Mit Daniel Stein Kokins Professur zählt nun ein Amerikaner mit hohem Bildungshintergrund zu den Uni-Mitarbeitern. Er ist einer der wenigen jüdischen Forscher, der in Deutschland eine Professur an einer Theologischen Fakultät übernimmt.
Los Angeles – Harvard – Yale – Jerusalem: Wie passt Greifswald in die Reihe?
Ich hatte schon seit langem Interesse daran, einige Zeit in Europa zu verbringen, denn hier wird im Moment sehr viel interessante Forschung zur jüdischen Geschichte betrieben. Außerdem stehen hier zahlreiche Quellen zur Verfügung, besonders für meinen Fachbereich der frühneuzeitlichen jüdischen Geschichte. Dann habe ich ein Angebot von der Universität Greifswald bekommen und dachte, das könnte interessant sein. Ich hoffe, dass ist jetzt nicht zu enttäuschend für Sie. (lacht)
Und haben sich Ihre Erwartungen an die Stelle erfüllt?
Ja, ich habe an der Theologischen Fakultät ein sehr forschungsorientiertes Umfeld. Die Kollegen bieten mir ständig Möglichkeiten zum Mitwirken an und unterstützen mich in meiner Arbeit. Ich hatte noch nie so viele Forschungskooperationen innerhalb meines Fachbereiches wie hier in Greifswald. Im Moment arbeiten wir an einem Sammelband über die Geschichte von Johann Friedrich Mayer, der Professor an der Theologischen Fakultät war und im Jahr 1700 in seinem eigenen Haus eine Synagoge für seine Studenten errichtete.
Wie sieht es mit dem Forschungsmaterial aus? Ist da die Situation ähnlich gut?
Das ist ein bisschen problematisch. Unsere UB ist kleiner als andere Universitätsbibliotheken. Dafür haben wir aber zum Beispiel die Dalman-Sammlung und die vielleicht größte Sammlung der Welt an frühen Fotos und Dias aus Palästina. Ich würde aber gern dafür sorgen, dass noch mehr Leute über Greifswald und die Sammlung Bescheid wissen.
Es gibt keine jüdische Gemeinde in Greifswald. Stellt das ein Problem für Sie dar?
Das stimmt, es gibt keine Synagoge in Greifswald. Dafür muss ich schon woanders hingehen. Inzwischen kenne ich die Berliner Gemeinde sehr gut. Ich habe aber gemerkt, dass es in Greifswald ein sehr großes Interesse für jüdisches Leben gibt. Die Menschen wollen einen Zugang zum Judentum bekommen, vielleicht gerade weil es hier keine eigene Gemeinde gibt. Es ist also nicht problematisch, in Greifswald jüdisch zu sein. Ich habe hier außerdem eine ganz andere, aber auch wichtige Perspektive auf die jüdische Geschichte bekommen. Ich bin es ja gewohnt, in einer größeren Gemeinde zu leben. Immerhin bin ich in Los Angeles aufgewachsen, wo es etwa 700 000 Juden gibt. Hier bin ich fast der einzige. Ich kann jetzt etwas besser verstehen, wie sich die Leute im Mittelalter fühlten, als die Gemeinden sehr klein waren und oft nur aus ein paar wenigen Mitgliedern bestanden.
Kann man in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald überhaupt koscher leben?
Wenn man die Regeln streng befolgt, kann man in manchen Restaurants vielleicht nur einen Salat essen. Koscheres Fleisch gibt es hier gar nicht zu kaufen. Für mich ist das aber nicht so schlimm, denn ich lebe vegetarisch und esse sehr gerne Fisch. Überraschend fand ich, dass es hier im Supermarkt Matzen gibt, also ungesäuertes Brot, das wir zum Pessachfest essen. Insgesamt sind hier die Möglichkeiten, koscher zu leben, zwar begrenzt, aber woanders wäre es schwieriger.
Das Interview führte Stefanie Pätzold und Lea Runge, das Foto schoss Lea Runge