von Archiv | 23.01.2006
Steven Soderbergh revolutioniert Seh- und Kaufgewohnheiten
Welch paradiesische Zustände scheinen ab dem 31. Januar dieses Jahres in den USA möglich. Der filmbegeisterte Konsument erhält drei Möglichkeiten den nagelneuen Kinofilm „Bubble“ zu sehen: Er kann sich zwischen dem Kinobesuch, dem Kauf der DVD oder der Pay–Per–View–Ausstrahlung entscheiden.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Filmfirma ihr Produkt zeitgleich in allen Verwertungsstufen an die Käufer bringen möchte. Doch hinter diesem Plan entdeckt man eine bedeutende Persönlichkeit aus der Unterhaltungsbranche: Steven Soderbergh. Der US-amerikanische Regisseur und Produzent war sowohl für Box-Office-Erfolge wie „Ocean‘s Eleven“ und deren Fortsetzung, „Out of Sight“ und „Erin Brokovich“, als auch für künstlerische Werke wie „Sex, Lügen und Video“ und „Traffic“ verantwortlich. Dass sich der Oscar-Gewinner jetzt an diesem Experiment der Filmauswertung beteiligt hat, sorgte in der Filmindustrie für Verwunderung, aber auch Anerkennung.
„Bubble“ erzählt die Geschichte der Einwohner einer Stadt im US-Bundesstaat Ohio und deren mysteriösen Erlebnisse in der örtlichen Spielzeugfabrik. Regisseur Soderbergh bediente sich ausschließlich Laienschauspieler und drehte seinen Film in nur drei Wochen mit Digitalkameras ab. Beides ermöglichte eine kostengünstige Filmproduktion.
Im Hintergrund agierten Mark Cuban und Todd Wagner. Sie sind Inhaber einer Filmproduktionsfirma, eines Filmverleihs, einer Kinotheaterkette und verfügen über Verträge mit einem Fernsehkanal und einem DVD-Vertrieb.
Bis in die 1950er Jahre sorgte allein die Kinoauswertung für die Erlöse einer Kinoproduktion. Durch technische Innovationen kamen neue Auswertungsarten hinzu. Die wirtschaftliche Verwertung des Produkts Film durch Kinotheater sorgt heute nur noch für rund 20 Prozent der Erlöse. Über die Hälfte entstehen durch die Zweitauswertung auf DVD. Die restlichen Einnahmen fließen durch den Verkauf der Fernsehrechte und Merchandising hinzu. Zwischen den Nutzungsstufen bestanden relativ feste und exklusive Zeitfenster der Auswertung. Erst der Kinostart, danach die Veröffentlichung auf Video und DVD, dann Pay–Per–View und Pay–TV und zum Schluss die Ausstrahlung im Free–TV. Dies ermöglichte jedem Teil der Auswertungskette, Einnahmen zu erzielen. In den letzen Jahren ist vor allem eine Verkürzung der einzelnen Auswertungsfenster zu beobachten.
Nur vier Monate nach dem Kinostart erschien zum Beispiel der Film „Sin City“ auf DVD. Den deutschen Kinoketten war dies zu früh – die Comic-Verfilmung wurde boykottiert und erst Nachverhandlungen führten zu einem Kinostart bei den drei großen Kinoketten.
Im Jahr 2005 hatte die Filmindustrie auch noch mit sinkenden Kinobesucherzahlen zu kämpfen. Das Markforschungsinstitut Nielsen EDI zählte für das vergangene Jahr nur 121 Millionen gelöste Kinokarten in Deutschland. Mit diesem Rückgang von 20,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr steht Deutschland nicht allein dar. Auch in der umsatzmäßig größten Kino-Nation der Welt, den USA, wurden rund 11 Prozent weniger Kinotickets verkauft. Parallel dazu ist der DVD-Markt in den letzten Jahren unaufhaltsam gewachsen. Neue Filme erzielen gegenüber dem Kinorelease nicht nur höhere Einnahmen, sondern auch das Erscheinen von unzähligen älteren Filmen und Serien ermöglicht stetigen Cash-Flow. Schon wird davon ausgegangen, dass Soderberghs Film „Bubble“ eine ebenso starke Veränderung der Filmindustrie einläuten wird, wie das Ende des Stummfilms durch den ersten Tonfilm „The Jazz Singer“ im Jahr 1927.
Durch kostengünstige Home-Entertainment-Systeme wird heutzutage aus jedem Wohnzimmer ein kleiner Filmpalast. Hinzu kommen die seit Jahren sinkenden Preise für DVDs, die den Aufbau einer persönlichen Filmbibliothek ermöglichen. Wer die heimischen vier Wände verlässt, um einen Film im Kino zu sehen, dem müssen schon gute Argumente geliefert werden. Die meisten Kinofilme sind sehr schnell illegal und wenige Monate später auch legal erhältlich. Auch die Produzenten haben an dem day-and-date-Erscheinen ein Interesse: einmalige Marketingausgaben anstatt für jede Auswertungsart einzeln, dem illegalen Verkauf kann ein Riegel vorgeschoben werden und vor allem kleinere Low-Budget und Independent-Produktionen kommen sofort an mehr Interessierte heran.
Wenn die zeitgleiche Auswertung eines Filmes von den Kinos nicht als Konkurrenz verstanden wird, sondern als Möglichkeit, die Vorteile eines Kinobesuchs herauszustellen, mag Soderbergh ein Wegbereiter sein. Bei Erfolg plant er nämlich schon weitere Kinofilme für die gleichzeitige Auswer-tung. Sein gerade abgedrehter Spielfilm „The Good German“ mit George Clooney in der Hauptrolle läuft jedenfalls erst einmal exklusiv im Kino.
Geschrieben von Björn Buß
von Archiv | 23.01.2006
Und szenisch grüßt der Ludwig. Welcher? Natürlich Ludwig Wittgenstein. Der schwedische Regisseur und Schauspieler Peter Dalle nimmt in seinem ersten Kinofilm „Verschwörung im Berlin-Express“ den Philosophen beim Wort: Nichts ist scheinbar wie es ist.
Im Winter 1945 reisen der ehemalige Literaturkritiker Gunnar, der zynische Arzt Henry, seine Ehefrau Karin und die Geliebte Marie, ein exzentrisches Schwulenpärchen, zwei Nonnen, eine Gruppe baltischer Flüchtlinge und ein witziger, wenn auch verwundeter Soldat mit dem Zug von Stockholm nonstop nach Berlin. Das 96-minütige Gedankenexperiment gewinnt immer schelmischere Züge, je weiter die Bahn auf das Nachkriegs-Berlin zurollt.
Der Zauberlehrling Peter Dalle ahmt sein Vorbild Hitchcock in ausgesuchten Nahaufnahmen sicher nach, hält das Genre aber bewusst-raffiniert zwischen Thriller und Komödie offen und schafft es dabei, die alten Zeiten des schwedischen Schwarz-Weiß-Films der 40er und 50er Jahre wieder zu beleben. Sprachlich sei daher für alle DVD-Fans, die nicht des Schwedischen mächtig sind, die Originalfassung mit deutschem Untertitel empfohlen. Der mit ausgesuchten Schauspielern besetzte, innerhalb eines Monats abgedrehte Streifen besitzt ein besonderes ideengeschichtliches Gewicht, indem er den Wiederaufbau Europas nach 1945 aus schwedischer Sicht nachgezeichnet. Die Frage, ob nicht vielleicht Wittgensteins Zitat im Film oder heute im allgemeinen noch zutrifft, steht im Raum. Was für ein geschickter cineastischer Schachzug, Herr Dalle!
Geschrieben von Uwe Roßner
von Archiv | 23.01.2006
Lost – 1. Staffel
48 Menschen überleben einen Flugzeug-absturz und stranden auf einer Insel. Das mag sich zunächst wie ein weiteres Remake von „Herr der Fliegen“, „Cast Away“ oder „Robinson Crusoe“ anhören und doch ist „Lost“ anders.
Mit jeder der 25 Folgen wird die Vergangenheit eines anderen Passagiers beleuchtet und die Geschichte, die ihn auf diese scheinbar verwunschene Insel verschlagen hat. Doch damit nicht genug, offenbart auch die Insel selbst immer mehr von ihrem düsteren Geheimnis. Von Eisbären mitten im Pazifik bis hin zu abgestürzten Flugzeugen voller Drogen – diese Insel scheint wahrlich nicht normal. Und dies ist durchaus gewollt: Regisseur und Entwickler J. J. Abrams, der demnächst mit „Mission: Impossible 3“ in die Kinos kommt, wollte der Insel „einen eigenen Charakter verleihen“. Dies gelingt ihm durch nervenzerreißende Musik und sehr gute Kameraeinstellungen, die von wild verwackelt bis zu entspannten Panoramaaufnahmen reichen. Seit Dezember gibt es die erste Staffel nun auf sieben DVDs zu kaufen, deren Menüdesign genauso psychotisch unterlegt und stellenweise ebenso still beruhigend ist, wie die Serie selbst. Für rund 45 Euro erhält man so 25-mal Spannung pur, der es lediglich an etwas Bonusmaterial fehlt. Die Handlung ist stark in einander verstrickt und wird Stück für Stück entwirrt, was am Ende ein detailliertes Puzzle an sozialen Beziehungen ergibt. Innovativ, qualitativ hochwertig und super spannend ist Lost auch für Nichtsammler zu empfehlen.
Geschrieben von Joel Kaczmarek
von Archiv | 23.01.2006
Deutschland ist Export-weltmeister? Nicht in jeder Hinsicht! Denn gerade beim Jazz hapert es kräftig. Die Musikerausbildung mag zwar auf einem hohen Niveau sein, international durchschlagende Ergebnisse fallen vergleichsweise eher recht bescheiden aus. Mit dem kürzlich verstorbenen Posaunisten Albert Mangelsdorff, dem Pianisten Joachim Kühn und der Formation „Der rote Bereich“ leuchten die ersten Hoffnungslichter am deutschen Jazzhimmel.
Künftig sollen es mehr werden. Das Label ACT will mit der Reihe „Young German Jazz“ Schule machen. Studiert, mit Bühnenerfahrung und verkaufbarem Künstlerkonzept treten die ersten Unter-dreißig-Jährigen zur Begründung ihrer eigenen musikalischen Tradition an. „[em]“ alias Michael Wollny (Klavier), Eva Kruse (Bass) und Eric Schaefer (Schlagzeug) sind ein erstes gutes Beispiel. Auf der Debütplatte „Call it [em]“ knistert und streicht es. Eröffnet wird mit „Wakey, Wakey“, einer prasselnden Klangwolke, der sich das groovige „The Mean Spider of Tandorine“ anschließt. Insgesamt legt das komponierende Trio ein prickelndes, liebenswert experimentelles Album vor. Wer mystische Ruhe sucht, befindet sich inmitten eines flackernden Großstadttaumels. Nur eine deutliche Richtung gibt es: weg vom Mainstream. Nun gut, klingt auch ein bisschen erzwungen. Wer es ganz genau wissen will, kann die Formation am 8. Februar im Rostocker Kleinkunsttheater „Ursprung“ erleben.
Geschrieben von Uwe Roßner
von Archiv | 23.01.2006
Zurücklehnen, Augen zu und einfach genießen – das gilt für alle Alben der britischen Erfolgsband Coldplay.
Unter den Fans ist indes die Frage nach der gelungensten Platte der Band umstritten: Ist es das Debütalbum „Parachutes“ mit dem Hit „Yellow“, das 2002 erschienene Album „A Rush Of Blood To The Head“ oder das aktuelle Werk „X & Y“? Meine eindeutige Nummer 1 ist „A Rush Of Blood To The Head“.
Selten bietet eine CD so viel Gefühl, Wärme und Herz. Traurig-schöne Lieder mit lyrischen Texten zelebrieren eine bewegende Atmosphäre. Die Platte verzaubert durch herausragende Kompositionen und Melodien sowie durch eine perfekte Symbiose aus Piano- und Akustikgitarrenklängen und einen trockenen Schlagzeugsound. Hinzu kommen die unverwechselbare Stimme Chris Martins und die sphärisch-streicherartigen Klänge, die die Songs in mitreißend luftige Höhen heben. Jeder dieser zeitlos schönen Songs hat seinen eigenen Reiz, von deren Qualität sich, ähnlich wie bei einem schüchternen Mädchen, bei jedem erneuten Aufeinandertreffen ein bisschen mehr zeigt. Vom monumentalen Intro „Politik“, über Single-Hits „In My Place“, „The Scientist“ oder „Clocks“ bis hin zu den ausdrucksstarken Traumballaden „Warning Sign“ oder „Amsterdam“ ist diese Platte purer Hörgenuss und Pflichtbestandteil jeder gut sortierten Plattensammlung.
Geschrieben von Grit Preibisch