Von der DDR drangsaliert und ausgebürgert, vom bundesdeutschen Literaturbetrieb ignoriert, vom Leben gezeichnet. Seine dichte Kurzprosa ist keine Abrechnung, keine Planerfüllung, keine Ware: Der Greifswalder Schriftsteller Jürgen Landt.
Jürgen, welche Erinnerungen verbindest du mit Demmin, deiner Heimatstadt? Oder ist „Heimat“ schon der falsche Begriff?
Nein, ich glaube schon, dass Heimat der Ort ist, an dem man geboren wird und Kindheit und Jugend verbringt. Aber ich habe keine tollen Erinnerungen an die Zeit. Mir fehlte das, was wahrscheinlich vielen jungen Leuten gefehlt hat: Freiheit und Impulse von außen. Wir wollten raus und umher reisen. Das durften wir nicht. Auch deshalb wurde dann unglaublich viel gesoffen. Die Reihenfolge des Aneckens war Elternhaus, Schule und später die Gesellschaft. Wer auffällig wurde, der bekam staatliche Kontrollmaßnahmen. Irgendwann habe ich mich da freigeschlagen, soviel Aggression hatte sich da angestaut. Den ersten Aufenthalt im Zuchthaus hatte ich mit 17 Jahren. Umerziehung durch Arbeiten und Exerzieren, alles in alten Nazi-Klamotten. Danach kam ich zurück in die Schule, aber mein Weltbild war total verrutscht. Ab dann ließ ich mir nichts mehr sagen, besonders nicht vom Staatsbürgerkundelehrer. „Jeder kann hier alles werden“, haben sie uns immer gesagt. Das habe ich bis heute nicht begriffen. Nichts konntest du da werden, wenn du anders warst.
Inwiefern haben dich die Gefängnisaufenthalte für dein weiteres Leben geprägt? Was blieb von den abgesessenen Stunden im Zuchthaus?
Ohnmacht. Vor der Gesellschaft und vor dem Staat. Die Erlebnisse dort haben den letzten Rest der kruden Schulpropaganda, dass die DDR die bessere Gesellschaft sei, hinweggefegt. Eingeschüchtert war ich von den Erlebnissen nie, aber Ängste habe ich gehabt. Vielleicht war das die Jugend, die einen so unerschütterlich machte.
Hast du zu dieser Zeit schon geschrieben?
Nein, richtig angefangen habe ich 1980 bis 1982, also mit ungefähr 23 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch gemerkt, dass ich nichts anderes machen kann. Die Ausbildung als Heizungsmonteur, die man mir aufgedrückt hatte, habe ich nie abgeschlossen. Ständig kamen Haftzeiten dazwischen. Zu der Zeit habe ich dann viel geschrieben. Irgendjemand hat das an die Staatssicherheit weitergetragen. Die standen dann vor meiner Tür und begannen unter fadenscheinigen Gründen mit einer Hausdurchsuchung.
Du wurdest 1983, im Alter von 26 Jahren und nach mehreren abgelehnten Ausreiseanträgen, ausgebürgert. Gab es damals so etwas wie Aufbruchsstimmung für dich?
Ich glaube, dass ich damals eher in einer Art Ausnahme-stimmung war. Das ganze Verfahren lief über zwei Jahre und zwei Jahre lang wurde mir gesagt, dass dem Antrag niemals stattgegeben werden würde. Plötzlich hatte ich zwölf Stunden Zeit zum Packen. Mit einem Koffer voller Klamotten und meiner Reiseschreibmaschine fuhr ich in Richtung Grenze. Dort haben sie mich ein letztes Mal gefilzt. Zwei Frauen in einem dicken Mercedes Benz haben mich dann mitgenommen, zu Fuß hätte ich nicht rübergedurft. Die beiden fuhren nach Hamburg und so hat es auch mich nach Hamburg verschlagen. Dort war ich dann knapp neun Monate obdachlos. Es gab Phasen, in denen ich mich trotz der erlebten Repressionen zurückgewünscht habe. Erst mit einer eigenen Wohnung ging es aufwärts und ich begann wieder zu schreiben.
Warum schreibst du überhaupt?
Keine Ahnung, weiß ich nicht. Vielleicht ist das alles ein Druck von innen, etwas was ich tun muss. Etwas gegen das Unverständnis dem Leben gegenüber, etwas gegen die Ohnmacht. Wenn man das realistisch betrachtet, dann schreibt das Leben die Texte. Ich bin nur Handlanger. Die Themen sind einfach da. Oft geht es um Mann und Frau, wie Menschen in all der Sinnlosigkeit herumtanzen, um Haftzeiten, Süchte, Klinikaufenthalte und den Suff.
Das bedeutet, du würdest auch dann schreiben, wenn du keine Leserschaft hättest?
Die habe ich ja nie gehabt. Hätte ich den Anspruch gehabt, eine Leserschaft zu erreichen oder gar Geld zu verdienen, wäre ja nie ein Text entstanden. Für micht zählt, dass ich den Tag mitsamt dem Prozess, dem ich als Schreibender unterliege, überstehe. Ich weiß auch beim Schreiben nie, ob das Lyrik oder Prosa oder sonst irgendetwas ist oder wird. Ein Text ist einfach ein Text.
„Durst nach Alkohol, Festhalten und Ableuchten.“
Fällt es dir schwer, dich hinzusetzen und zu schreiben, diese bewusste Auseinandersetzung mit dir selbst zuzulassen?
Mittlerweile ja. Das war in anderen Zeiten schonmal anders. Ich will das eigentlich nicht machen, tue es aber trotzdem. Ich habe keine Alternative. Ich denke mir: Wenn ich hier sitze und dreißig Zigaretten rauche, kann ich nebenbei auch einen Text machen, was soll der Scheiß! Und sei es ein Text über die Zigarettenstummel hier im Ascher, aus denen man Par-allelen zu anderen Dingen ziehen kann.
Bei deiner letzten Lesung im Falladahaus Ende April hat mich der Kontrast zwischen Komik und Schwermut begeistert.
Ja, das fällt mir auch auf. In einigen meiner Texte steht die sagenhafte Schwere neben der leichten Situationskomik. Texte von mir enden nicht mit Selbstmord, der Leser sieht da niemanden hängen. Obwohl die Texte oft in Grenzbereichen spielen, haben sie oft, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, etwas lebensbejahendes. Ich verstehe einfach die Absurdität nicht, die sich durchs Leben schlängelt. Vielleicht nehme ich diesen Konflikt intensiver wahr als jeder zweite.
Hat der Autor Jürgen Landt Vorbilder?
Wenn man sich vorbildet, hat man schon verloren in der Kunst. Dann lehnt man sich immer irgendwo an und ist nicht mehr frei. Aber ich bin meiner alten Lehrerin aus der ersten Klasse zum Dank verpflichtet, denn sie hat mir das ABC beigebracht. Später habe ich Charles Bukowski und Henry Miller gelesen. Wie ich waren das Typen mit Durst. Nicht nur nach Alkohol, auch nach Ableuchten, nach Festhalten der abstrusen Augenblicke, an denen andere vorbeilatschen.
Ist das heutzutage besser?
Ja. Mein Spruch war immer: „Früher wurdest du für das, was du machst, verfolgt. Heute wirst du ignoriert.“ Der Satz hat heute allerdings keine Gültigkeit mehr. „Lieber ignoriert als verfolgt!“, habe ich immer gesagt. Aber wenn man Jahrzehnte von einem Literaturbetrieb ignoriert wird, der ansonsten das merkwürdigste Zeug in die Buchhandlungen bringt, macht das natürlich was mit einem. Ignoranz kann dich auf Dauer auch kaputt machen. Aber mittlerweile ist mir das egal. Ich möchte da auch gar nicht mehr rein. Ich habe keine Power mehr, all den Scheiß mitzumachen und den Clown zu spielen.
„Was soll der Scheiß?“
Hast du nach dieser deine Gegenwart überlagernden Vergangenheit Wünsche für die Zukunft? Kann Kunst hier ein Anker für die eigene Existenz sein?
Aktuell muss ich noch schaffen, einfach nur auf den Tod warten ist ja auch scheiße. Aber gegen die Sinnlosigkeit anzuschreiben ist nun mal ein sinnloses Unterfangen. Gleichzeitig kann ich mich von dieser Thematik nicht trennen, weil das die Realität ist. Letztendlich bin ich innerhalb der Kunst auch mein eigenes Versuchsschwein. Wie weit kann ich gehen? Wie viel halte ich aus? Das ist immer ein Arbeiten ohne Netz. Kunst kann auch krank machen, wenn du diesem Wesenszug nicht etwas wirklich Positives entgegensetzen kannst.
Das Interview führte Oke Schwabe
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