von Adrian Siegler | 26.05.2021
Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit Mode. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über viel zu enge T-Shirts auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier.
Doch bevor ich mit dem Artikel starten möchte, zuerst etwas in eigener Sache: Ich suche seit Tagen nach meinem guten Freund Jens. Er geht nicht an sein Telefon und ich kann ihn nicht erreichen. Lasst ihn mich beschreiben. Er sieht eigentlich sehr außergewöhnlich aus und man sollte ihn gut erkennen können. Er ist Anfang 20, circa 1,85m groß und hat kurze, lockige Haare. Er trägt in der Regel eine zu enge Cargo-Hose, Nike Airs, einen Hoodie oder eine Daunenjacke von seiner Lieblings-Modemarke mit dem Logo als All-Over Print und auf dem Kopf trägt er oft eine einfache Cap der gleichen Marke.
Falls ihr in den letzten Tagen das Haus verlassen haben solltet und euch jetzt die Befürchtung überkommt, „Verdammt, ich habe Jens gestern bestimmt achtmal gesehen“, dann spricht dieser Artikel euch hoffentlich aus der Seele.
Wieso so oberflächlich?
Mode ist ein ziemlich heikles Thema, bei dem die Meinungen schnell auseinander gehen können. Auch interessiert sich gar nicht jede*r für Mode, obwohl sie doch jede*r trägt. Ich persönlich sehe in unseren Klamotten eine weitere Möglichkeit seinem Inneren Ausdruck zu verleihen. Ähnlich wie mit der Frisur, Körperschmuck oder Tattoos. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Hosen und Pullover schneller zu wechseln sind als ein Haarschnitt, meist billiger als ein Tattoo sind und je nach Jahreszeit euren ganzen Körper schmücken können.
„…anytime you’re putting barriers up in your own life, you’re just limiting yourself. There’s so much joy to be had in playing with clothes.“ – Harry Styles 2020
Der Wunsch nach Individualität ist mit der stetig wachsenden und sich ständig innovierenden Modebranche größer als je zuvor. Es gibt heute nicht mehr nur den einen Trend, dem jede*r hinterherlaufen muss. Die generelle Perspektive hat sich stark geändert, sodass es nun sehr viele parallele Styles und Ästhetiken gibt, an denen sich die Allgemeinheit bedienen kann. Mode ist irgendwo ein Drahtseilakt zwischen Aussehen und Komfort. Wenn meine Klamotten so gemütlich sind wie ein Kängurubeutel, ich aber auch damit aussehe wie ein Känguru, fühl ich mich am Ende des Tages tendenziell trotzdem nicht wohl. Auf der anderen Seite sind die Fetzen, die wir uns täglich überwerfen, für genau den Zweck gemacht, unsere Körper zu bedecken, warm zu halten und vor Witterung zu schützen.
Hot Take:
„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ – Karl Lagerfeld 2012
Aus einer Hose, welche für Tragekomfort und sportliche Aktivitäten entwickelt wurde, machen viele Menschen heutzutage einen festen Teil ihrer Alltagsgarderobe. Ein Trend, der Diversität in die Modewelt bringt, mich aber nach wie vor abschreckt. Ich selbst trage fast nie Jogginghosen und wenn doch, stelle ich sicher, dass ich in ihnen nicht das Haus verlasse. Die Jogginghose gibt mir einfach das Gefühl noch etwas träger und langsamer zu sein, als es ich es im Lockdown sowieso schon bin. Ich fühl mich einfach nicht wohl und kann auch nur bedingt nachvollziehen, wie sich andere darin wohlfühlen.
„Wie viel ist dein Outfit wert?“
Ich habe keine Ahnung und es ist mir auch absolut egal. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber wie teuer meine Klamotten waren und der Preis spielt natürlich immer eine Rolle. Jedoch ist dieses Zitat in meinen Augen sehr aussagekräftig für eine höchst unangenehme und unsympathische Subkultur, die sich in den letzten Jahren vorwiegend über Social Media ausgebreitet hat. Hierbei steht im Vordergrund, wie teuer das Outfit ist, während das eigentliche Aussehen, der Komfort oder die allgemeine Kohärenz Zuhause bleiben (wie es auch die Jogginghose tun sollte). Es gilt möglichst aufzufallen. Dass das Ergebnis dabei aussieht wie eine missglückte Fusion aus Lil-Wayne und meinem ersten Schultag bleibt zweitrangig.
Angst?
Trends kommen und gehen, heißt es immer. Aber warum gibt es sie überhaupt? Meist kommt ein*e Modedesigner*in mit einer guten, neuen, innovativen Idee um die Ecke, die bei der Masse auf Anklang stößt. Und zirka eine Kollektion später haben so ziemlich alle Modehäuser und Designer eine sehr, sehr ähnliche, innovative, neue, gute Idee. Und weil die Idee so gut, neu und innovativ ist, möchte natürlich niemand der Trottel sein, der nicht auch von der Idee überzeugt ist.
Als Beispiel möchte ich nochmal den anfangs angeschnittenen Trend der Cargo-Hosen anführen. Vor noch nicht mal 10 Jahren galt es schon fast als Fashion-Sünde mit einer solchen Hose rumzulaufen und heute möge man mir eine namhafte Marke nennen, die im Jahr 2020 keine Cargo-Hose in ihrer Kollektion hatte.
Ich möchte damit nicht sagen, dass die Cargo-Hose nicht modisch ist oder sie niemand tragen sollte. Ich möchte vielmehr sagen, dass nicht jede*r eine tragen sollte. Ihr solltet vielmehr kaufen und tragen, was euch glücklich macht. Männer dürfen Röcke und Frauen dürfen Sackos tragen. Der Wert an Kleidung, die man mit dieser Einstellung haben kann, ist unendlich. Nie wieder werdet ihr nicht wissen, was ihr anziehen sollt, sondern ihr freut euch schon am Vorabend darauf, was ihr am nächsten Tag anziehen dürft.
Der Trend der Cargo-Hosen ist jetzt schon auf dem absteigenden Ast und wird sicherlich so schnell nicht wiederkommen. Doch was mach‘ ich jetzt mit meinen fünf neuen Hosen, die ich letztes Jahr auf Rat eines guten Freundes gekauft habe? Verschenken? Zu schade. Ich hab sie ja erst drei mal getragen. Verkaufen? Wer kauft im Jahr 2021 noch Cargo-Hosen? Tragen? Ich möchte mich doch nicht zum Obst der Woche machen.
Beitragsbild: Adrian Sieger
von Adrian Siegler | 28.04.2021
Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.
Der Hintergrund für diesen Umgekrempelt-Artikel liegt in der Fastenzeit, welche auch für viele nicht-religiöse Menschen einen Anlass für Verzicht darstellt. Fasten selbst beschreibt dabei traditionell den Verzicht auf bestimmte Speisen, Getränke oder Genussmittel, hat seinen Ursprung in der katholischen Kirche und symbolisiert dort die Vorbereitung auf das Osterfest. Mittlerweile wird der Begriff jedoch synonym für jedwede Form von Verzicht benutzt. Beliebte Beispiele sind das Smartphone– oder das Social-Media-Fasten. Der in meinem Fall korrekte Begriff wäre die Abstinenz von Fleisch in meiner Ernährung.
Ich habe meine Ernährung vom 17.02. bis zum 03.04. komplett vegetarisch gestaltet. Das mag sich zwar nach keiner großen Herausforderung anhören und auch ich muss gestehen, dass ich nicht damit gerechnet habe mich einer schwierigen Aufgabe gegenüber zu sehen. Jedoch fiel es mir tatsächlich nicht immer so leicht, Fleisch komplett aus meinem Speiseplan zu kürzen. In welchen Situationen dies der Fall war, erfahrt ihr hier.
Der vegetarische Lebensstil ist heutzutage immer verbreiteter und hat den Ruf eines Trends längst abgestreift. Gleiches zeigt auch der Markt, welcher seine Produktpalette an die steigende Nachfrage nach vegetarischen oder veganen Alternativen angepasst hat. Eine Entwicklung, die in vielerlei Hinsicht einen Fortschritt darstellt. Auf der einen Seite bedeutet das einen Rückgang in der Massentierhaltung, auf der anderen Seite entsteht durch den Verzicht auf Fleisch Platz auf dem Speiseplan für andere Lebensmittel, was in einer ausgewogeneren Ernährung resultiert.
Da hab ich mir die Frage gestellt, warum ich nicht schon früher den Versuch gewagt habe, mich fleischfrei zu ernähren. Schließlich ist vegetarisch leben heutzutage einfacher und zugänglicher als je zuvor.
Aller Anfang ist schwer?
In das Experiment bin ich ohne allzu große Vorbereitung gestartet. Ich habe mir auch wenig Gedanken über die ersten Tage gemacht, da ich bereits vor dem Fasten nur gelegentlich Fleisch gegessen habe. Das bedeutet, vielleicht an zwei bis drei Mahlzeiten die Woche. Trotz dessen habe ich noch nie für einen längeren Zeitraum vegetarisch gelebt.
Wie zu erwarten, verflogen die ersten 10 Tage wie im Flug, bis zu dem Punkt, an dem ich in meinem Alltag zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe, wie lange ich bis dato eigentlich schon ganz ohne Fleisch gelebt habe. Diese Erkenntnis brachte große Motivation mit sich, das Experiment ohne Probleme durchzuziehen. Ich war selbst überrascht, dass ich gar nicht daran gedacht habe, dass ich ja vegetarisch lebe.
Hochmut kommt vor dem Fall
Kaum motiviert, hat sich ein paar Tage danach immer wieder ein starkes Bedürfnis eingestellt, ein schönes Wiener Schnitzel oder einen Döner zu essen. Irgendwas anderes als Reis mit Scheiß oder Nudeln mit Pesto, die mich bis dahin gut über Wasser gehalten haben. Das bedeutete für mich, dass ich mich auf die Suche nach Alternativen machen musste, um meine Ernährung etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Gleichzeitig hatte ich aber in der noch herrschenden Prüfungsphase wenig Lust darauf, aufwendigere Gerichte zuzubereiten. So stieß ich nebenbei auf Joghurt sowie Soja-, Mandel- oder Hafermilch, da mir diese besser schmecken als normale Milch. Das hat zwar nichts mit meiner Aufgabe an sich tun, dennoch wollte ich diesen willkommenen, neuen Trend in meiner Ernährung festhalten. Von den tatsächlichen Fleischalternativen habe ich schon vor dem Experiment nicht allzu viel gehalten und auch während meines Experiments konnte ich nicht so ganz über meinen eigenen Schatten springen. Musste ich aber auch nicht.
Selbst nach den ersten zwei Wochen konnte ich die „Fleischeslust“ gut unterdrücken und habe mich im Großen und Ganzen sehr wohl gefühlt. Die nächtlichen Albträume von riesigen Rinderfilets, die sich vor meinen Augen in Kohlrabi, Blumenkohl oder Rote Beete verwandelt haben und mich schweißgebadet haben aufwachen lassen, blieben also aus.
Habe ich durchgehalten?
Die weiteren Wochen haben sich nicht großartig anders angefühlt. Deswegen möchte ich darauf auch nicht besonders eingehen. Mein meal of choice blieb weiterhin Nudeln mit allem, was mir in die Finger kam und meinen Fleischbedarf konnte ich weiterhin gut unterdrücken. Die Lust nach Fleisch trat immer in Kombination mit einem generellen Hungergefühl auf und ging auch wieder mit dem Hunger. Demnach hat es immer gereicht, wenn ich einfach irgendwas gegessen habe. Und da ich kein Fleisch im Haus hatte, war das Problem schnell erledigt.
Mit voranschreitender Zeit habe ich die Beobachtung gemacht, beziehungsweise das Gefühl gehabt, entweder den Geschmack von Fleisch vergessen zu haben oder anderen Speisen einen fleischähnlichen Geschmack zuzuordnen. So habe ich die typische Deftigkeit, die Fleisch nun einmal mit sich bringt, in anderen Lebensmitteln und Gerichten wiedergefunden. Besonders, wenn ich zum Beispiel Zwiebeln angebraten oder Spiegeleier zubereitet habe. Anfangs war ich auch gespannt, ob ich mich nach den Mahlzeiten generell fitter oder schlapper fühle. Jedoch ist mir diesbezüglich nichts aufgefallen. Das lag wohl auch daran, dass mein Fleischkonsum schon vor dem Experiment eher in Maßen statt in Massen ausgefallen ist.
Fazit
Während des Experiments kam mir überschwänglich der Gedanke, mich vegan zu ernähren. Nach kurzer Evaluation warf ich diesen Gedanken jedoch schnell wieder über den Haufen. Das lag vor allem an den Produkten auf Milchbasis, die wegfallen würden. So hat schon Erfolgsrapper Moneyboy in seiner Kult-Kochshow Traphouse-Kitchen formuliert: „Butter kann durch nichts ersetzt werden.“
Auch wenn mir bereits bewusst war, dass ich ein Leben komplett ohne Fleisch führen könnte, hat mir dieser Versuch nochmal vor Augen gehalten, dass ich in dieser Annahme durchaus Recht behalten habe. Dennoch wird sich an der Höhe meines Fleischkonsums voraussichtlich nicht allzu viel ändern. Dafür schmeckt mir Fleisch einfach zu gut. Darüber hinaus habe ich erneut gelernt, wie sehr ich Fleisch doch zu schätzen weiß und auch zu schätzen wissen sollte. Ohne jetzt zu sehr die Moralkeule schwingen zu wollen, möchte ich doch darauf hinweisen, dass ein regelmäßiger Verzehr von Fleisch alles andere als selbstverständlich ist und als Privileg angesehen werden sollte. Deswegen kann ich nur allen, die es nicht ohnehin schon tun, ans Herz legen, auch den Versuch zu wagen, mal Schnitzel oder Filet von der Karte zu streichen.
Beitragsbild: Adrian Siegler