moritz-print-mm76-23-universum-rubrikstarter-bachelor-elisabeth-gebert-alexander-mullerkDer Bachelor wird 2009 zehn Jahre alt. Kein Anlass zum feiern, denn ein Rundblick zum Stand der Dinge an der Universität Greifswald hinterlässt ein düsteres Bild: Studenten beim Lernen für acht Prüfungen innerhalb von vier Tagen, hohe Abbrecherquoten, schlechte Berufsaussichten. Ist der Bachelor ein Fehlgriff oder der richtige Schritt in einer immer mehr Engagement abfordernden Leistungsgesellschaft?

So hatte Fine sich das nicht vorgestellt. Die 20-jährige Bachelorstudentin begann zum vergangenen Wintersemester ihr Studium in Greifswald mit großen Träumen. „Mich reizte ein hohes Maß an Freiheit, Selbstbestimmung, Selbständigkeit und somit Selbstverwirklichung“, erzählt sie, „doch mittlerweile habe ich Zweifel, ob das in meinem Studium wirklich realisierbar ist“. Fine ist mit ihren Sorgen nicht alleine, eine ganze Studentengeneration von Greifswald bis München plagt sich mit knappen Studienordnungen, enormem Prüfungsdruck und fehlendem Durchblick im Abschlussdschungel herum. Ein Gewitter ist über der deutschen Hochschullandschaft aufgezogen und noch weiß niemand, was es anrichten wird.

Modernisierung der Hochschulen

Am 19. Juni 1999 unterzeichnete Deutschland gemeinsam mit 29 anderen europäischen Staaten die Bologna-Erklärung mit dem Ziel, bis 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Leicht verständlich sowie international vergleichbar sollten die neuen Studiengänge werden. Mit der Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse und dem damit einhergehenden European Credit Transfer System (ECTS) sollte die Möglichkeit der flexiblen individuellen Studiengestaltung geschaffen werden, ohne dass der Student Gefahr läuft, beim Studieren das Ziel aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig sollte es möglich sein, frei und ohne Schranken in Europa zu studieren. Ein Semester Paris, ein Semester London und dann zurück nach Greifswald, so lautete der Plan. Im Idealfall hat der Absolvent nach drei Jahren seinen ersten berufsqualifizierenden Abschluss, ist international und praxisnah ausgebildet und kann zügig ins Berufsleben einsteigen oder sich in einem Masterstudiengang spezialisieren.

Mittlerweile sind bundesweit 74 Prozent aller Studiengänge auf das neue System umgestellt, die meisten Bachelors gibt es in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie in Mathematik und den Naturwissenschaften. 30 Prozent aller Studenten in Deutschland studieren bereits auf einen der neuen Abschlüsse hin.

Alles könnte so einfach sein, ist es aber nicht – bei weitem nicht

Die HIS-Studie zur „Entwicklung der Studienabbruchquote an den deutschen Hochschulen“ vom Februar 2008 ergab, dass 30 Prozent aller Bachelorstudenten ihr Studium vorzeitig abbrechen. Betrachtet man alle Abschlüsse insgesamt, liegt der Anteil der Studienabbrecher bei lediglich 21 Prozent. Das Ziel, die Abbrecherzahlen zu reduzieren, wurde weit verfehlt.

War die Reform der deutschen Hochschulen ein Fehler? Oder wurden die guten und durchaus sinnvollen Ideen einfach schlecht umgesetzt? Und wie ist eigentlich die Situation an der Universität Greifswald?

Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität war eine der ersten Hochschulen bundesweit, die ihre Studiengänge auf die neuen Abschlüsse umstellte. Bereits zum Wintersemester 1999 konnten sich Studierwillige in Greifswald als Bachelors immatrikulieren. Mittlerweile sind circa 86 Prozent aller Studiengänge in Greifswald umgestellt, die Lehrämter nicht mit eingerechnet.

Doch glaubt man Professor Martin Meschede, Leiter des Instituts für Geographie und Geologie, sieht es düster aus in den neuen Studiengängen, zumindest an seinem Institut. „Wir haben ohne Not einen guten Diplomabschluss gegen einen schlechteren Bachelor eingetauscht“, konstatiert er ärgerlich. Bei der Einführung des Bachelor of Science Geologie im Jahr 2004 habe er die „dunklen Wolken am Horizont“ schon aufziehen sehen. Eine andere Wahl habe es nicht gegeben. Ohne den neuen Studiengang wäre das Institut wohl eingestampft worden. Fragt man Professor Meschede nach dem heutigen Stand des Bachelors an seinem Institut, fällt sein Fazit ernüchternd aus. Die Prüfungsbelastung sei viel zu hoch, kaum ein Student schaffe sein Studium in der Regelstudienzeit. Er berichtet von Studenten, die sich mit Absicht durch ganze Prüfungen durchfallen lassen, um sie später nochmal schreiben zu können. Von Praxisnähe könne beim Bachelor keine Rede sein, der enge Studienplan lasse kaum Zeit für Praktika. Für den Beruf sei der Geobachelorabsolvent sowieso noch nicht qualifiziert genug, ein Master sei Pflicht.

Auch Fine hat mittlerweile ihre ersten Klausuren hinter sich. „Der vergangene Prüfungsmarathon war eine nervliche und körperliche Tortur, die ein sehr gutes Ergebnis, selbst nach gründlicher Vorbereitung, ausschloss“, konstatiert sie bitter.

Prüfungen, Finanzierung und andere Probleme

Die durchschnittliche Arbeitsbelastung eines Bachelorstudenten beträgt 900 Stunden pro Semester. Eine sehr hohe Zahl, denn viele müssen sich ihr Studium durch einen Nebenjob finanzieren oder arbeiten zusätzlich in den studentischen Gremien. Doch durch das hohe Workload, die vielen Pflichtveranstaltungen und Prüfungen, bleibt immer weniger Zeit für solche Tätigkeiten. Viele Studenten sind finanziell auf die Eltern oder das BAföG angewiesen. Doch im Falle des BAföGs gehen die Probleme erst richtig los, denn das gibt es nur für die Regelstudienzeit. Weitaus schwerwiegender aber ist, dass nach dem vierten Semester ein Leistungsnachweis vom BAföG-Amt verlangt wird. Ganze 120 ECTS Points müssen erreicht worden sein, um weiterhin die staatliche Förderung zu erhalten. Dies entspricht der maximal zu erreichenden Punktzahl in den ersten vier Semestern. Der Antragsteller muss bis zu dem Zeitpunkt also jede einzelne der vielen Prüfungen bestanden haben. „Da gibt es beim Bafögamt keine Kulanz“, berichtet Angelika Meißner, Co-Referentin für Studienfinanzierung beim AStA, „während des Studiums darf man sich keine Fehler erlauben.“ Problematisch sieht sie die ungünstige Modulanordnung, viele Veranstaltungen werden nur einmal im Jahr angeboten. Wer einmal in Rückstand gerät, verliert gleich ein ganzes Jahr. Bis zum Ende des vierten Semesters alle Punkte beisammen zu haben, kann so zu einem großen Problem werden.

Den gewachsenen Leistungsdruck hat auch Christian Krüger von der Psychologischen Beratung des Studentenwerks registriert. Seit Jahren stellt er einen konstant steigenden Bedarf an psychologischer Betreuung in Greifswald fest. So ist die Zahl von 40 beratenen Studenten im Jahr 2001 auf mittlerweile über 180 angestiegen. Interessierte warten bis zu fünf Wochen auf einen Termin. Die Studenten kommen oft mit Problemen wie Zeitmanagement, Leistungsdruck sowie depressiven Verstimmungen in die Beratung. Diese ist zunächst für jeden kostenlos. Zusätzlich werden jedes Semester Workshops angeboten, beispielsweise mit dem Schwerpunkt Lern- und Arbeitsorganisation.

„Die Umstellung auf den Bachelor war ein Fehler“, zu diesem Schluss kommt auch Detlef Jahn, Professor am Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft. Besonders kritisiert er die wegen ihrer Transparenz und Übersichtlichkeit so hochgelobten Module der neuen Studiengänge. Statt für mehr Durchblick zu sorgen, geht der Blick des Studenten nun nur noch strikt geradeaus. Was es links und rechts noch alles zu entdecken gibt, sieht er nicht. „Es ist wie in der Schule. Es gibt einen strikten Plan und von dem kann der Student kaum abweichen“, stellt Jahn fest.

Das grenzenlose Studium?

Verschult, praxisfern, seelisch und körperlich eine Zumutung – ist der Bachelor eine Katastrophe?

Als letzte Rettung bleibt das schrankenlose Studieren in ganz Europa, eines der Hauptanliegen von Bologna. Politisches Ziel ist es, dass einmal 30 Prozent aller Studenten mindestens ein Semester im Ausland verbringen. Im Moment ist man in Greifswald von dieser Marke weit entfernt. In 2007/2008 verbrachten gerademal knapp 300 von insgesamt über 12000 Studenten einen Teil ihres Studiums im Ausland, der bundesdeutsche Schnitt ist ähnlich. Warum entscheiden sich nur so wenige für ein Auslandsstudium, in einer Berufswelt, in der Sprachenkenntnis und Weltoffenheit zu den obersten Einstellungskriterien zählen? Für viele wird die kurze Regelstudienzeit des Bachelors bei der Planung ihres Auslandssemesters zu einem echten Hindernis. Vor diesem Problem stand auch Jenny Eichelhard, Bachelorstudentin für Englisch und Wirtschaft, die gerade ein Semester in Oviedo, Spanien, verbringt. „Durch die verkürzte Studienzeit ist es schwer, einen geeigneten Zeitpunkt für ein Auslandssemester zu finden. Im zweiten Semester ist es et
was früh und danach wird es für die BAföG-Empfänger problematisch, da man nach dem vierten Semester seine Prüfungsergebnisse vorlegen muss“, erklärt Jenny, „ nach dem vierten Semester wiederum verpasst man die Vorbereitungen auf die Bachelorarbeit“. Ihr Problem hat Jenny letztendlich gelöst, indem sie sich für ein Semester hat beurlauben lassen, um in der Regelstudienzeit zu bleiben.

Gesine Roth, Leiterin des Akademischen Auslandsamts, kennt diese Problematik ebenfalls. Mit einer genauen Planung stehe einem Auslandsaufenthalt jedoch nichts im Weg. Letztlich komme es auch auf ein gewisses Maß an Eigeninitiative an. Vielen Studenten fehle der Elan, sich mit dem vorhandenen Angebot auseinanderzusetzen und der Mut, sich für eine gewisse Zeit auf etwas völlig Neues einzulassen. „Die Politik kann sich drehen und wenden, aber am Ende kommt es auf den Einzelnen an“, fordert Gesine Roth bestimmt. Die im Ausland erbrachten Studienleistungen können in der Regel in Greifswald problemlos anerkannt werden, solange sie mit dem entsprechenden Institut vorher abgesprochen worden sind. Maria Trixa, Politik- und Fennistikstudentin, war ein halbes Jahr in Jyväskylä in Finnland, und kann das mit ihren Erfahrungen nur bestätigen. Bei der Zusammenstellung des Auslandsplans musste sie aber genau darauf achten, dass die gewählten Veranstaltungen ungefähr mit ihrer Greifswalder Studienordnung übereinstimmen. Die Erfahrungen, die Maria in Finnland gemacht hat, möchte sie auf keinen Fall mehr missen. „Finnland ist genial. Das Entwickeln von mehr Selbstständigkeit und das Lernen einer neuen Sprache klappt nur im Ausland so gut“, erzählt sie begeistert. Außerdem mache das Erasmus-Programm es einem extrem einfach, den Weg ins Ausland zu finden.

Während der Weg nach Europa relativ leicht ist, stellen sich dem Studenten bei einem Hochschulwechsel innerhalb Deutschlands viel höhere Hürden in den Weg. Wer glaubt, mit seinem Bachelor in der Tasche überall seinen Master machen zu können, irrt sich gewaltig. Zu unterschiedlich sind die Zulassungsvoraussetzungen. Denn Bachelor ist nicht gleich Bachelor. Es gibt Studiengänge mit einem, zwei oder mehr Fächern. Die Studiendauer kann zwei, drei oder vier Jahre betragen. Jede Universität kocht ihr eigenes Süppchen und hält ihre Lösung für die absolut beste. Der Leidtragende ist am Ende der wechselwillige Student. Will der Greifswalder Absolvent des Bachelor of Laws Studiengang seinen Master in Bremen machen, wird ihm das durch die dortige Studienordnung verwehrt. Ein vierjähriger Bachelor wird vorausgesetzt, in Greifswald werden jedoch nur drei Jahre angeboten.

Bleibt die Frage, ob sich der ganze Aufwand am Ende lohnt? Hat der Bachelor Absolvent überhaupt eine Chance auf einen gut bezahlten Job?

Perspektive durch Engagement

moritz-print-mm76-24-bachelor-fazit-maria-trixakSo richtig lassen sich auf diese Fragen keine Antworten finden, für die Personalchefs sind die neuen Abschlüsse noch Neuland. Die großen Absolventenwellen kommen erst noch, dann erst wird sich zeigen, wie gut die neuen Schnellstudenten in der Berufswelt aufgenommen werden. Erste Erfahrungen sammeln konnte bereits das IT-Dienstleistungsunternehmen dr.heydenreich in Greifswald. Seit August 2007 arbeitet dort Tino Langanke, ein Informatik-Bachelor von der FH Stralsund. Bei der Einstellung spielte der Abschluss keine so große Rolle, erzählt sein Chef, Frank Heydenreich. Ihm komme es auf die individuelle Qualifikation und Persönlichkeit an. Ähnliche Erfahrungen hat auch Katarina Sass gemacht. Die Bachelorabsolventin in Germanistik und Geschichte arbeitet als Volontärin bei der Schweriner Volkszeitung. „In meinem Beruf kommt es weniger auf die Art des Abschlusses an, er ist nur die Voraussetzung für ein Volontariat. Der Vorteil des Bachelors jedoch ist, dass man auch mit jungen Jahren schon voll einsteigen kann“, berichtet die 24-Jährige.

Letztendlich ist das neue Studiensystem nur der logische nächste Schritt in einer Gesellschaft, in der alles immer besser und schneller funktionieren muss. In der Bildung nur der Mittel zum Zweck ist, nämlich Leistung bringen. Um in dieser Welt zu bestehen, wird dem Studenten ein hohes Maß an Engagement und Eigeninitiative abverlangt. Anlässlich des Bachelors in seinem gegenwärtigen Zustand das Ende der Geschichte auszurufen, käme sicherlich verfrüht. Doch die Richtung, in die es gehen soll, ist klar vorgeben. Jetzt heißt es für alle Beteiligten, Studenten, Professoren und Politiker, an einem Strang zu ziehen und das Beste daraus zu machen. Erfolgreich ist am Ende derjenige, der sich trotz Widrigkeiten durchsetzt und bereit ist, stets den Schritt nach vorn zu gehen.
Fine jedenfalls möchte ihr Studium auf jeden Fall erfolgreich zu Ende bringen. Zu gespannt ist die Studentin darauf, was sie in den kommenden Semestern noch alles erwartet. Denn eins ist sicher: Einem Gewitter folgen oft die schönsten Sonnentage.

Autoren: Alexander Müller, Maria Strache