NPD_Markt_FußtrittIm Zuge einer NPD-Kundgebung, die Ende Juli in der Greifswalder Innenstadt stattfand, entwickelten sich Tumulte, bei denen ein Gegendemonstrant durch den Ordner Marcus G. per Fußtritt verletzt wurde. Dieser stritt zunächst alles ab, inzwischen gibt es aber immer mehr Gründe, dessen Darstellung anzuzweifeln.

Besonders in Wahlkampfzeiten ist es keine Seltenheit, dass die NPD mit Infoständen in Greifswald Stimmung machen will und eigentlich verlief an diesem Montagmittag des 29. Juli alles so, wie es sich schon häufiger abspielte. Nach kurzfristig eingegangener Anmeldung bauten sich die Neonazis auf und sorgten mit dröhnend-monotonen Lautsprecherdurchsagen für ein durch und durch unsympathisches Auftreten. Es regnete, Passanten ließen sich, wenn überhaupt, nur spärlich beeindrucken, wobei genau diese Darstellung auf den einschlägigen Blogs traditionell angezweifelt wird (Stichwort Systemmedien). Schnell war auch in diesem Fall eine dreistellige Zahl an Gegendemonstranten versammelt und sie protestierten gegen die Präsenz der Rechtsextremen in ihrer Stadt, die auf ihrer „Asyltour“ durch das Land in Greifswald halt gemacht hatten. An anderen Stationen vorher, vor allem in Rostock, stießen sie auf noch größeren Widerstand.

Auch einige Ordner waren wieder dabei, deren Zugehörigkeit zwar schwierig einzuschätzen ist, die aber nach Polizeisprecher Axel Falkenberg ebenfalls der rechten Szene zuzuordnen seien. Einer von ihnen, Marcus G., ist schon länger aus dem Umfeld solcher Veranstaltungen bekannt. Die Stimmung war naturgegeben gereizt, kippte aber erst, nachdem einige Gegendemonstranten begannen Gemüse in Richtung Infostand zu werfen. Die Polizei griff ein, einige Ordner stürmten auf die Werfer zu und wurden gewalttätig. Marcus G. soll dabei einen Gegendemonstranten per Fußtritt verletzt haben.

Schnell versammelten sich am Marktplatz viele Gegendemonstranten.

Die NPD war mit ihrem LKW am Marktplatz, davor haben sich bereits viele Gegendemonstranten versammelt.

So verbreitete es das Bündnis Greifswald Nazifrei am selben Tag per Pressemitteilung, in der es auch heißt, dass der Geschädigte Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt habe. Eine Darstellung, die im Widerspruch zu einer Aussage des Polizeisprechers Axel Falkenberg steht, die einige Tage später vom webMoritz verbreitet wurde. So sei weder den Polizisten vor Ort eine vergleichbare Tat aufgefallen, noch hätte eine Strafanzeige vorgelegen. Gegenüber dem webMoritz betonte der Geschädigte später glaubhaft, dass er nach einem Fußtritt zu Boden stürzte. Die „leichten Verletzungen“, von denen die Ostsee-Zeitung zuletzt am Dienstag schrieb, können eher als eine optimistische Einschätzung seines Gesundheitszustands gewertet werden. Eine Strafanzeige unmittelbar am Ort des Geschehens wurde ihm zwar verwehrt, jedoch konnte er dies auf der Polizeiwache am selben Tag nachholen.

Greifswald Nazifrei empörte sich am 17. August darüber, dass dies nachträglich nicht von der Polizei richtig gestellt wurde. Das bemühen dieser Redaktion um eine Antwort blieb bisher erfolglos, da Sprecher Falkenberg im Urlaub weilt. „Wir haben nichts davon, so etwas unter den Tisch fallen zu lassen“ betonte derweil seine Vertreterin Ortrun Schwarz. Kritik übte Greifswald Nazifrei auch am Polizeipräsidium Neubrandenburg, denn dieses lieferte weitere Details zur Kundgebung nach, so sei der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster durch einen Eierwurf verletzt worden und habe Anzeige erstattet. „Es ist skandalös, dass die Polizei ausgerechnet Köster, der wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde, weil er eine Gegendemonstrantin mit Fußtritten verletzte, eine Bühne als Opfer bietet“, schrieb dazu Nazifrei-Sprecherin Cornelia Schulze, die der Landespolizei vorwirft, auf dem rechten Auge blind zu sein. „Dass sich gleichzeitig ein vergleichbarer Vorfall wiederholt hat, scheint nicht zu interessieren. Dies ist ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer rechter Gewalt und zeigt, dass die Polizei die Gefahr von Rechtsaußen leider immer noch nicht wirklich Ernst nimmt.“

Das Bild bröckelt

Während nun also die Ermittlungen wegen Körperverletzung gegen Marcus G. laufen, gibt sich dieser größte Mühe, in der Öffentlichkeit für ein anderes Bild zu sorgen. Dies hat Methode, als der webMoritz im November 2011 darüber berichtete, wie G. inmitten einer Vorlesung öffentlich als Neonazi bezeichnet wurde, reagierte dieser prompt und widersprach. Unter Androhung rechtlicher Konsequenzen erschien wenig später eine Gegendarstellung, in der er sich auch von jeglicher Gewaltanwendung, so es denn keine Notwehr ist, distanzierte. Im Frühjahr 2013 bewarb sich G. als Schöffe am Greifswalder Amtsgericht, allerdings befand ihn die Bürgerschaft fraktionsübergreifend für ungeeignet und strich seinen Namen aus einer Vorschlagsliste. Mutmaßlich wegen seiner rechtsradikalen Einstellung.

Im Zuge der Berichterstattung zum 29. Juli wies G.  erneut jede Anschuldigungen, er sei Neonazi und gewalttätig, von sich, wie der Fleischervorstadtblog am Montag dokumentierte. Zusätzlich veröffentlichte Blogbetreiber Jockel Schmidt ein ihm anonym zugespieltes Video, welches G. in einem neuen Licht erscheinen lässt. Schmidt interpretierte es folgendermaßen:

Die Aufnahmen zeigen, wie sich mehrere Neonazis, darunter auch die Lebenspartnerin von G., in die Menge bewegen und gezielt auf einen Antifaschisten zusteuern. Dieser kann jedoch rechtzeitig weglaufen und ist auch durch Alexander Wendt (Landesvorstand NPD), der dem Fliehenden einen Regenschirm hinterherschleudert, nicht mehr zu stoppen. Mehrere NPD-Anhänger nehmen die Verfolgung auf und auch einige Antifaschisten laufen in Richtung Knopfstraße — womöglich, um einen zu befürchtenden, gewaltsamen Übergriff zu verhindern. Wie das Video dokumentiert, bricht Marcus G. relativ schnell die Verfolgung ab und wendet sich wieder der Marktmitte zu, wo er einen nacheilenden Demonstranten zu Fall bringt und sich anschließend schnell entfernt — wohlgemerkt ohne den Versuch zu unternehmen, jemanden “dingfest zu machen”.

Um diese Szene nachvollziehbar zu gestalten, wurde das Video, in dem sowohl Marcus G. mit dem gelben Rucksack als auch das Opfer mit der markanten blau-grünen Jacke deutlich zu erkennen sind, dahingehend bearbeitet, dass die beschriebene Szene vergrößert wurde und deutlich langsamer abläuft.

Es ist deutlich zu erkennen, wie der Gegendemonstrant mutwillig zu Fall gebracht wurde, von Notwehr kann keine Rede sein. An der Identität der handelnden Personen besteht kein Zweifel.  Zu Recht lässt sich nun das Bild anzweifeln, welches Marcus G. von sich selbst in der Öffentlichkeit sehen will. Das Strafverfahren wird für die nötige Aufklärung sorgen, welche Rolle das Video dabei spielen wird war trotz vieler Versuche der Nachfrage nicht in Erfahrung zu bringen.

Fotos: Markt – privat, Titel – Vorpommern-Greifswald wird Grün