Die Gender Trouble AG hat durch ihre gleichnamige Schwulen- und Lesbenpartys einen hohen Bekanntheitsgrad in Greifswald erlangt. In den letzten Monaten wandelte sich das Angebot in der Hansestadt und neue Initiativen bereichern die Szene.
Laut einer Meldung der Bundeszentrale für politische Bildung von 2010 sind fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell. Trotz dieser relativ hohen Anzahl sind viele von ihnen immer noch einer stetigen Diskriminierung ausgesetzt. Erst 1992 wurde Homosexualität von der Liste ansteckender Krankheiten der International Statistical Classification of Diseases der Weltgesundheitsorganisation gestrichen. Auch noch fast 20 Jahre später wird Homosexualität immer noch nicht vollständig toleriert, wie eine ältere Umfrage von MoritzTV aus dem Jahr 2007 ergeben hat. Aussagen wie „Sowas kann ich nicht begreifen und auch nicht tolerieren“ oder „Homosexualität muss genauso bekämpft werden wie das Trinken“ zeigten eindeutig die intolerante Haltung zur gleichgeschlechtlichen Liebe.
Eine weitere Umfrage, die letztes Jahr von MoritzTV durchgeführt worden ist, ergab das erfreuliche Ergebnis, dass mittlerweile mehr Befragte Homosexualität akzeptieren und auch unterstützen: „Jeder soll lieben, wen er will“. Es hat sich also etwas getan, doch wie sieht es genau in der Szene in Greifswald aus? In Greifswald gab es schon vorher Initiativen, die sich für Belange der Homosexuellen einsetzten, doch die bekannteste entwickelte sich Anfang der 1990er mit der Gender Trouble Arbeitsgemeinschaft (AG). Sie ist eine von der Greifswalder Studierendenschaft gegründete AG. Ihre Ziele sind vor allem die Erhaltung und die Weiterentwicklung der homosexuellen Szene in der Hansestadt, auch unter „Queerszene“ bekannt. Neben den sehr beliebten monatlichen Partys gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten der AG auch Aufklärungsarbeit, welche die Mitglieder leisten. Lange war sie die einzige Anlaufstelle für Homosexuelle, doch im Laufe der letzten zwei Jahre gründeten sich neue Vereine und Initiativen, welche das Spektrum in Greifswald erweitern und versuchen zu entwickeln.
An dieser Entwicklung ist die Initiative namens „Polyform“ beteiligt. 2010 entstand aus einer Hausarbeit zum Thema „queer“ die Konzeptidee des „Polyform“. Die Studentinnen für Germanisitk und Kunst und Gestaltung Karoline Buch und Irina Hoffmann begreifen sich als eine Initiative, die sich für mehr Toleranz und den Abbau von Homophobie einsetzen. „Wir wollten die Idee hinter der schon weit verbreiteten queeren Bewegung in Greifswald aufblühen lassen. Queer-sein bedeutet für uns sich in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Es geht um Sichtbarkeit und die Darstellung seiner Sexualität und seines Selbstverständnisses.“ Musik und Kunst spielen hierbei eine zentrale Rolle für die beiden Frauen und stellen die Besonderheit von „Polyform“ dar. Bislang wurden zwei erfolgreiche Partys, durch welche sich Polyform auch finanziert, auf die Beine gestellt. „Wir wollen eine Party für alle Menschen schaffen – für alle sexuellen Orientierungen, wobei Toleranz natürlich die Grundvoraussetzung darstellt“, so die beiden. Obwohl auch sie es sich zur Aufgabe gemacht haben das Angebot in der Szene zu vergrößern, geht es ihnen außerdem darum, die ihrer Meinung nach unausgewogenen musikalischen Interessen von den Partys der Gender Trouble AG mit mehr elektronischer Musik zu erweitern. „Es kann niemals genug queere Kultur in einer Stadt geben und gerade die schwul-lesbische Partyszene ist musikalisch noch etwas einseitig gestaltet“, erklären die beiden ehrenamtlich arbeitenden Veranstalterinnen.
Ganz anders geht der Queerkompass Greifswald e.V., der sich im Mai dieses Jahres gegründet hat, das Thema der Queerbewegung an. Der Verein richtet sich vorwiegend an schwul-lesbische Jugendliche. Seit der Juni 2011 hat der Queerkompass seinen Sitz im Jugendzentrum „klex“. Er legt seinen Fokus nicht auf Partys, sondern auf Beratung, Prävention und verschiedene Veranstaltungen wie zum Bespiel einen Stammtisch, oder eine Jugendgruppe. Kommen kann wer will, unabhängig von Sexualität und Alter. Der Verein wurde vor allem gegründet, um eine Alternative zur Gender Trouble AG bieten zu können. Anders als diese finanziert sich der Verein derzeit aus Mitgliedsbeiträgen und erhielt bis dato noch keine Fördergelder. Aufgrund der späten Gründung ist dies erst ab dem kommenden Jahr möglich.
Diesen Oktober erweiterte sich die Queerszene um einen Verein. Sebastian Dahm, 24, entwickelte zusammen mit der 20-jährigen Pauline Kagels die Idee zur Gründung des „Treff MalAnders“. „Für uns ging es darum eine Queerszene für alle Altersgruppen in Greifswald zu schaffen.“ Zum Einen sind für Sebastian und Pauline die Lokalitäten eines Jugendzentrums für ältere Homosexuelle nicht ansprechend genug und zum Anderen ist die Zielgruppe der Gender Trouble Partys vorwiegend auf Studenten ausgerichtet.
Sie scheinen damit eine Lücke in der Hansestadt gefunden zu haben, die von der Stadt selbst unentdeckt blieb. Von der Stadt Greifswald werden Räume zur Verfügung gestellt, jedoch keine eigenständigen Angebote für die homosexuelle Szene entwickelt. Die Gleichstellungsbeauftragte Greifswalds, Ines Gömer, erklärt dies damit, dass es keine Nachfrage geben würde, damit entsprechende Angebote entstehen können. Hier stellt sich die Frage, wo die Kommunikation zwischen den Bürgern und der Stadt schief gegangen ist. Denn genau die große Nachfrage und die fehlenden Angebote führten dazu, dass sich in den letzten Jahren mehrere Vereine gegründet haben, die sich für eine große Queerszene einsetzen.
Der 22-jährige Veit Pürsing vom Queerkompass Greifswald begrüßt die Gründungen von Polyform, Treff MalAnders und seinem Verein sehr. „Jetzt wird langsam was auf die Beine gestellt. Vorher war die Arbeit im Bereich der Schwulen- und Lesbenszene sehr schleppend. Es gab einen Stammtisch und eine Party der Gender Trouble AG und das war alles, was man gehört hat.“ Die Vereine möchten eine gute Zusammenarbeit wahren. Die Grundbasis haben sie beim Welt-Aids-Tag mit einer Spendenaktion Anfang Dezember geschaffen.
Greifswalds homosexuelle Szene hat eine Aufwertung erfahren und geht über die bloßen Partys hinaus. Mittlerweile sind Lücken geschlossen worden. Mit dem Queerkompass wird ein ausgiebiges Angebot für Präventionsarbeit, Coming- Out- Beratung und Jugendtreffs bereitgestellt. Der „Treff MalAnders“ bezieht im Gegensatz zu den anderen Initiativen bewusst auch ältere Generationen in die Szene mit ein. Polyform verbindet Kunst mit der homosexuellen Szene.
Greifswald erfährt eine kulturelle Bereicherung und es ist für das kommende Jahr zu hoffen, dass sich die Strukturen innerhalb der Initiativen ausbauen und weiter verfestigen. Somit könnten zum einen homosexuell lebende Menschen weitere Möglichkeiten wahrnehmen und für sich nutzen.
Die vorher fehlende Vielseitigkeit und bloße Konzentration auf Partys kann aufgehoben werden und eine Etablierung von Angeboten für Homosexuelle wäre möglich, die mehr Bereiche des Lebens abdecken könnte.
Die wichtigste Chance, die besteht wäre jedoch, dass Homosexualität seine negative Konnotation verliert. Frische queere Ideen, mehr mutige Farbbekennung und viel mehr Möglichkeiten sind das angestrebte Ziel für Greifswald.
Ein Bericht von Luise Schiller und Laura-Ann Schröder