Kluge, aber vor allem markige Worte in knappen Sätzen machen das Leitbild einer Institution aus. Auch die Stadt Greifswald hat sich vor mehr als zehn Jahren ein Statement zugeordnet. Nun scheint die Zeit gekommen, Bilanz zu ziehen und den damaligen Konsens zu überprüfen. Im kommenden Jahr soll die Bürgerschaft ein neues Leitbild beschließen.
Für eine professionelle Unterstützung soll dabei die Prognos AG sorgen. Bis März 2010 soll das Berliner Beratungsunternehmen einen Vorschlag erarbeiten, der den Verantwortlichen als Grundlage für ihre Entscheidung dienen kann. Die Stadt betont allerdings in einer kürzlich erschienenen Pressemitteilung, dass Prognos mit „Partnern vor Ort“ eng kooperieren werde.
Quo vadis Gryps?
In einer groß angelegten Veranstaltungsreihe sollen alle örtlichen Einrichtungen und Institutionen, aber auch alle interessierten Bürger eingeladen werden, gemeinsam über die Zukunftsziele der Stadt nachzudenken.
Oberbürgermeister Dr. König
Oberbürgermeister Dr. Arthur König erklärte dazu in der Pressemeldung:
„Das Leitbild muss das beinhalten, was Greifswald anziehend und attraktiv macht, das Besondere herausstellt und die Stadtentwicklung befördert. Es soll zeigen, wo unsere Stärken liegen und wo wir als Stadt künftig unsere Schwerpunkte setzen.“ (mehr …)
In der Ferienzeit passiert zwar weniger als an sonst in Greifswald, aber dennoch gab es in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Ereignissen und Entwicklungen, denen wir uns bisher nicht gewidmet haben – teils, weil sie keinen ganzen Artikel hergaben, teils, weil es an personeller Kapazität in der Redaktion mangelte. Nun stellt der webMoritz die wichtigsten Meldungen aus dieser Zeit in einem Überblick zusammen:
Grüne jetzt feingliedriger
Die Grünen haben sich im Bereich Vorpommern neu aufgestellt. Auf einer Mitgliederversammlung Anfang des Monats in Anklam beschlossen die Mitglieder einstimmig, den bisherigen Kreisverband in zwei neue Verbände aufzuteilen: Einen für Ostvorpommern und einen für Uecker-Randow. Die Grünen wollen damit der Tatsache Rechnung tragen, dass sie ihre Mitgliederzahl und ihre Aktivitäten erhöht haben. So erklären die Greifswalder Grünen die Teilung zumindest auf ihrem Blog. Dass die Grünen trotz Mitgliederzuwachses weiterhin nach Mitstreitern für ihre Ideen suchen, geht aus ihrer Meldung über die Neugliederung ebenfalls hervor.
Noch knapp sieben Wochen trennen uns von der Bundestagswahl am 27. September 2009. Vor wenigen Tagen gab die Pressestelle der Stadt bekannt, wer sich im Wahlkreis 16 (Greifswald, Demmin, Ostvorpommern) um ein Direktmandat bewirbt. Wer vor Ort mit Erstwohnsitz gemeldet ist und dementsprechend seine Kreuze auf der hiesigen Liste macht, wird die Auswahl zwischen acht Kandidaten haben.
Vor fast genau einem Jahr, am 29. August 2008, kam es in Greifswald in der Bleichstraße um 1 Uhr nachts zu der Vergewaltigung einer 31-jährigen Frau.
Phantombild des Täters. Bild: PD Anklam
Bereits am 24. März 2008, gegen 02:45 Uhr, kam es in der Vulkanstraße zur sexuellen Belästigung einer ebenfalls 31-jährigen Studentin. Diese wehrte sich, auch in dem sie den Täter in die Hand biss und ihn anschrie: „Hau ab!“ Nur durch ihre vehemente Gegenwehr liess der Täter von ihr ab.
Die Polizei geht davon aus, dass es sich bei beiden Fällen um den selben Täter handelt. Trotz 300 Hinweisen war keine heiße Spur dabei. Eine DNA-Spur konnte zwar gesichert werden, diese Probe ist aber bisher noch nicht in einer DNA-Datenbanken erfasst.
Bisher ist der Täter also nicht gefasst worden. Daher gelangte der Fall am 5. August in die TV-Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst im ZDF. In der Sendung werden begangene Straftaten vorgestellt und die Bevölkerung um Mithilfe bei der Aufklärung gebeten.
Die Sendung gibt es hier als Mitschnitt zu sehen:
Nach der Sendung gingen neun neue Hinweise bei der Polizei ein. Darunter auch eine mögliche heiße Spur. Ein früher in Greiswald wohnhafter Mann soll auf dem Phantombild erkannt worden sein. Dieser Mann soll sogar polizeilich bekannt sein, bisher aber nicht wegen Sexualdelikten aufgefallen sein.
Der Täter soll zwischen 20 und 30 Jahre alt, ca. 1,80 bis 1,90 m groß und schlank sein und eine athletische Figur haben. Zur Tatzeit im März trug er vermutlich Sport-/Freizeitschuhe und ein dunklen Kapuzenpullover. Sachdienliche Hinweise nimmt die Polizeidirektion Anklam entgegen. Telefon: 03971 – 2510.
Foto Titelseite: Logo der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ – ZDF
Im Rahmen ihrer Sommertour statte Claudia Roth, Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, am vergangenen Dienstag auch Greifswald einen Besuch ab. Hatten die Grünen es bereits im Kommunalwahlkampf geschafft, zwei ihrer Spitzenpolitiker aus Berlin (Özdemir und Trittin) in die vorpommersche Provinz zu locken, zeigten sie damit, dass ihr vielgelobter Wahlkampf am 7. Juni noch kein Ende gefunden hat.
Zu einem Gespräch über den Umgang mit Rechtsextremismus hatte man geladen und betonte, dass es sich dabei nicht um ein Expertengespräch handeln solle, sondern vielmehr um eine Diskussion mit interessierten Bürgern. Beide Gruppen blieben jedoch der Veranstaltung zu großen Teilen fern. Ein knappes Dutzend Grüner und die gleiche Anzahl an Journalisten blieben im Museumshafen weitestgehend unter sich. Nach etwa 30 Minuten hatten sich auch die Reporter größtenteils verzogen, dafür rückten gegen Ende der Veranstaltung einige Touristen nach, die das prominente Gesicht erkannten.
„Jetzt erklärt mir mal wo ich hier bin!“
Claudia Roth (l). und Regina Krüger-Finke
Betont freundlich begrüßte Claudia Roth die Anwesenden und bat erstmal um eine Ortsbeschreibung. Für einen Stadtrundgang war der Bundestagsabgeordneten wohl im Vorfeld keine Zeit geblieben. Sie erinnerte sie sich jedoch, vor mehreren Jahren bereits Greifswald besucht zu haben.
Nach der Klärung der Ortsfrage und allen wichtigen Basisinformationen zur Marienkäferplage eröffnete sie die Diskussionsrunde mit einigen Erlebnisberichten rund um den Rechtsextremismus in Deutschland und zog Vergleiche zwischen Mecklenburg-Vorpommern und anderen Bundesländern. Riss Themenfelder wie NPD, freie Kameradschaften, rechten Vandalismus und die Rostocker Hooligan-Szene an. Sie warnte davor, das Problem zu verharmlosen, auch vor dem Ausgrenzen der Rechtsextremen: „Die Nazis haben ein langfristiges Konzept: Kampf um Straßen, um Köpfe, um Parlamente. (…) Es muss also eine kontinuierliche und langfristige Auseinandersetzung mit ihnen geben. Ich werfe der Bundesregierung vor, dass sie zugelassen hat, dass gute Projekte vor dem Aus stehen.“
Gemeinsam mit Regina Krüger-Finke vom Regionalzentrum für demokratische Kultur Südvorpommern sprach Claudia Roth über die Unterschiede zwischen dem Rechtsextremismus in MV und in Bayern. Beide Länder, so Roth, wiesen die größten Zustimmungsraten zu rechtsextremen Thesen in der Bevölkerung auf.
„Ick werd nich jerne totjequatscht“
Vor der hitzigen Diskussion noch ein freundliches Shakehands: Jürgen van Raemdonck und Claudia Roth
Ein wenig Leben in die Diskussion brachte der anwesende Landwirt Jürgen van Raemdonck aus dem Greifswalder Umland, der mit Berliner Zungenschlag unfreundlich bis patzig forderte, die Grüne Parteivorsitzende möge doch auch mal die anderen, insbesondere ihn selbst, zu Wort kommen lassen. Claudia Roth war sichtlich „not amused“ und nach einem kurzen Wortgefecht zog sie sich für eine Weile aus dem Gespräch zurück. Van Raemdonck, der für das Willi-Weise-Projekt im September für den Bundestag kandidiert, zog in dieser Zeit die Diskussion an sich. Er kritisierte die Grünen seien mit ihrer „kruden und krassen Politik“ eine Ursache des Rechtsextremismus. Die Partei hätte jahrelang die größtmögliche Konfrontation mit den Rechten gesucht, statt auf die Ursachen und Bedürfnisse der Bürger einzugehen.
Der ehemalige Grüne brachte die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder mit der derzeitigen Wirtschaftskrise in Zusammenhang und griff die Parteivorsitzende für die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 an. Die Gesetzgebung dieser Jahre habe maßgeblich dazu beigetragen die äußeren Umstände für die Bürger zu verschlechtern und so den ideologischen Rattenfängern Tür und Tor zu öffnen. Claudia Roth wies diese Vorwürfe naturgemäß zurück. Jürgen van Raemdonck selbst beschrieb, wie er in seinem sozialen Umfeld versuche auch latent Rechtsextremen ein „guter Nachbar“ zu sein, den Leuten zu helfen, sie auch beispielsweise bei Behördengängen zu unterstützen.
Ein anderer Anwesender kritisierte die Demokratie als Regierungssystem, sei an sich deutlich zu hierarchisch angelegt und bilde damit einen guten Nährboden für rechtsextreme Ideologien, von den anderen anwesenden wurde dieser Einwurf jedoch nur geringfügig ernstgenommen.
Dorfmanager
Konkret wurde es nur noch mal gegen Ende der Debatte, als der omnipräsente Sebastian Jabbusch vorschlug, das Land solle doch eine Reihe von „Dorfmanagern“ einstellen, die sich in den dünn besiedelten Gebieten MVs um die Einwohner „kümmern“ sollen. Dazu sollten gesellschaftliche, kulturelle und Sportveranstaltungen organisiert werden, die den Kameradschaften und der NPD das Wasser abgraben könnten. In der DDR, so wurde der Vorschlag begründet, habe man sich deutlich mehr um den Einzelnen gekümmert. Nach der Wende seien viele Menschen in ein gesellschaftliches Loch gefallen, als in den ländlichen Gebieten Angebote wegbrachen.
Schließlich wurde dieser Vorschlag aber nicht ausdiskutiert, sondern mehr als guter Ansatz abgenickt. Nach zwei Stunden endete das Gespräch, das ein bloßer Gedankenaustausch blieb, aber kaum Konkretes hervorbrachte. Zum Ende wurde Claudia Roth noch über die derzeit laufende Arndt-Debatte informiert, dann ging es für die Abgeordnete auch schon weiter nach Prora und später nach Stralsund.
Ein Kommentar von Carsten Schönebeck
Spannende Ansatzpunkte boten sich nach der ersten halben Stunde des Gesprächs zur Genüge. Wie weit darf man mit Rechtsextremen in Dialog treten? Welche Gründe kann es für dieses Gedankengut geben, wenn ganz unterschiedliche Bundesländer mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben? Was kann man konkret gegen die Vereinnahmung von Jugendlichen durch die NPD tun?
Leider verpasste die Runde, mangels Struktur und Gesprächsleitung, die Chance und ging auf keinen dieser Punkte intensiver ein. Stattdessen drehte man sich klischeehaft betroffen darum, diese Fragen im Gespräch immer neu zu formulieren, historische Anknüpfungspunkte für rechte Gewalt im vorpommerschen Junckertum zu finden, den kritisierten Begriff „Kampf gegen Rechts“ als „nichts Martialisches“ zu definieren oder auch, mehr oder weniger aufgebracht, allgemeine Floskeln abzusondern.
Es bleibt der Beigeschmack der Wahlkampfveranstaltung, die aber mangels Beteiligung eher dürftig verlief. Sicher lässt sich jedoch feststellen, dass Frau Roth, wie auch ein Großteil der Beteiligten, nach zwei Stunden stereotyper Luftblase deutlich ruhiger schlafen können – man hat ja mal darüber gesprochen.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat sich während eines Besuchs in Mecklenburg-Vorpommern gegen das geplante Kohlekraftwerk in Lubmin ausgesprochen. Agenturmeldungen zufolge sagte Gabriel am Rande einer Segeltour um Rügen: „Den Standort Lubmin halte ich für hochproblematisch.“ Der Minister kritisierte vor allem, dass der dänische Konzern Dong Energy in Lubmin ein Kohlekraftwerk ohne Kraft-Wärme-Kopplung plane, was in seinem Heimatland verboten sei. In Deutschland ist das allerdings prinzipiell gesetzmäßig.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel
Der Verzicht auf Kraft-Wärme-Kopplung bedeutet, dass die im Kraftwerk produzierte Wärme nicht angemessen verwertet wird. Das könnte zum Beispiel durch Fernwärmeversorgung angrenzender Städte und Dörfer oder durch industrielle Großabnehmer von Wärme passieren. Im vergangenen Oktober hatte der dänische Konzern kurzfristig Planungen für eine Fernwärmeversorgung Greifswalds durch das neue Kraftwerk von Lubmin aus vorgestellt. Diese hatten erst für Verwunderung gesorgt und waren anschließend stillschweigend wieder begraben worden.
Die Äußerungen von Sigmar Gabriel sind aber nicht als eindeutige Absage an den Standort Lubmin und auch nicht als vollständige Absage an Kohlekraft zu verstehen. Weder sagte Gabriel, das Kraftwerk dürfe nicht gebaut werden, noch ließ er es aus, darauf hinzuweisen, dass er die Kohlekraft und auch den Neubau von solchen Kraftwerken derzeit noch für unverzichtbar hält.
Fotomontage des geplanten Kraftwerks auf der Betreiber-Homepage.
Letztgenannte Äußerungen stehen in direkter Nachfolge eines Briefes, den Gabriel vor wenigen Tagen als Antwort auf ein Protestschreiben von Gegnern neuer Kohlekraftwerke geschrieben hatte und dessen vollständiger Wortlaut auf Greifswalder Blogs hier und hier nachgelesen werden kann. Einen Auszug zitieren wir:
„Sie sehen bei diesen Zielen keinen Platz für neue Kohlekraftwerke, sondern fordern stattdessen, dass neben den erneuerbaren Energien nur noch Gaskraftwerke mit Kraft-Wärme-Koppelung erlaubt sein sollen. Diese Einschätzung teile ich so nicht. Denn nach meiner festen Überzeugung werden wir für eine Übergangsphase noch einige neue Kohlekraftwerke brauchen, und zwar aus zwei Gründen:
Zum einen ist die Erzeugung von Strom in Gaskraftwerken deutlich teurer als in Kohlekraftwerken. Deshalb können Gaskraftwerke im Markt die alten, ineffizienten Kohlekraftwerke nicht verdrängen. Für den schrittweisen Übergang zu einer höheren Energieeffizienz und einem höheren Anteil erneuerbarer Energien sind daher hoch effiziente und regelbare Kohlekraftwerke eine wichtige Brückentechnologie. Wichtig ist dabei, dass hoch effiziente neue Kraftwerke (möglichst mit Kraft-Wärme-Kopplung) ineffiziente alte Kraftwerke ersetzen. So stellen wir sicher, dass unsere ambitionierten Klimaziele nicht gefährdet sind.
Zum anderen gibt der Emissionshandel einen strengen Rahmen vor: […]“
Bei einer Bewertung von Gabriels neuen Äußerungen muss überdies beachtet werden, dass er sich derzeit auf einer Sommerreise befindet und zudem die Bundestagswahlen bevorstehen. Es gilt also einerseits zu berücksichtigen, dass Gabriel derzeit vor allem Wahlkampf macht und dass naturgemäß noch nicht feststeht, ob er über diese Legislaturperiode hinaus Bundesumweltminister bleiben wird.
Bilder: User Marcello Casal via Wikimedia (Porträt); Screenshot der Betreiber-Homepage