schreibmaschine_biniam_graffe_jugendfotos_150x150Ein Kommentar

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte Hannah Bethke, die am Greifswalder Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaften Dozentin für politische Theorie ist, am gestrigen Donnerstag, den 27. März, einen Gastbeitrag unter dem Titel „Studenten können keine Rechtschreibung mehr“. Darin beklagt sie sprachliche Mängel in Hausarbeiten und eine „systematische Niveaunivellierung“ an Schulen und Universitäten. Die Kritik mag stellenweise berechtigt sein – Aufregung aber hilft hier nicht weiter. 

Gänzlich Unrecht hat Bethke dabei natürlich nicht. Die äußere Form, also Rechtschreibung und Grammatik, ist nicht nur eine Voraussetzung für eine gute wissenschaftliche Arbeit sondern bleibt auch eine Frage der Höflichkeit dem Leser (bei Hausarbeiten wohl meist nur der Dozent) gegenüber. Ob und in welchem Ausmaß fehlende Rechtschreibung und Grammatik bei Studenten nun tatsächlich ein zunehmendes Problem ist, oder es nicht schon seit eh und je beklagt wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Der veröffentlichte Beitrag aber, der ausgehend von solchen sprachlichen Mängeln der Studenten das Niveau der Schul- und der Universitätsausbildung als dramatisch sinkend darstellt, erscheint über die Maßen aufgeregt.

Sind wirklich die Schulen schuld?

Zunächst stellt sich die Frage, ob das Problem überhaupt eines fehlender Rechtschreibkenntnisse ist. Die genannten Beispiele aus Hausarbeiten, unter ihnen „Kommulitionen“, offenbaren nämlich vielmehr die Nachlässigkeit, standardmäßige Korrektursoftware der üblichen Schreibprogramme zu nutzen. Die Kritik an mangelhafter Form bleibt an dieser Stelle berechtigt – schuld ist dann aber nicht gleich das ganze Bildungssystem, sondern der Student selbst. Das Problem wäre kein systematisches, sondern ein technisches. Die richtige Eingabe eines Wortes ist natürlich die beste Lösung, aber Tippfehler schleichen sich nun einmal ein („U“ und „i“ bei „Kommilitone“ liegen auf einer Tastatur übrigens nebeneinander.) Den Lesefluss und das Verständnis eines Textes dürften solche Fehler kaum gestört haben.

Keine neue Erkenntnis ist natürlich, dass da Korrektur- und Gegenlesen hilfreich sind. Relativ neu dagegen sind Studienordnungen für Zwei-Fach-Bachelor, die nebst Klausuren das Anfertigen von zwei oder drei Hausarbeiten in einem Semester erfordern. Für eine akribische Kontrolle vor der Abgabe ist dann meist keine Zeit übrig. Bleiben Fehler Einzelfälle, sollten sie deswegen zumindest in Hausarbeiten nicht ausschlaggebend sein. Bethke allerdings scheint hier die Fehler eines ganzen Seminars aufzuaddieren – um gleichzeitig einen idealistischen Maßstab anzulegen.

Nicht neu ist zudem die Klage, dass die Universität nicht Versäumnisse der Schule nachholen kann (und die Schule nicht jene des Elternhauses). Nur zu klagen und die Verantwortung an die Schulen abzuschieben aber bestraft heute vor allem jene Studenten, die nicht nur nachlässig sind, sondern tatsächlich eine Schwäche besitzen – oder einfach nie beigebracht bekommen haben, worin der Unterschied von „wieder“ und „wider“ liegt.

Dozenten sind keine Deutschlehrer

Besonders in den Geisteswissenschaften ist die Sprache Werkzeug (oder Waffe), der Umgang mit ihr sollte sicher und korrekt sein. Doch genau wie ein Seminar zur politischen Theorie nicht zur Deutschstunde werden kann, sollte ein Dozent vor allem die inhaltliche Leistung einer Arbeit bewerten, und nicht zuerst penibel Rechtschreibfehler zählen.

Obendrein schließlich dürfte es wie Hohn in den Ohren „echter“ Legastheniker klingen, zu fragen, ob es Tabletten gegen Rechtschreibfehler gäbe. Sie hätten wohl noch vor einigen Jahrzehnten kaum eine Chance gehabt, eine Universität von innen zu sehen. Mit „systematische Niveaunivellierung“ hat ihre Integration bestimmt nichts zu tun.

Nun mag es ganz im Sinne der Handlungsoptionen der politischen Theorie sein, ein Pamphlet in der Frankfurter Allgemeinen zu veröffentlichen – als Frust-Ventil am Ende einer anstrengenden Korrekturzeit wird es allemal gedient haben. Doch mit Samaritern einer Wissenschaftsethik, die für sich beanspruchen, im Gegensatz zu anderen Dozenten sprachliche Mängel eben nicht zu ignorieren, sondern schlechte Leistungen als solche zu benennen und die angebliche, „(verantwortungslose!) inflationäre Vergabe guter Noten“ anzuprangern, ist niemandem geholfen. Vielmehr erscheint dann die dritte Etage der Baderstraße 4/5 eben doch als kleiner Elfenbeinturm der Wissenschaft. Kurzfristig wird es zudem noch mehr dazu führen, dass Studenten Seminare nach dem Dozenten und nicht etwa nach den angebotenen Themen auswählen.

Ich selbst habe die Kommataregeln nie wirklich verstanden, meine Diktate waren von Klasse eins bis zwölf durchweg „mangelhaft“ (aber: es gab sie). Für etwaige Fehler an dieser Stelle kann ich also nur um Nachsicht bitten. Ein Abitur, einen Studienplatz und „sehr gute“ Bewertungen für einige Hausarbeiten habe ich sicherlich auch wegen gesunkenen Hürden und technischer Hilfsmittel erreichen können. In erster Linie verdanke ich es wohl aber einem differenzierteren Bildungs- und Leistungsverständnis, das nicht nur auf „Lesen, Schreiben, Rechnen“ starrt.

Foto: Biniam Graffe, Jugendfotos