Ein Beitrag von Susanne Triesch

Ein sperriger Begriff: „Nahrungsmittelspekulation“. Was sich hinter diesen 25 Buchstaben verbirgt, versuchte am vergangenen Donnerstagabend im Rahmen der diesjährigen 12. Entwicklungspolitischen Tage Markus Henn, Projektreferent für Finanzmärkte der „WEED“-Organisation und Mitglied bei „attac“, im Hörsaal der Alten Augenklinik darzustellen.

„WEED“ steht für „World Economy, Ecology & Development“ und hat sich als gemeinnütziger Verein vor über 20 Jahren der Aufklärungsarbeit zu den Auswirkungen der Weltwirtschaft besonders auf Entwicklungsländer sowie der Ausarbeitung von Lösungsansätzen und dahingehender politischer Lobbyarbeit verschrieben.

Als der Referent Markus Henn den Vortragsabend beginnt, ist der Hörsaal recht gut gefüllt mit größtenteils studentisch und erwartungsvoll wirkenden Zuhörern, die zuvor von den Organisatoren gebeten wurden, sich in eine Teilnehmerliste einzutragen, die das Interesse an den Entwicklungspolitischen Tagen und damit ihren Förderanspruch belegen soll.

Hungerkrisen durch Spekulation mitverursacht

Um eine Grundlage für die Diskussion über die komplexe Thematik der Nahrungsmittelspekulation zu schaffen, präsentierte Herr Henn zunächst eine Statistik der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), die die Entwicklung der globalen Nahrungsmittelpreise in den letzten 20 Jahren zeigte. Die Essenz: Sowohl 2007/08 als auch 2010/11 gab es extreme Preisanstiege, die 115 beziehungsweise 44 Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern zusätzlich in den Hunger trieben und vielerorts zu Aufständen führten, wie zum Beispiel 2008 in Haiti.

Und dies sei eben nicht nur auf widrige Umstände, wie schlechte Ernten und übermäßig große Nachfrage zurückführen, sondern sei auch der sogenannten Indexfondsaktivität anzulasten, wie selbst die Weltbank eingestehen musste. Wer spontan nicht weiß, was es mit diesem Begriff auf sich hat, dem geht es genauso wie mir an diesem Abend.
Aber auch das hat der Referent Henn natürlich zu erklären versucht und worauf es am Ende hinausläuft, und was damit auch die Basis für die Spekulation ist, ist ungefähr folgendes:

Grafik während des Vortrages zur Chicagoer Börse

Grafik während des Vortrages zur Chicagoer Börse

Dem „physischen Markt“, also dem tatsächlichen Handel mit realen Waren, zum Beispiel Weizen oder Öl, steht an der Börse der sogenannte „Terminmarkt“ oder die „Agrarterminbörse“ gegenüber. Dessen (Un-)Sinn besteht darin, dass dort Verträge über zukünftige Preise von Waren geschlossen werden, mit denen oft mindestens einer der Vertragspartner überhaupt nichts zu tun hat, die also allein der Preisabsicherung oder Spekulation und damit persönlicher Bereicherung dienen. Banken, Hedge- und Versicherungsfonds (darunter auch die Allianz und Deutsche Bank) kaufen also zum Teil Unmengen solcher Verträge, „Futures“ genannt, und wetten damit im Prinzip auf die Entwicklung der Preise, denn ihnen wird die Differenz des im Vertrag festgelegten zum tatsächlichen Preis ausgezahlt. An der Chicagoer Warenterminbörse nehmen diese Vertragsgeschäfte teilweise groteske Ausmaße an: Letztes Jahr wurden dort Verträge über die 73-fache Menge des tatsächlich geernteten Weizens geschlossen.

An der hiesigen Börse in Frankfurt am Main gibt es so etwas allerdings nicht zu befürchten, an ihrer kleinen Terminbörse wird nur mit „so’n paar Kartoffeln, Milch, Schweinehälften und so“ gehandelt, wie Markus Henn es formulierte.

„Die Tendenz ist, dass die Preise immer globaler werden“

Im Kern hat die Spekulation auf Nahrungsmittelpreise an den Agrarterminbörsen also zur Folge, dass bestehende Preistendenzen weltweit verstärkt werden, sowie das reale Angebot verknappt und Horten ermöglicht wird. Wir, die wir in entwickelten und versorgungsmäßig abgesicherten Industrieländern leben, haben darunter herzlich wenig zu leiden, doch diejenigen, die in Entwicklungsländern bis zu drei Viertel ihres Gesamtbudgets für Nahrungsmittel ausgeben, trifft jede Preissteigerung umso härter.

Deshalb zeigte Henn abschließend, welche Regulierungsmaßnahmen seiner Ansicht nach nötig wären, um die Spekulationsmöglichkeiten auf dem Finanzmarkt einzudämmen – darunter steht auch die Forderung nach einer Transaktionssteuer sowie die Einführung von Preislimits.

Nach dem Vortrag: Fragenstellen auf hohem Niveau

Nach Ende des eigentlichen Vortrages war das Publikum sehr aktiv im Fragenstellen auf hohem Niveau, fast alle scheinen sich in der Thematik recht gut auszukennen – kein Wunder, denn viele studieren Landschaftsökologie oder BWL, sind bei attac, Greenpeace oder dem BUND aktiv.

Markus Henn

Markus Henn

Der Referent Markus Henn, der in München Politikwissenschaft mit den Nebenfächern Recht und Volkswirtschaft studierte, ist schon lange bei attac und WEED aktiv, dieses Jahr jedoch zum ersten Mal bei den Entwicklungspolitischen Tagen in Mecklenburg-Vorpommern dabei. Nach deren Wirksamkeit gefragt, antwortet er mir, dass für ihn jede Form der Aufklärungs- und Bildungsarbeit die Basis für gesellschaftliche Diskussionen ist und daher jede solcher Veranstaltungen ihren kleinen Teil zu dieser Grundlagenarbeit beitrage. „Für mich ist das Prinzipiensache“, fügte er hinzu und wirkte zufrieden mit dem Verlauf der Veranstaltung. So auch die Zuhörer, die mir versicherten, etwas dazugelernt zu haben, auch wenn bei dem einen oder anderen – mich eingeschlossen – ein paar fachliche Fragezeichen bleiben.

Selbst wenn man allerdings im Konkreten nicht alles verstanden hat, so hat der Vortrag doch einen hilfreichen und vor allem nicht zu einseitigen Einblick in die Thematik gegeben und aufgezeigt, welche Rolle die Nahrungsmittelspekulation heutzutage spielt und dass sie in den Überlegungen zur globalen Ernährungssicherheit nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Der Vortrag war Teil der Entwicklungspolitischen Tage, die noch bis Ende November im ganzen Bundesland stattfinden. Eine Übersicht zum Programm in Greifswald gibt es hier.

Fotos: Markus Henn – Markus Henn (ohne CC-Lizenz); Vortrag – Susanne Triesch; Artikelbild – „Vielfalt“ von „Milan Stephan“ / www.jugendfotos.de, CC-BY-NC