eigentlich für jeden etwas. Auch die Eintrittspreise sind human. Von daher ist es ein literarisches Programm für ein sehr breites Publikum. Die einzige Einschränkung: Die Leute müssen gerne lesen.

Haben Sie sich über die Zusage eines Autors besonders gefreut?

Mattutat: Alle, die man einlädt, sind ja immer Favoriten. Ich kann da jetzt keinen so herausgreifen. Bei Peter Wawerzinek wusste ich, dass das eine gute Lesung wird, weil er 2011 schon einmal hier war. Er hat eine tolle Persönlichkeit, ist sympathisch und lustig. Ein angenehmer Typ, der gut lesen kann. Nicht jeder Autor kann auch gut lesen. Das erfährt man manchmal erst, wenn der Autor auf der Bühne sitzt. Jetzt gibt es häufig im Internet schon Leseproben, in die man mal reinhören kann. Manchmal denk ich dann, ne, den lieber doch nicht. Aber von den ausgewählten Autoren habe ich keinen Liebling. Erik?

Münnich: Uwe Kolbe.

Warum?

Münnich: Er ist ein guter Lyriker.

Mattutat: Der jetzt mal einen Roman geschrieben hat.

Münnich: Ja, jetzt war er auch einmal in einem anderen Bereich tätig. Er hat eine lange Geschichte: Das Verhältnis, was er zur DDR hatte, wie er unter widrigen Umständen trotzdem schreiben konnte. Seine verschlüsselte Sprache – er hat in einem Buch Geheimbotschaften in seinen Gedichten versteckt, die der Zensur nicht zum Opfer gefallen sind. Es ist schon toll, so einen Autor dann mal hier zu haben. Auch Martina Hefter zum Beispiel, eine jüngere Leipziger Autorin, die am Literaturinstitut in Leipzig studiert hat, und Sprachperformance mit Lyrik verbindet. Das ist keine herkömmliche Lesung, sondern mit viel Bewegung. So auch bei Wawerzinek, der ja auch Musikalisches im Programm hatte. Das war ja auch eher spontan, dass dann gesungen und musiziert wurde. Das ist mal ein anderer Rahmen, um Bücher und Literatur zu präsentieren.

Wie war denn die Resonanz zu Peter Wawerzineks Lesung am 3. April?

Mattutat: Die Lesung war mit 90 Leuten ausverkauft. Und mehr geht eigentlich auch nicht. Das war super.

Münnich: Ja, richtig gut. So kann’s weitergehen.

Im Koeppenhaus liest Paulina Schulz am 12. April 20 Uhr aus ihrem Buch "Das Eiland".

Im Koeppenhaus liest Paulina Schulz am 12. April 20 Uhr aus ihrem Buch „Das Eiland“. Im Anschluss spielen Artur & Band im Koeppenhaus.

Soll der Literaturfrühling eine jährliche Veranstaltung werden?

Mattutat: Als Erik mit der Idee kam, haben wir gedacht: Okay wir probieren das mal. Wenn’s gut läuft – was natürlich auch von der Finanzierung abhängt -, soll das der Start von etwas Längerfristigem sein. Dazu brauchen wir aber auch einen guten Zuspruch. Man kann dann auch überlegen, ob man das noch auf die Innenstadt ausweitet.

Münnich: Die Nachfragen haben wir jetzt schon von Veranstaltern, die nicht in der Fleischervorstadt liegen. Es ist vielleicht auch wichtig zu wissen, dass die Fleischervorstadt als Veranstaltungsraum nicht nur ausgewählt wurde, weil es ein toller Stadtteil ist, sondern weil wir aufgrund von Förderungen die Vorgabe haben, die Veranstaltungen in der Fleischervorstadt zu machen. Aber das Konzept ist so angelegt, dass wir Kostenersparnisse aufgrund von effizienter, gemeinsamer bzw. zentraler Organisation haben. Es hängen viele Netzwerke dahinter, es gibt viele Möglichkeiten, Pressearbeit zu betreiben. Aber ein langfristiges Projekt geht nur, wenn am Ende die schwarze Null steht. Es macht keinen Sinn, ein weiteres Literatur-Festival im Land zu machen, das rote Zahlen schreibt. Das Ziel ist es, ein gutes Angebot zu haben, aber auch nicht zu vernachlässigen, dass die Autoren und die Veranstalter  daran verdienen müssen. Wenn das gegeben ist, dann kann man sich darüber verständigen, den Literaturfrühling zu etablieren. Die Resonanz nach der ersten Veranstaltung lässt auf jeden Fall hoffen, dass wir Chancen haben, aber wir müssen erst einmal die weiteren Veranstaltungen abwarten.

Was ist das Neue am Literaturfrühling?

Mattutat: Wir machen hier ja ständig Literaturlesungen. Das Besondere ist jetzt, dass es verschiedene Orte in der Fleischervorstadt sind. Das ist natürlich schön, dadurch gewinnt man auch mal ein anderes Publikum, das vielleicht an die Orte gebunden ist. Das ist eine Chance, neue Gäste für Lesungen oder auch Leser zu gewinnen.

Münnich: Und anders herum: Literatur an Orte zu bringen, wo einem Literatur sonst nicht begegnet. Also zumindest nicht in dem Maße wie beim Festival. Das Geniale ist – warum das meiner Meinung nach auch gut klappen kann –, dass man sich eben kennt, weil die Wege kurz sind, weil man alles schnell und effizient klären kann. Deswegen kann man mehr Augenmerk und Mühe auf das Programm legen und ich denke, das zahlt sich aus.

Was halten Sie vom Literaturleben in Greifswald allgemein?

Mattutat: Ich denke für so eine kleine Stadt hat Greifswald ein erstaunlich gutes Programm, auch hochkarätige Autoren, die herkommen. Wir haben das Glück, dass wir eben die Uni und die 12.000 Studenten haben, die beleben die Stadt.

Münnich: Ich finde das literarische Angebot in Greifswald sehr reichhaltig und vielfältig, aber es wird zu wenig wahrgenommen. Ich bin seit 2005 hier und oftmals ist es bei kleineren Veranstaltungen so, dass immer dasselbe Publikum da ist. Die große Breitenwirkung fehlt, was aber nicht daran liegt, dass das Angebot schlecht ist oder die Vernetzung schlecht läuft, sondern weil der Literaturmarkt an sich eben in einer Krise steckt. Aber Greifswald schafft es dennoch, nicht nur das Programm konstant zu halten, sondern auszubauen. Das finde ich bewundernswert.

Das Interview führten Wiebke Evers und Charlotte Knust.

Fotos: Literaturzentrum Vorpommern (Flyer), freiraum-Verlag (Buchcover) – beide kein CC; Corinna Schlun ( Mattutat und Münnich)