Mitten am Tag, um 14 Uhr, geht Mark Steffens (Name von der Redaktion geändert) durch die Rubenowstraße. Als Student der Politikwissenschaft ist er häufig auf dem alten Campus unterwegs. So auch am 16. April. Doch an diesem Tag soll er eine Begegnung haben, die er so schnell nicht vergessen wird. Er sieht drei Männer um die 20, die mit Messern bewaffnet durch die Straße gehen und Aufkleber abkratzen. Mark kuckt genau hin und sieht, dass sie es gezielt auf Aufkleber mit linken oder alternativen Inhalten abgesehen haben. Als er einen von ihnen darauf anspricht, wird er gegen die nächste Wand geschubst, beleidigt und bedroht.
Die Wörter, die sie dabei verwenden, weisen sie eindeutig als Rechtsextremisten aus. Erfreulicherweise eskaliert die Situation nicht weiter, die drei lassen von ihm ab und verschwinden.
Mark aber beschäftigt die Situation noch immer. „Wenn ich jetzt durch die Stadt gehe, ist mir schon etwas mulmig zumute“, berichtet er, „vor allem, da die drei ganz normal aussahen, also nicht als Nazis zu erkennen waren. Und weil sie am hellen Tag mit Messern, einer sogar mit einem Butterfly-Messer, herumlaufen.“ Aber es ist nicht die Begegnung an sich, sondern der Ort, an dem sie sich abgespielt hat, was ihn besonders irritiert: „Das passierte mitten in der Innenstadt, im geistigen und weltoffenen Zentrum Greifswalds, und nicht in den Neubauvierteln am Stadtrand, wo man die Neonazis eher vermuten würde.“
Ist dieser Übergriff ein Einzelfall oder Symptom für ein ernstzunehmendes Problem mit Rechtsextremisten in Greifswald?
„Wir erobern die Städte vom Land aus“
Diese Frage führt über die Stadtgrenzen hinaus, ins übrige Vorpommern. Spätestens seit der letzten Landtagswahl, in der die NPD zwischen 11Prozent und 15 Prozent der Stimmen erhielt und in einigen Wahllokalen stärkste Partei wurde, gilt Vorpommern als Modellregion der Rechtsextremisten. Langjährige Arbeit vor Ort, in Sport- und Kulturvereinen, aber auch einfache Nachbarschaftshilfe, führten zu einer Verwurzelung in der Region, die Experten von einer „Faschistisierung der Provinz“ und von einem „Graswurzelfaschismus“ sprechen lassen. Ein Trend, der auch vor Städten wie Anklam nicht halt macht.
Bisher schien die Studentenstadt mit ihrem vielfältigen sozialen und kulturellen Angebot gegen diese Strategie immun. Nach der Festnahme Maik Spiegelmachers und dem damit verbundenen Ende des NPD-Ortsverbandes Greifswalds im Jahr 2003 fand zumindest die Öffentlichkeit Ruhe vor dem Rechtsextremismus. Eine Ruhe, die erst in den letzten Monaten durch das vermehrte Auftauchen von Graffiti mit rechtsextremistischem Bezug gestört wurde.
„Kampf um die Parlamente“
Derart aufgeweckt und mit Blick auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr luden die Stadt und verschiedene gesellschaftliche Gruppen am 31. Mai zu einer „Bürgerkonferenz gegen Rechts.“ Ziel dieser war es, einen „Aktionsplan für Demokratie und Toleranz“ ins Leben zu rufen. Ob es vor Ort ein Problem mit Rechtsextremisten gibt, war hier keine Frage. Der Greifswalder Bürgerschaftspräsident Egbert Liskow (CDU) begann sein Grußwort mit dem Satz „Wir haben ein Problem in Greifswald“ und führte aus, dass ein Einzug der NPD in die Bürgerschaft nächstes Jahr wahrscheinlich ist. Die Bürgerkonferenz suchte dann auch vornehmlich Strategien gegen den drohenden Wahlerfolg der NPD.
„Kampf um die Straße“
Auch die Polizei hat einen Anstieg rechtsextremistischer Delikte zu vermelden. Nahm sie 2007 nur wenige politisch motivierte Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, im Fachjargon „PMS Rechts“, wahr, spricht der Greifswalder Polizeichef Gunnar Mächler nun davon, dass „wir in diesen Monaten eine deutliche Steigerung der Aktivitäten“ erleben. Die Polizei verzeichnete seit Januar 2008 schon vierfach so viele PMS Rechts wie im ganzen Jahr 2007.
Andererseits haben Graffiti, und darum handelt es sich bei den meisten PMS Rechts, noch niemanden verletzt oder getötet. Und auch die zahlreichen Aufkleber, die keinen Straftatbestand darstellen, kann man übersehen. Mark weiß von seinem Vorfall zu berichten, der Algemeine Studentenausschuss (AStA) hatte in den letzten Monaten verstärkt mit ausländischen Studenten zutun, die sich aufgrund rassistisch erlebter Übergriffe auf die Suche nach Hilfe begaben. Die meisten Studenten aber haben keinen Kontakt zu Rechtsextremisten jenseits der Schmierereien an der Mensa, Kiste oder Universitätsbibliothek. Reichen Graffiti, Aufkleber und vereinzelte Auseinandersetzungen, um von einem Rechtsextremismus-Problem zu sprechen?
„Kampf um die Köpfe“
„In der Innenstadt merkt man nicht viel, man sieht die Aufkleber und manchmal jemanden mit entsprechender Kleidung“, sagt Yvonne Görs, die sich als Leiterin des Jugendzentrums klex seit Anfang der 90er mit der Situation in der Stadt beschäftigt. „Damals war es gewalttätiger, es gab regelmäßig Angriffe auf Jugendliche und Jugendzentren.“ Dennoch warnt auch sie: „Jetzt machen die Rechtsextremen eher Rekrutierungsarbeit. Sie wirken nach innen.“
Wie zentral Greifswald für diese Rekrutierungsarbeit ist, zeigten Hausdurchsuchungen im Mai, die einen Greifswalder Biologiestudenten, Ragnar Dam, trafen. Er leitet von Greifswald aus den gesamten norddeutschen Teil der Heimattreuen Deutschen Jugend. Die HDJ ist eine neonazistische Kinder- und Jugendorganisation, die sich in Symbolen und Strukturen an die HJ und die verbotene Wiking-Jugend anlehnt und in der gezielt die kommenden Kader der NPD und der Kameradschaften ausgebildet werden sollen.
Aber auch in anderen Gruppierungen findet Rekrutierungsarbeit statt. Der Journalist Thomas Niehoff berichtet von „verschiedenen Strukturen. HDJ, Burschenschaften, aktivistischen Gruppen“ und warnt davor, dass „ihr Auftreten im Vergleich zu den Vorjahren eine neue Qualität erreicht hat. Es kommt wieder zu Einschüchterungen. Sie drohen damit, sich Adressen für den ‚Tag der Abrechnung’ zu notieren. Die neue Qualität ist, dass gezielt Andersdenkende eingeschüchtert werden.“
Greifswald ist also keine No-Go-Area oder „Angstzone“ wie einige Teile Vorpommerns, aber es ist auch nicht die Insel der Glückseeligen im braunen Meer.Geschrieben von Peter Schulz