Die Tagesstätte und das Obdachlosenhaus in Greifswald unterstützen Menschen bei der Bewerkstelligung ihrer schwierigen Lebenssituation. moritz berichtet über die Einrichtungen und gibt einen Einblick in das Leben der Betroffenen.

Zum elften Todesstag des in Greifswald ermordeten Obdachlosen Eckhard Rütz fand am 25. November vergangenen Jahres eine Gedenkveranstaltung vor der Mensa statt. Vordergründig ging es um die rechtsextreme Problematik, hintergründig schwingt jedoch auch die in Greifswald öffentlich wenig präsente Obdachlosigkeit mit. Im Vergleich zu Großstädten, in denen Obdachlose Teil des Stadtbilds sind, rücken sie in der Universitätsstadt anscheinend aus dem Blickfeld der Bürger. Um die Belange der obdachlosen Menschen in Greifswald kümmern sich Mitarbeiter verschiedener Einrichtungen. Neben Unterkünften bieten sie Hilfestellungen, die die Selbstständigkeit fördern und somit aus der Obdachlosigkeit führen sollen.

Petra Werner arbeitet seit sechs Jahren in der Greifswalder Tagesstätte des Kreisdiakonischen Werks (KDW). Täglich treffen hier Menschen mit und ohne Wohnraum aufeinander. Verurteilt wird keiner. Das Ziel der Tagesstätte sei es, Beratungsmöglichkeiten für Betroffene zu schaffen und ihnen zugleich Ansprechpartner für Behördengänge zur Seite zu stellen. „Wenn man an den Rand dieser Gesellschaft gerutscht ist, fällt es schwer diese Wege alleine zu gehen oder man hat Angst davor es nicht zu schaffen und Ablehnung zu erfahren“, berichtet die stellvertretende Leiterin der Einrichtung.

Hilfe brauchen die Klienten unter anderem nach einer Haftentlassung, bei der Suche nach neuem Wohnraum oder bei der Beantragung wesentlicher Gelder. „Oftmals ist es auch ein Stück Einsamkeit“, die die Betroffenen in die Tagesstätte führt, erläutert Werner. Die Einrichtung hat innerhalb der Woche von 8 bis 16 Uhr geöffnet und bietet neben Beratungsgesprächen einen Aufenthaltsraum, eine Küche und einen Essensraum an. Das Mittagessen wird für einen Obulus von zwei Euro angeboten, wovon sich die Besucher für abends etwas mitnehmen dürfen. Auch Frühstück und Kaffee sind erhältlich. „Aber es ist nicht so, dass sie alles geschenkt bekommen, das möchten sie in der Regel auch nicht.“ Im Keller befinden sich unter anderem eine Tischtennisplatte und eine Dartscheibe für gemeinschaftliche Aktivitäten, die laut Werner gern in Anspruch genommen werden. Für Abwechslung sorgen Fahrten nach Polen und Grillen am Strand. Vor kurzem wurde gemeinsam das Theaterstück „Woyzeck“ inszeniert und öffentlich aufgeführt. Das Projekt fand laut Werner bei den Bewohnern großen Anklang.

Ihre Arbeit bezeichnet sie als „ein angenehmes Miteinander mit den Klienten“ und empfindet die unvoreingenommene Annahme der Menschen als wichtig: „Einige schauen gar nicht danach, warum ein Mensch dorthin gekommen ist.“ Die Wohnungssuche stelle jedoch eine der größten Hürden auf dem Weg in ein selbstständiges Leben dar. Aufgrund der geringen Anzahl von Wohnungsgesellschaften und möglichen Vermietern in Greifswald sei es zudem schwer einen „bezahlbaren Wohnraum zu finden.“

Auf die Frage, was man als Außenstehender beitragen könne, antwortet die stellvertretende Leiterin: „Wohnungen vermieten“. Für Menschen, die ehemalige Mietschuldner sind, stellt dieser Status eine besonders große Herausforderung dar, die es zu bewältigen gilt. Werner sagt, dass das Konzept des Kreisdiakonischen Werks so sei, dass es Wohnungen anmiete, diese Wohnungen und das Wohnen für eine Zeit begleite und die Mietverträge dann ändere. Sie fügt hinzu, dass das Anmieten von Wohnungen ebenso für das KDW schwierig geworden ist. Nicht nur die problematische Wohnsituation fordert die obdachlosen Bürger Greifswalds. Neben häufiger Arbeitslosigkeit bestünde das Problem des Alkoholismus. „Einige haben Angst davor alleine zu leben und flüchten dann wieder in den Alkohol“, berichtet Ilona Martens, die seit 2010 die Leiterin des Obdachlosenhauses in Greifswald ist.

Um gegen diese Angst vorzugehen, bemühen sich die Mitarbeiter des Obdachlosenhauses um Unterstützungsmaßnahmen für die Betroffenen. Sie bieten Anrufe bei Ämtern, Kontaktaufnahme zu den Wohnungsgesellschaften und die Organisation verschiedener Therapien an. „Die Bewohner wissen, dass sie hier einen Ansprechpartner haben“, sagt Martens. Das Obdachlosenhaus gibt es seit 1990/1991. Es stehen Zwei- oder Drei-Bett-Zimmer für rund dreißig Personen zur Verfügung. Derzeit sind zwanzig Betten belegt. Wenn sich die Menschen beim Ordnungsamt als obdachlos anmelden, bekommen sie eine Einweisung in das Obdachlosenhaus und können dort vorübergehend eine Bleibe beziehen.

Die Mitarbeiter bewirtschaften das Haus mit Betreuerfunktion. Alles andere müssen die Bewohner selbstständig erledigen. „Wir haben ja keinen Heimcharakter, sondern wir sind ein Obdachlosenhaus.“ Die Bewohner gehen einkaufen, kochen zusammen und halten ihre Zimmer in Ordnung. Zudem herrscht ein Alkoholverbot, „was sich nicht immer durchziehen lässt“, ergänzt Martens. Die Leiterin bemerkt, dass sie sich nach Feierabend noch viele Gedanken um Verbesserungsmöglichkeiten macht. Dennoch betont sie, dass sie diese Arbeit sehr gerne mache. „Hier spürt man auch, wenn man sich mit den Bewohnern befasst und auf sie eingeht und ihnen zuhört, dass sie dann auch Sachen erzählen, die sie sonst nicht erzählen würden. Sie wissen, dass das in dem Raum bleibt.“

Martens nimmt ebenso Bezug auf die partiell beschränkte Sicht der Gesellschaft gegenüber obdachlosen Bürgern. „Auch sie hatten ein Leben vor der Obdachlosigkeit.“ Das Leben nach eben dieser soll durch eine Begleitung zunächst stabilisiert werden. „Sozialarbeiter der Volkssolidarität übernehmen diese Arbeit und versuchen ihnen den Weg wieder zu ebnen und sie in die Normalität zu bewegen.“

Martens sagt, es sei unterschiedlich und individuell zu betrachten, wer diesen Weg schafft und wer nicht. Georg* hat es geschafft. Der gebürtige Greifswalder ist vierundzwanzig und verbringt derzeitig seine ersten Tage in seinen eigenen vier Wänden. Nach sieben Monaten Aufenthalt im Obdachlosenhaus hat er nun wieder eine Arbeitsstelle und eine neue Wohnung gefunden.

Als Grund für seine Obdachlosigkeit benennt Georg eine Drückerkolonne, die ihm nach seiner Kündigung im alten Betrieb neue Arbeit versprach. Nach drei Wochen erhielt er jedoch kein Gehalt mehr und schließlich nahmen sie ihm seinen Personalausweis weg. Damals habe er noch in Stralsund gewohnt. Anschließend ging er nach Niedersachsen in den Landkreis Leer. „Dort wurde ich erst recht obdachlos“, erklärt der junge Mann. „Das Ordnungsamt hat mich da in das Obdachlosenheim untergebracht – aber nur für sieben Tage.“ In Greifswald wurde alles anders. Hier bekam Georg Hilfe und Unterstützung.

Heute sagt er, der Gang zum hiesigen Obdachlosenhaus habe kaum Überwindung gekostet. Nach Martens sei er mit dieser Einstellung eine Ausnahme. Die Leiterin gibt zu, dass es leider nur wenige Erfolgserlebnisse wie dieses gäbe. Den jüngeren Bewohnern falle es jedoch leichter aus alten Gewohnheiten herauszuwachsen. Man brauche viel Kraft für den Weg zurück in die Selbstständigkeit. Diese Kraft bekomme Georg durch seinen acht Monate alten Sohn. „Ich hatte auch sehr große Hilfe von Frau Martens“, erklärt er. Nun wolle er im Leben ohne Betreuer zurechtfinden und Fuß in der Reinigungsbranche fassen. Seine Vergangenheit und die Obdachlosigkeit möchte der Greifswalder hinter sich lassen: „Ich freue mich auf’s neue Jahr!“

Ein Bericht von Irene Dimitropoulos, Natascha Gieseler und Laura-Ann Schröder